Lichtenberg Als Lichtenberg Sportgeschichte schrieb

Am 2. Dezember 1989 spielte der TSV Lichtenberg gegen Bad Lobenstein. Es war das erste Amateurfußballspiel nach dem Fall der Mauer.

 
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Die Farben des Bilds, das über Jahrzehnte im Bad Lobensteiner Sportheim hing, waren schon blass geworden. Genau wie die Erinnerungen an das letzte Interzonen-Spiel, das Ende der 1950er-Jahre stattgefunden hatte. Damals, als Fußballspiele zwischen Mannschaften aus der BRD und der DDR noch erlaubt waren. Spätestens mit dem Bau der Mauer im Jahr 1961 war damit aber endgültig Schluss. Die Grenze war dicht. Sportlichen Austausch zwischen beiden deutschen Staaten gab es nur im Leistungssport. Und die Amateure schauten in die Röhre - oder eben auf das Bild im Sportheim.

Wenn der Ball die Mauer überwindet

Auch im Amateursport gab es - gerade in Oberfranken - einen intensiven Austausch zwischen West und Ost. Zusammen mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit beleuchtet unsere Zeitung in einer Veranstaltung am Donnerstag, 7. November, diese Zeit. "Wenn der Ball die Mauer überwindet: Ost-West-Geschichten im Amateurfußball" findet von 18.30 bis 20 Uhr im Forum Gesundheit in Hof (Münch-Ferber-Straße 1) statt. Unter anderem spricht der Chefredakteur des Magazins Zeitspiel, Hardy Grüne, über den "Ausverkauf nach dem Mauerfall". Götz Gemeinhardt blickt mit Siegfried Seifert auf die Reise des FC Bayern Hof nach Israel im Jahr 1969 zurück - und damit auch eine - andere - Grenzüberwindung.

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Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos. Aufgrund begrenzter Kapazitäten bitten wir um eine Voranmeldung per E-Mail an

johannes.uschalt@blz.bayern.de oder telefonisch unter 09281/816422.

Bis zum Spätherbst des Wendejahres 1989. Als sich am 9. November die Grenze öffnete, und Deutschland seinen glücklichsten Moment der jüngsten Geschichte erlebte, erinnerte sich in Lobenstein einer an jenes Foto: Helmut Anders. Und er hatte eine Idee: "Bei einem Hallentraining unserer Altliga-Mannschaft habe ich meinen Mitspielern gesagt: Mensch, wollen wir nicht mal in den Westen, um dort gegen ein Team Fußball zu spielen?" Was lag näher als eine Neuauflage jenes Interzonen-Spiels aus dem Jahr 1957 oder 1958? Teams aus dem fränkischen Lichtenberg und dem thüringischen Lobenstein traten damals gegeneinander an.

Anders’ Idee war zu diesem Zeitpunkt verwegen. Ein Fußballspiel? Bei vielen im Grenzgebiet stand das damals nicht im Vordergrund. "Wir haben uns aber einfach ins Auto gesetzt und sind nach Lichtenberg gefahren", erinnert sich Anders an die Tage nach der Grenzöffnung. Statt - wie andere DDR-Bürger - die Städte und die Möglichkeiten im Westen zu erkunden, suchte er den Kontakt zum Sportverein in der westdeutschen Nachbarschaft - in einer so nahen und doch bis dahin unerreichbaren Ortschaft. "Von einer Anhöhe aus konnten wir die Lichtenberger Turnhalle vor dem Mauerfall sehen", erinnert sich Anders. "Aber sie war unerreichbar." So hatte er auch keine Kontakte in den Westen.

Die ganz pragmatische Lösung im November 1989: Er fuhr nach Lichtenberg und fragte auf der Straße herum, wer ihm weiterhelfen könnte. Der Bürgermeister konnte es. Bei Kaffee und Kuchen im Rathaus vermittelte der damalige Bürgermeister Herbert Heinel den Kontakt zu Helmut Welte, dem Vorsitzenden des TSV Lichtenberg.

Und der teilte nicht nur die Leidenschaft zum Fußball, sondern auch eine ganz spezielle Erinnerung. "Auch in unserem Sportheim hingen Bilder vom Interzonen-Spiel." Als Anders ihm den Vorschlag unterbreitete, diese alte Tradition wiederaufleben zu lassen gab, war Heinel schnell Feuer und Flamme. "Wir waren spontan bereit, gegeneinander zu spielen." Lichtenberger Alte Herren gegen Lobensteiner Altliga.

Es ist der 2. Dezember, also dreieinhalb Wochen nach dem Mauerfall. Schnee liegt auf dem Platz in Lichtenberg. Kein Grund aber, dieses historische Spiel abzusagen. "Es war ganz schön kalt", erinnert sich Helmut Welte. Der Wintereinbruch schreckt aber weder die Spieler noch die knapp 500 Fans, bei diesem Spiel, bei dieser sportlichen Wiedervereinigung dabei zu sein. "Wir haben schon gespürt, dass es etwas Besonderes ist", sagt Welte. Zumal damals nicht klar war, ob es nicht vielleicht bei diesem einen Spiel bleiben sollte - und dann wieder für 30 Jahre Funkstille herrschen würde. "Keiner wusste, ob die Grenze offen bleibt", sagt Welte. "Alles war unklar." Er musste es wissen, erlebte er doch die Grenzöffnung als Grenzpolizist hautnah mit.

Doch all die Gedanken um die ungewisse Zukunft der beiden deutschen Staaten geriet in den Hintergrund. Der Sport verdrängte alles. "Es war ein normales Fußballspiel", sagt Welte. "Jeder wollte gewinnen." Gerade in diesem historischen Spiel wollte keiner als Verlierer vom Platz gehen. Zunächst machte Lobenstein ordentlich Dampf. "Wir haben bis zur Pause mit 2:0 geführt", blickt Anders zurück. Lag es eventuell am Schiedsrichter? Lichtenberg hatte nicht nur die Fußballer aus Thüringen eingeladen, sondern auch gleich den Unparteiischen. "Er hat vielleicht die körperbetonten Aktionen nicht so abgepfiffen", gesteht Anders. "Wir im Osten haben einen körperbetonten Fußball gespielt." Doch das ist im Fußball, selbst in Freundschaftsspielen, nicht alles. Im zweiten Abschnitt nutzte Lichtenberg seine technische Überlegenheit und glich noch zum 2:2 aus.

Ein wenig freute sich auch Anders darüber: "Für den Abend war es wichtig, dass es keinen Sieger gab." Der erste Amateurfußball-Austausch zwischen Ost und West ging in die dritte Halbzeit. Klar. Denn eine lange Zeit brachliegende Freundschaft sollte wieder aufgewärmt werden. Die Gastgeber hatten für die Gäste aus dem Nachbarort - es liegen nur knapp zehn Kilometer zwischen beiden Gemeinden - schon für Unterkünfte gesorgt. So wurde aus der deutsch-deutschen Konkurrenz auf dem Platz eine deutsch-deutsche Freundschaft am Abend. In der Lichtenberger Halle wurde gefeiert. "Und auch ein paar Bier getrunken", wie Welte anmerkt. Viel wichtiger: Der Abend war der Beginn von Freundschaften, die bis heute halten. Bis vor wenigen Jahren spielten beide Altherren-Teams noch Freundschaftsspiele gegeneinander. Doch irgendwann schlief auch diese Tradition ein. "Das Verhältnis zwischen beiden Vereinen hat sich normalisiert", sagt Welte. Aus getrennten Nachbarn sind Nachbarklubs ohne viele Berührungspunkte geworden. Anders: "Das Prickeln fehlte irgendwann."

Nur jetzt, da sich der Mauerfall jährt, kramen sie nochmals die Fotos raus. Sie erinnern sich an diesen historischen Nachmittag - und an die Bilder an den Wänden zweier Sportheime, die den Anfang der ersten Ost-West-Begegnung auf einem Fußballplatz festhielten.

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