Ein Abfahrer mit musikalischer Ader - so etwas gibt es nicht alle Tage. Aber es passt irgendwie. Schließlich muss jemand, der mit mehr als 100 Stundenkilometern einen Steilhang runterbrettert, auch einen Ausgleich haben. "Ich verarbeite gerne die Sachen, die ich erlebe, in meinen Liedern", sagt Schramm, der Trompete und Klavier spielt.
Diese Sommermonate sind hart für die deutsche Ski-Hoffnung. Kälte ist er ja gewohnt. Aber Hitze? "In den ersten heißen Wochen schwitze ich ohne Ende. Manchmal kann man mein T-Shirt auswinden, als hätte ich geduscht", sagt er.
Die vielen Trainingseinheiten machen es nicht leichter. Denn ausruhen ist für den 20-Jährigen nicht angesagt. Er gönnt sich zwar ein paar Tage in der Heimat, schuftet in dieser Zeit aber im Fitnessstudio oder steigt aufs Rennrad. Und wenn er in Berchtesgaden ist, wartet Marcus Hirschbiel. Der Physiotherapeut weiß ganz genau, wie man zum Profi wird. Er betreut unter anderem Skirennläuferin Christina Geiger und Rodel-Olympiasieger Felix Loch. So schwört Schramm auf Hirschbiel: "Ich will eine gescheite Vorbereitung machen, dafür ist er unverzichtbar."
"Gescheite Vorbereitung" - diese Worte fallen im Gespräch mit Schramm immer wieder. Das hat auch seinen Grund. Der Eppenreuther hat ein Horror-Erlebnis hinter sich. Im November 2017 zog er sich einen Kreuzbandriss im Knie zu. Wochen und Monate des Leidens folgen, zu Beginn der Saison 2018 hatte Schramm noch deutliche Anlaufschwierigkeiten. So etwas prägt einen Sportler.
"Mittlerweile ist die Verletzung nicht mehr so präsent", sagt Schramm heute. Eines hätte er während seiner Leidenszeit mitbringen sollen: Geduld. Dieser Schramm ist aber ganz und gar kein geduldiger Typ: "Wenn früher eines meiner geliebten Computerspiele kurz vor der Veröffentlichung stand, konnte ich es auch kaum erwarten. Ich bin fast verrückt geworden."
Geduld mag nicht die Stärke des Oberfranken sein. Dafür hat er aber schon häufiger eine große Portion Mut bewiesen. "Ein Skirennläufer muss von Grund auf mutig sein, das kann man nicht wirklich lernen", sagt Schramm, dem es noch vor ein paar Jahren nach eigener Aussage mehr Mut abverlangt hat, eine fremde Person auf der Straße anzusprechen als mit hoher Geschwindigkeit einen Steilhang runterzufahren.
Am Ende soll sich für den Sportsoldaten der Bundeswehr dieser Mut auszahlen. Im zweitklassigen Europacup durfte er schon ran, auch bei der Junioren-WM war er am Start. Damit fällt das richtige Stichwort. Im Frühjahr 2020 messen sich die weltbesten Ski-Talente in Norwegen und kämpfen um Medaillen. Schramm will vorne mitfahren. Denn: Es wird seine letzte U 21-Saison sein.
Bald muss es klappen: Der Sprung vom C-Kader des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) nach oben. An Ehrgeiz mangelt es nicht. Ebenso wenig an Einsatzbereitschaft. Jacob Schramm ist bereit. "Bereit wie nie!" Diese drei Begriffe haben sich zu seinem Sportler-Motto entwickelt. Bei Facebook, bei Instagram, im Alltag - überall verwendet er sie.
Schon in zwei Wochen wird es das erste Mal nach Norwegen gehen, dann wird Schramm wieder Schnee unter seinen Füßen spüren. Er ist dann nicht mehr der Schramm, der er noch in den vergangenen Jahren war. Er ist der besser aufgestellte Schramm, der professionellere Schramm. Einer, der jetzt seine eigene Webseite hat. "Ich will mich nach außen besser verkaufen", sagt der 20-Jährige, der auf seinem Weg nach oben auch auf Sponsoren angewiesen ist. Dabei sucht er vor allem Partner aus Oberfranken. Denn Schramm, ein heimatverbundener Typ, hat auch im Berchtesgadener Land seine Wurzeln nicht vergessen. "Ich bin ständig am Fränkeln. Für die Oberbayern ist das gewöhnungsbedürftig, aber das gehört eben zu mir."