Regionalsport "Vor der Disco musste ich mich nie anstellen"

Hannes Huttinger

Jens Mitzscherling war ein starker DDR-Fußballer - das hat ihm viele Vorteile verschafft. Der 53-Jährige lebt heute in Trogen und sagt: "Ich bekomme immer noch Gänsehaut.

 
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Herr Mitzscherling, vor 30 Jahren war der Mauerfall, Sie hatten da gerade Ihre fußballerische Hochphase. Haben Sie damals überhaupt alles mitbekommen?

Jens Mitzscherling - persönlich und sportlich

Persönliches

Geburtsort: Zwickau

Alter: 53

Wohnort: Trogen

Familienstatus: verheiratet seit 1987, zwei Töchter

Sportliches

Stationen als (Profi-)Fußballer: FSV Zwickau (1985 - 1989), Chemnitzer FC (1989 - 1992), Hallescher FC (1992 - 1993), FC Bayern Hof (1994 - 2001).

Größte Erfolge: Europapokal-Teilnahmen mit Chemnitz in den Spielzeiten 1989/90 und 1990/91, Vizemeister mitdem CFC in der DDR-Oberliga 1989/90.

Verfolgt habe ich das natürlich. Aber man muss auch ganz klar sagen: Als Fußballer hat man in der DDR ein sehr privilegiertes Leben geführt.

Wie hat sich das geäußert?

Wohnung, Auto - das war damals überhaupt kein Problem. Zu meiner Glanzzeit beim Chemnitzer FC haben wir auch international gespielt, Auslandsreisen waren für uns also auch zu DDR-Zeiten möglich. Vor der Disco musste ich mich auch nie anstellen. Dazu kommt noch, dass wir für die damalige Zeit sensationell gut verdient haben. Arbeiten mussten wir neben dem Fußball nicht, wir haben unter absoluten Profi-Bedingungen trainiert.

Sie haben sich also wie ein kleiner Star gefühlt?

Ja, durchaus.

Haben Sie Ihren Status irgendwie ausgenutzt?

(überlegt) Es gab einmal ein zehntägiges Trainingslager in Finnland. Vor unserer Abreise kam ein Mann von der Staatssicherheit, der uns belehrt hat und uns angeleitet hat, wie wir uns im Ausland verhalten sollen. Unter anderem kam der Hinweis, dass wir doch bitte keinen Schnaps mitnehmen sollten.

Und was haben Sie getan?

Natürlich hatten wir Schnaps dabei. In Finnland ist der, damals wie heute, wahnsinnig teuer. Wir haben unsere Taschen vollgepackt und den dort teilweise sogar für einen ordentlichen Preis verkauft, um unser Taschengeld aufzubessern. Das ist nie aufgeflogen.

Erfolgreichen Athleten ging es in der DDR ja generell gut. Wie hat der Sport im Osten überhaupt diesen Stellenwert erreicht?

In der DDR war es schlichtweg so, dass sehr auf die sportliche Betätigung geachtet wurde. Wenn ich heute an die Nachwuchs-Akademien von Bayern München oder Ajax Amsterdam denke, dann muss ich sagen: In etwa dieser Form gab es das damals in der DDR schon. So etwas war bei uns normal. Ich wurde als Kind von der normalen Schule geholt, weil ich ganz gut mit einem Ball dribbeln konnte. Ein paar Tage später war ich schon in einem Leistungszentrum mit Ganztagsbetreuung. Der Sport war einfach das Aushängeschild - dementsprechend wurde immenser Wert darauf gelegt.

Nach Ihrer Anfangszeit beim FSV Zwickau kamen die goldenen Jahre beim Chemnitzer FC (siehe auch Infobox). Dort haben Sie sogar international gespielt ...

Die Europapokal-Abende sind die Abende, bei denen ich sage: Da bekomme ich immer noch Gänsehaut. Die Spiele bei Boavista Porto oder Juventus Turin waren einfach der Wahnsinn. Die Turiner wurden damals übrigens von Torwart-Legende Dino Zoff trainiert. Leider sind wir da ausgeschieden. Und was noch wichtiger ist: Das kam damals alles direkt in die Wendezeit rein. In Turin durften erstmals unsere Frauen mit auf eine Auslandsreise - das war außergewöhnlich.

Ihr Spiel in Turin war am 22. November 1989, bereits am 9. November wurde die Grenze geöffnet. Was haben Sie an diesem Tag gemacht?

Wir kamen gerade aus der Schweiz zurück und haben im Radio davon erfahren. Irgendwie war es, als hätte man etwas hinter einer Scheibe gesehen - schwer zu beschreiben. Es war irgendwie unwahr.

War für Sie die Wende weniger wert, weil Sie ohnehin schon so privilegiert waren?

(überlegt) Die Wende hatte schon auch weitreichende Folgen für uns. In der DDR hat jeder Spieler unseres Teams das gleiche Geld bekommen, dann haben wir aber individuell Verträge ausgehandelt. Wir wurden sozusagen als Spieler lizensiert.

War es Ihr sofortiger Wunsch, bei einem westdeutschen Klub zu landen?

Zunächst einmal wollten wir uns in der Saison 1990/91 mit Chemnitz für die 1. Bundesliga qualifizieren. Da gab es die letzte Auflage der DDR-Liga - und nur die ersten beiden Teams sollten auch in die erste Liga kommen. Wir sind Fünfter geworden und mussten damit in der nächsten Saison in der zweiten Liga antreten. Für mich war damals aber noch viel schlimmer, dass ich mir gegen Hansa Rostock einen Syndesmosebandriss zugezogen habe. Das hat mich zurückgeworfen.

Eine Saison später sind Sie dann nach ein paar Spielen zum Halleschen FC gewechselt...

Ich habe unter Coach Hans Meyer, der sehr autoritär aufgetreten ist, damals meine Chancen nicht mehr bekommen. Daher der Wechsel nach Halle.

Und im Anschluss führte Ihr Weg zum FC Bayern Hof. Wie kam es dazu?

Ich hatte zu meiner Zeit als Fußballer nichts gelernt - und so habe ich auch nach einer beruflichen Perspektive gesucht. Da ergab sich eine Möglichkeit in Hof. Fußballerisch kam der Kontakt über Otto Libal und Heinrich Greim zustande. Beide haben mich damals schnell vom sportlichen Konzept überzeugen können.

Gehen Sie auch heute noch auf die Grüne Au?

Hin und wieder bin ich dort.

Sind Sie generell noch viel auf Fußballplätzen unterwegs?

Im Fernsehen schaue ich mir gern Fußball mal an, ansonsten habe ich mich weitestgehend zurückgezogen. In Rehau und Oberkotzau war ich zwischenzeitlich mal Trainer, allerdings habe ich festgestellt, dass das zeitlich mit meinem Job nicht machbar ist.

Heute verkaufen Sie Neuwagen. Wie kommt’s?

In Hof habe ich vor langer, langer Zeit eine Lehre zum Bürokaufmann abgeschlossen, ich wollte aber immer mit Menschen direkt zu tun haben - das ist jetzt der Fall. Ich bin glücklich und fühle mich in Hof sehr wohl - was beileibe nicht selbstverständlich ist. Es gibt ehemalige Spieler aus der DDR, die nach der Wende abgestürzt sind und sich bis heute nicht erholt haben.

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