Regionalsport "Wir suchen die Nadel im Heuhaufen"

"Doping lässt sich ebenso wenig komplett beseitigen wie Steuerhinterziehung": Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel. Quelle: Unbekannt

Wenn es wie jetzt bei der nordischen Ski-WM in Seefeld neue Doping-Enthüllungen gibt, kann sich Fritz Sörgel sicher sein, dass bald sein Telefon klingelt. Der Franke gilt als einer der führenden deutschen Anti-Doping-Experten.

 
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Zum Interview in seinem Institut in Heroldsberg empfängt der Professor ganz unprätentiös mit Jeans und blauem Pulli. Auf dem Schreibtisch liegt die neue Chronik des 1. FC Nürnberg. Als die Geschichte des Clubs erörtert, so manche Anekdote erzählt und alle Fragen rund um den Lieblingsverein geklärt sind, kann es losgehen mit dem Thema Doping.

Herr Sörgel, Die Polizeisondereinheit Kobra überrascht in Seefeld bei der nordischen Ski-WM einen Athleten auf frischer Tat. Illegal im Netz veröffentlichte Bilder zeigen den Österreicher Max Hauke. Er hat die Kanüle noch im Arm. Eigenblutdoping zur Leistungssteigerung. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das gesehen haben?

Mitleid, ganz klar. Und mir schoss durch den Kopf: Wie geht es wohl der Mutter, die ihren Sohn in einer solchen misslichen, hilflosen Lage sieht.

Nach dem Geständnis des österreichischen Dopingsünders Johannes Dürr hätte man gewarnt sein können.

Das beweist, dass manche Athleten furchtlos und dumm sind. Wobei Letzteres wahrscheinlich die Voraussetzung für Ersteres ist. Ich dachte auch nicht, dass jemand noch so dämlich ist, sich während des Wettkampfs zu dopen. Aber die Methoden sind offenbar so fein, dass man keine Angst mehr vor auffälligen Werten im Blutpass hat.

Die Münchner Staatsanwälte sprechen von einem professionellen Ausmaß des Betrugs, der von einem Arzt in Erfurt orchestriert wurde. Wie groß ist der Schlag tatsächlich?

Ein Netzwerk mit Hunderten Sportlern hätte dieser Familienbetrieb gar nicht stemmen können. Es gibt viele solcher "Kleinbetriebe" über die Welt verteilt, aber es ist kein globales Netzwerk in des Wortes wörtlicher Bedeutung. Da wäre schon früher was rausgekommen.

Auffällig ist, dass unter den festgenommenen Sportlern kein Deutscher ist. Halten Sie es für vorstellbar, dass in Erfurt eine Dopingzelle existiert, die nur von ausländischen Athleten genutzt wird?

Bei uns sind die Sportler schon sehr vorsichtig geworden, aber dass man diese Blutdienste nicht auch Landsleuten anbot, ist eher unwahrscheinlich. Interessant finde ich auch eine finanzrechtliche Frage: Wo wären diese Dienste eigentlich zu versteuern - wenn man die Absicht hat, sie zu versteuern? (lacht )

Insgesamt ist die Anzahl der positiven Tests zurückgegangen. Heißt das, der Sport ist sauberer geworden ? Tricksen die Doper besser? Oder sind die Tests unwirksam?

Eine wirklich seriöse Antwort kann Ihnen auf die Fragen keiner geben. So ehrlich muss man sein.

Es gibt Befragungen von Sportlern aus dem Jahr 2011 bei der Leichtathletik-WM in Korea und den panarabischen Spielen, die einen Dopingmissbrauch bei 30 beziehungsweise 45 Prozent der Sportler nahelegen.

Die Zahlen stehen im Raum. Sollen sie das wahre Bild wiedergeben, dann hätte es schon ein paar mehr positive Dopingtests geben müssen. Sonst wäre es eine Bankrotterklärung für das Testen.

Genau das wird ja oft behauptet - das Kontrollsystem tauge nichts!

Das ist kompletter Quatsch. Aber natürlich ist es verbesserungsfähig und die einzelnen Länder könnten noch intensiver Tests durchführen und analysieren. Und vor allem müsste sich die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada von politischer Einflussnahme freimachen.

Besonders prekär war hier der Fall Russland.

Die wurden im Fußball überhaupt nicht sanktioniert. In anderen Sportarten dürfen sie wieder ran. Nach dem flächenmäßigen Doping bis 2016 und vermutlich darüber hinaus hätte man ein stärkeres Exempel statuieren und den gesamten russischen Sport für ein paar Jahre sperren müssen! Das fiel weder dem IOC noch der Fifa im Traum ein.

Wie kann es gelingen, Korruption besser vom Sport fernzuhalten?

Mit dem IOC oder der Fifa ist das praktisch unmöglich. Dass wir es hier mit korrupten Verbänden zu tun haben, ist mittlerweile vielfach belegt. Und bei der Wada sieht es nicht besser aus. Wie schnell sie Russland jetzt einen Persilschein ausgestellt haben, zeigt, wie wenig Vertrauen man in solche Institutionen haben kann. Man braucht sich auch nur die Lebensläufe der Leute an der Spitze anzuschauen.

Glauben Sie, dass es je wieder eine Ära ohne Doping im Sport geben wird?

Wieso "wieder"? Sport ohne Betrug hat es nie gegeben, das zeigen doch schon Berichte aus der Antike. Doping lässt sich ebenso wenig beseitigen wie Steuerhinterziehung. Es ist eine Eigenschaft des Menschen, sich gegenüber seinem Mitbewerber einen Vorteil verschaffen zu wollen, und manche schrecken auch vor Betrug nicht zurück. Wer erwischt wird, muss gerade bei uns in Deutschland mit Liebesentzug und Häme rechnen. Das Gegenbeispiel ist Jan Ullrich, bei ihm überwiegt das Mitleid, obwohl er bis heute durch Exzesse mit Drogen oder Alkohol auffällt. Er hat so etwas wie Narrenfreiheit.

Ist das nicht die logische Reaktion auf einen Betrüger?

Für viele Doper habe ich keinerlei Verständnis. Aber wenn man Sportler missbraucht, tun sie mir leid.

Die Leichtathletin Julija Stepanowa hat Doping zugegeben und ebenso wie ihr Mann ihr Leben riskiert, um Beweise für das Staatsdoping in Russland zusammenzutragen. Heute lebt die Familie aus Sicherheitsgründen an einem unbekannten Ort. Meinen Sie solche Fälle?

Das IOC hätte Stepanowa dankbar sein und so mit ihr umgehen müssen, dass auch andere Sportler den Mund aufmachen. Stattdessen wurde sie von den Spielen in Rio ausgeschlossen. Sie haben sie dafür bestraft, dass sie durch Preisgabe von Geheimnissen den Stein ins Rollen brachte. Das ist widerlich.

Was bedeutet das für den Anti-Doping-Kampf?

Systeme, die sich selbst reinigen, gibt es vielleicht im Haushalt. In einer Gesellschaft funktioniert das nicht. Also gibt es nur einen Weg: Man muss dem Sport den Anti-Doping-Kampf entziehen.

In Deutschland existieren mittlerweile ein Anti-Doping-Gesetz oder mit der Staatsanwaltschaft München I eine Behörde, die sich schwerpunktmäßig mit Doping und Korruption im Sport beschäftigt. Klingt nach Fortschritten.

Die Aufgriffsraten der Münchner hörten sich toll an. Nur ging es da fast immer um irgendwelche Muckibuden. Leute zu finden, die dort Anabolika verkaufen, ist nicht schwer. An Spitzensportler sind sie bis zur WM in Seefeld leider nie herangekommen. Man merkt richtig, wie stolz sie sind, was ihnen jetzt mit der kriminellen Familie aus Erfurt gelungen ist.

Könnten die drohenden Strafen nun abschreckend wirken?

Auf den Großteil der Athleten schon. Aber Leute wie die hier Betroffenen schreckt nichts ab. An der Weltspitze sind Menschen mit diesem Selbstzerstörungswillen die Regel. Das gilt für alle Sportarten.

Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, sagt, der Sport habe wieder einmal überhaupt nichts beigetragen zur Aufklärung. Hat sie recht?

Das stimmt so nicht. Die Wada und alle Anti-Dopingaktivitäten sollten zumindest erwähnt werden. Und dass der Sport keine Razzien durchführen kann, ist doch klar. Ich denke da an Herrn Scharping...

...den Präsidenten den Bund Deutscher Radfahrer, dem ein laxer Umgang mit dem Thoma Doping nachgesagt wird...

...wie der mit einer Truppe seines Verbandes Hotels und Arztpraxen durchsucht. Unvorstellbar (lacht).

Es gibt einen immer wieder diskutierten Ansatz: Gebt Doping frei, dann haben alle die gleichen Chancen!

Für mich die völlig falsche Botschaft. Man muss sich doch überlegen, was das für Konsequenzen hätte. Dopen wir dann schon im Kindergarten-Alter? Der Fußball ist hier wieder mal besonders skrupellos. Die scouten schon Kinder unter zehn Jahren. Mit Sport im eigentlichen Sinn hätte eine Freigabe nichts mehr zu tun. Das wäre Kapitulation. Und nebenbei: Dass das für Gerechtigkeit sorgen würde, ist eine Mär. Der Doper würde auch dann versuchen, seinem Kontrahenten mit dem wirkungsvolleren Mittel einen Schritt voraus zu sein.

Welche Substanzen sind aktuell in Mode?

Da gibt es nicht viel Neues. Sportler sind abergläubisch und sehr konservativ. Die nehmen Klassiker wie Steroide, Wachstumshormone, Blutdoping oder Epo in Mikro-Dosierungen. Häufig geht es weniger um Muskelmacher, sondern um bessere Regeneration. Also dass der Körper hartes Training und Verletzungen besser wegsteckt.

Viele Experten glauben an einen Placebo-Effekt.

Ich würde behaupten, die Placebo-Wirkung beträgt mindestens 30 Prozent des Dopingeffektes. Das ist wie beim Normalbürger mit den Globuli. Eigentlich Humbug, aber warum soll ich jemandem das ausreden, wenn er überzeugt ist, dass die ihm helfen. Da sag‘ ich: Nimm sie. Nur frag‘ mich bitte nicht, wie der positive Effekt zustande kommt (lacht). Einem Sportler können Sie auch nicht seine Kiste voll Nahrungsergänzungsmitteln ausreden.

Und wie werden die Dopingmittel der Zukunft aussehen? Der Kriminaltechniker Dr. Hellmut Mahler schrieb kürzlich von Syntheselaboren in China oder Indien, die im Auftrag praktisch jeden gewünschten Stoff herstellen. Klingt wie Science-Fiction.

Es geht um Peptide, also Bruchstücke von Eiweißen. Das alles ist relativ einfach herzustellen. Der Vorteil für den Doper: Es gibt ein Meer von möglichen Designer-Stoffen, Millionen und Abermillionen denkbarer Verbindungen, die niemand kennen kann.

Das Risiko, erwischt zu werden, ist also gleich null?

Wir suchen die Nadel im Heuhaufen. Und man muss eines klarstellen: Viele Laien glauben ja, der Dopingfahnder nimmt Urin oder Blut und untersucht, welche verbotenen Stoffe da drin sind. So funktioniert es aber nicht. Der Dopingfahnder muss wissen, welchen Stoff er sucht. Wenn die Zahl der Substanzen unendlich groß ist, wird‘s schwierig. Das gilt auch für sehr wirksame Antikörper.

Auf die setzt aktuell die Medizin in der Krebstherapie.

Genau. Die bisherigen Therapien sind enorm teuer. Deshalb könnten solche hoch wirksamen, hoch komplexen Eiweiße für Patienten zum Segen werden. Blöderweise wird dann sicher auch in schwarzen Laboren damit gearbeitet. Der Körper baut die Wirkstoffe schnell bis zur Unkenntlichkeit ab, aber ihre Dopingwirkung hält lange an. Die Gefahr, dass solche Sachen wie Anfang der Jahrtausendwende im Balco-Skandal an Sportlern ausprobiert werden, ist entsprechend groß.

Damals hatte der Amerikaner Viktor Conte Top-Athleten mit dem lange Zeit nicht nachweisbaren Designersteroid THG versorgt und sie so zu Bestleistungen getunt.

Das waren Menschenversuche. So etwas ist auch heute denkbar. Wer mit Eiweißen herumhantiert, muss allerdings Fachmann sein. Chemiker und Bio-Technologe. Ganz einfach ist das nicht. Und noch etwas kommt dazu: Leute, die so etwas können, wollen lieber den Nobelpreis gewinnen als einen Tour-Sieger zu produzieren. Das tröstet.

Weil sie ethisch ein reines Gewissen haben?

Vielleicht. Sicher aber auch deshalb, weil der finanzielle Anreiz in der Medizin höher ist. Zumindest noch.

Ihr Name tauchte vor einiger Zeit in Zusammenhang mit dem Mittelstürmer von Real Madrid, Karim Benzema, auf. Da ging es um Aufputschmittel.

Ich hab zu Hause am Fernseher gesehen, wie der sich gegen Bayern München auf der Bank plötzlich diesen Snus (ein Kautabak aus Schweden, d. Red.) reingezogen hat. Einige Medien haben es hinterher von meiner Facebook-Seite aufgegriffen und darüber berichtet. Neu ist das aber nicht. In vielen Sportarten, wie zum Beispiel im Eishockey, ist dieser Lutschtabak seit längerer Zeit schon gang und gäbe.

Snus steht nicht auf der Dopingliste.

Viele Mittel stehen nicht auf der Verbotsliste. Dieser Graubereich ist trotzdem gefährlich. Der frühere Werder-Spieler Ivan Klasnic hat durch den jahrelangen Schmerzmittel-Missbrauch mit Diclofenac seine Niere verloren und inzwischen mehrere Transplantationen hinter sich. Die Klage gegen die Bremer Mannschaftsärzte läuft heute noch.

Trotzdem wird das Thema Medikamentenmissbrauch totgeschwiegen?

Radfahrer bevorzugen Tramadol, ein morphinartiges Schmerzmittel. Das Zeug macht abhängig. Bei der Fußball-WM 2014 nahm einer Fifa-Studie zufolge jeder zweite Spieler Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel, bis zu neun verschiedene vor einem Spiel. Man muss sich die Frage stellen, warum ein Sportler, der grundsätzlich als gesund einzustufen sein sollte, ein Medikament einnehmen muss. Hier sehe ich die größten Chancen, den Betrug in Grenzen zu halten.

Indem man all die Ausnahmegenehmigungen streicht?

Man muss sie öffentlich machen. Die Norweger hatten bei den Winterspielen in Pyeongchang 6000 Dosen Asthma-Mittel dabei. Das hat mit Sport nichts mehr zu tun, wenn ein ganzes Team nur noch unter Medikamenteneinfluss seinen Sport ausüben kann.

Auch bei der WM in Seefeld gibt es Anlass für zusätzliches Misstrauen gegenüber norwegischen Sportlern.

Therese Johaug kam von ihrer Doping-Sperre noch stärker zurück als vorher. Viele rümpften da die Nase. Aber es sind Verdächtigungen, mehr nicht.

Und wenn jeder Sportler selbst die Verantwortung hat, was er seinem Körper zumuten will?

Man kann bei dem vielen Geld, um das es geht, nicht darauf setzen, dass Sportler verantwortungsbewusst handeln. Und wir reden hier auch über Vorbilder. Ein Amateur greift doch viel eher zu Hilfsmitteln, wenn er sieht, dass die Profis das auch nehmen. Das ist gefährlich. Besonders für unsere Kinder.

Sie schauen sich jedes Heimspiel Ihres Lieblingsvereins 1. FC Nürnberg im Stadion an. Können Sie darüber hinaus den Profisport heute als Sportfan überhaupt noch genießen?

(lacht ) Ich ärgere mich schon, wenn einer wie der Radrennfahrer Froome so billig davonkommt, aber wenn ich Sport gucke, denke ich nicht daran, was der Athlet jetzt im Blut haben könnte. Man muss sich ja nicht kasteien.

Das Gespräch führte Alexander Wunner

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