So!: Vor gut einem Jahr kam Ihr zweites Solo-Album „Pride“ heraus. Mit diesem zeitlichen Abstand: Worauf sind Sie heute noch stolz, wenn Sie an diese CD denken?
Rea Garvey: Ich bin sehr stolz auf „It’s A Good Life“. Das war die dritte Single – und es war und ist mein Lieblingslied. Der beste Song, den ich bis jetzt geschrieben habe. Ich freue mich auf die nächsten Lieder, über die ich das sagen kann, aber bis zum Moment ist es „It’s A Good Life“. Es war ja eigentlich nicht als Single gedacht und es sollte auch nicht so aufgenommen werden. Wir hatten zuerst eine Demo-Version gemacht, aufgenommen im Studio in London. Die Aufnahmequalität ist so gut heutzutage, dass man Demos schon nutzen kann. Aber wir wollten es noch verbessern. Also haben wir es noch zwei Mal aufgenommen. Aber wir sind immer wieder zurückgekommen zu diesem Demo, weil darauf die Emotion so stark ist. Also kam das Demo auf die Platte. Und irgendwann kam die Frage: Was nehmen wir als dritte Single. Das wäre die Single gewesen, mit der man die Tour promoten wollte. Aber zu dem Zeitpunkt war die Tour schon ausverkauft. Ich hatte also freie Hand bei der Auswahl. Darum habe ich einfach mein Lieblingslied von der Platte genommen. Das fand die Plattenfirma dann nicht so gut, denn denen war „It’s A Good Life“ zu wenig… na ja, kommerziell, aber das ist vielleicht der falsche Ausdruck. Auf jeden Fall haben wir das Ding dann dreimal neu mixen lassen – und immer wieder kamen wir zurück zur ursprünglichen Demo-Version. Schließlich wurde ich gefragt, welche Version wir denn nun als Single veröffentlichen wollen. Und ich sagte: die Demo-Version.

So!: Was ist denn daran so besonders?
Garvey: Sie hat einen Schlüssel, der viele Schlösser aufsperren kann. Etwas, was mit zu viel Kommerzialität kaputt geht. Ich liebe es, dass es noch Musikfans gibt, denen nicht gleich vor lauter Produktions-Hightech die Luft wegbleibt, sondern die sich gerne noch hineinziehen lassen in ein Lied und es genießen. „It’s A Good Life“ hat die stärkste Aussage, die ich je geschrieben habe. Es ist ein sehr persönliches Thema, denn es ist für einen guten Freund, der mir einmal geholfen hat, und der Song ist nun meine Art, ihm zu helfen. Ich bin unglaublich stolz auf den Text, denn da sind alle Gedanken drin, die ich zu dem Thema habe. Es sind viele Passagen dabei mit einer Art von Musik, die wir normalerweise nicht spielen wollen, aber in diesem Fall haben meine Musiker gesagt, das passt, das hören wir in dem Song. Und auf der Bühne ist es Wahnsinn. Ein derart ruhiges Lied. 8000 oder 10.000 Leute in einer Halle – und du fängst an, mit einer Akkustik-Gitarre alleine ein Lied zu spielen. Das ist ein ganz massives positives Erlebnis. Ich bin unglaublich stolz darauf.

So!: Nach einer Hallen-Tour machen Sie im Sommer eine Reihe von Open Airs, meist an recht romantischen Orten. Wer hat denn die Locations ausgewählt?
Garvey: Ich arbeite schon sehr lang mit der Marek-Lieberberg-Agentur zusammen. Mareks Team und Josephine, meine Managerin, sind einfach die Städte durchgegangen und haben gesucht, was am besten zu mir passen könnte. Es war also eigentlich ihre Entscheidung. Ich fühle mich nicht verantwortlich, in jeder Situation das Sagen zu haben. Bei der Festival-Tour habe ich einfach gesagt: Überrascht mich! Ich bin sehr gespannt. Ich habe lange keine Sommer-Festival-Tour mehr gemacht und habe jetzt total Lust drauf. Das wird super!

So!: Was ist für Sie das Besondere an Open-Air-Konzerten?
Garvey: Diese Tour ist schon deshalb besonders, weil ich so lange keine Sommer-Konzerte mehr gespielt habe. Es ist einfach eine geile Abwechslung zu den Hallen-Konzerten. Du stehst unter dem blauen Himmel und genießt es einfach. Ich war in den letzten paar Jahren eingeschlossen von kalten Wänden, immer im Studio, bei Plattenaufnahmen oder bei der Fernsehshow „Voice Of Germany“. Die einzige Erinnerung, die ich an die letzten Sommer habe, waren ein, zwei Festivals. Das ist zu wenig Erinnerung an schöne sonnige Tage! Ich will mehr davon! Auf einer Bühne zu stehen vor Tausenden von Menschen und die Sonne scheint und alles ist genau, wie man sich das vorstellt. Das gehört zum Rock’n’Roll, das will man unbedingt jedes Jahr einmal erlebt haben. Auch das Publikum kommt mit einer ganz anderen Energie als im Winter in einer Halle: In der freien Luft kommt man in einer ganz anderen Stimmung beim Konzert an. Ich genieße das total.

So!: Hoffen wir, dass das Wetter dann auch passt.
Garvey: Ja, klar. Wenn es regnet, ist es wieder anders. (lacht)

So!: Jedes Mal, bevor Sie auf die Bühne gehen, beten Sie. Gibt Ihnen der Glaube Kraft bei dem, was Sie tun?
Garvey: Ja, absolut. Ich glaube, jeder muss seinen Weg finden. Ich werde jetzt also nicht anfangen zu predigen, aber ich habe eine starke Beziehung zu Gott. Ich bin ein religiöser Mensch, ich bin ein gläubiger Mensch, obwohl ich nicht zu einer Kirche gehöre. Ich habe Jahre gebraucht, um meinen Glauben zu finden. Er verstärkt mich und er hat mich auf jeden Fall schon durch vieles getragen. Ich bin froh, dass ich das habe. Der Glaube erfüllt mich dort, wo bei vielen eine Lücke ist. Das ist nicht einfach zu erklären. Man muss es zunächst einmal wollen und suchen, bevor man es finden kann.

So!: Und dann kann man sich darauf verlassen, dass es da ist, wenn man es braucht.
Garvey: Ja. Ich habe immer bewundert, was Gott alles schaffen kann – und trotzdem war ich der Meinung, dass er nicht mit uns kommunizieren kann. Denn viele predigen ja: Dafür sind wir nicht würdig genug. Aber heute sage ich: Nein, das ist nicht wahr. Wenn man mit Gott kommunizieren möchte, dann kann man das auch. Er ist im Leben – und durchaus real – der stärkste Kumpel, der immer zu dir steht. Wenn man durch harte Zeiten geht, helfen einem Freunde. Und zusätzlich ist er da. Mal ehrlich: Wer ist stärker als Gott?

So!: In „Candlelight“ geht es um eine lebensbedrohliche Krankheit, die Sie als Kind überstehen mussten. Damals hat Ihnen Ihr Vater die Stärke gegeben, weiterzukämpfen.
Garvey: Ja.

So!: Wie kam es dazu, dass Sie dieses Erlebnis jetzt im Song verarbeitet haben?
Garvey: Ich war mit James Walsh im Studio, dem Sänger von „Starsailor“. Und wir fanden dieses gemeinsame Thema eines solchen Erlebnisses in unserer Kindheit. Das Album „Pride“ ist ja getragen von einer Ehrlichkeit, die ich bisher nicht immer verwirklichen konnte, weil ich vielleicht die falschen Themen zum Inhalt meiner Songs gemacht habe. Als ich merkte, dass die Texte passen, dass sich das gut anfühlt, habe ich einfach Themen angesprochen, die ich nie zuvor angesprochen habe. Um ein Lied wie „Candlelight“ zu schreiben, muss man sich in sich selbst wohlfühlen, weil es sehr offen und sehr ehrlich ist. Es ist auch nicht nur aus einer Ecke erzählt, sondern aus der Mitte heraus. Ich glaube einfach, dass es die Platte hergegeben hat, so ein Lied zu tragen.

So!: Ihrem Vater gefällt das Lied?
Garvey: Ja, ihm gefällt es gut. Mein Vater steht meiner Musik oft sehr kritisch gegenüber. Wenn er mich auf Tour besucht, dann merkt er aber, welche Energie Live-Musik entfalten kann im Vergleich zu dem, was er sonst hört.

So!: Sie vertrauen dem Musikgeschmack von Til Schweiger. Warum gehen Sie mit neuen Songs immer zu ihm?
Garvey: Das ist nun schon zur Tradition geworden. Das habe ich bei den letzten vier Platten immer so gemacht. Ich finde, Til hat einfach gute Ohren. Er hört die Musik und entwickelt eine gute Meinung dazu. Klar ist es wichtig, auch andere Meinungen zuzulassen und nicht auf seiner eigenen Meinung zu beharren. Man bekommt seine eigene Meinung immer durch Information. Ich bin nicht der Typ, der sagt: Ich weiß alles. Also habe ich zwei, drei Leute, die mir ihre Meinung mitteilen. Das schätze ich sehr. Im Endeffekt bilde ich mir dann daraus meine eigene Meinung. Til könnte also nichts sagen, was mich dazu bewegen würde, ein spezielles Lied auf die Platte zu bringen oder wegzulassen. Aber wenn er einen Song gut findet, den ich auch gut finde, dann ist das für mich eine wichtige Bestätigung. Ich freue mich dann auch. Ein bisschen Bestätigung braucht man schon manchmal, wenn man schwierige Entscheidungen treffen muss.

So!: Auf „Pride“ geht es auch um die schönen kleinen Dinge des Alltags. Wie aufmerksam muss man durchs Leben gehen, um diese auch zu entdecken?
Garvey: Sehr oft ist man blind dafür. Aber wenn man anfängt, einen neuen Song zu schreiben, dann ist man auf einmal wieder wach. Es wird natürlich nicht aus jedem Erlebnis ein Lied. Man zweifelt manchmal. Manche Lieder werden nicht so stark, wie man erwartet hatte. Am Anfang dachte man, das wird unglaublich beeindruckend, aber dann ist es doch nichts. Es ist ein Prozess. Und ich glaube, oft wird dir der kleinste Tropfen Wasser nichts bedeuten. Dann aber, wenn jemand weint, und der Tropfen zur Träne wird, kann diese Träne alles bedeuten. Man muss einfach darauf achten, den Unterschied zu sehen zwischen dem, was wirklich wichtig ist, und dem, was nur normaler Tagesablauf ist.

So!: Ihr Kinderhilfswerk „Saving An Angel“ wird jetzt 15 Jahre. Zeit für eine kurze Bilanz.
Garvey: Immer nach vorne schauen, sage ich (lacht). Ich finde, dass wir schon viel geschafft haben. Und ich bin auch wahnsinnig stolz darauf. Auch auf andere Projekte wie „Clearwater“, die Zusammenarbeit mit „Die Arche“ oder „Dunkelziffer e.V“ oder „Kindernothilfe“. Das sind alles tolle Projekte, in die ich involviert war. Aber: Es gibt immer noch wahnsinnig viel zu tun. Ich weiß, was wir geschafft haben und bin stolz darauf. Ich nutze das oft, um anderen zu zeigen, was man bewegen kann, um sie zu überzeugen mitzumachen. Im Endeffekt ist die Stiftungsarbeit ein Segen. Ich bin froh, dass ich überhaupt diese Kraft habe.

So!: Eine Kraft, die auf Ihren Erfolg aufbaut.
Garvey: Natürlich gibt mir mein Erfolg die Möglichkeit, Dinge zu bewegen. Erfolg ist aber nicht, dass mich Leute auf der Straße erkennen. Erfolg ist die Gabe, das Licht dahin zu richten, wo wir hingucken müssen. Und dann zu sagen: Das geht nicht, hier müssen wir was ändern. Ich schaffe das gerade so für die Projekte, die ich mache. Ich bin aber froh, dass so viele andere sich auch für tolle Projekte engagieren und unterstütze auch sie gerne. Es ist einfach eine gemeinsame Welle von vielen, die etwas Gutes tun wollen. Wenn man es an die große Glocke hängt, wird einem vorgeworfen: Du machst das halt für dein Image. Aber ich hoffe, ich habe nach all den Jahren gezeigt: Nein, diese Arbeit ist nicht fürs Image, sie ist mein wahrer Erfolg. Ich glaube, es ist meine Aufgabe als jemand, der im Hauptlicht steht, das zu nutzen. Ich habe die Möglichkeiten, die Kraft und die Kompetenz – und ich habe mich dafür entschieden. Es ist eigentlich die Verantwortung von jedem, der das kann, es auch zu tun – auch wenn sich viele dagegen entscheiden. Ich genieße es. Ich freue mich über jeden Erfolg meiner Stiftung.

So!: Und wenn Sie etwas machen, dann immer mit hundert Prozent?
Garvey: Ja, weil sonst hast du nicht die Kraft. Fünfzig Prozent Einsatz erreichen nur fünfzig Prozent Erfolg, das wäre zu wenig. Ich bin gerne mit hundert Prozent dabei.

So!: Was empfinden Sie im Urwald von Ecuador, wenn Sie dort mit Ihrem „Clearwater-Project“ versuchen, die Sünden milliardenschwerer Öl-Konzerne auszubügeln?
Garvey: Ich beschäftige mich wenig mit den Öl-Konzernen. Ich habe gelernt, dass das Riesen-Ungeheuer sind, die sich selber kontrollieren müssen. Die Kraft, die ich brauchen würde, um die Öl-Firmen anzugehen, würde so viel weniger bringen, als die Kraft, die ich verwende, um diese Wasser-Einheiten dort hin zu bauen. Meine Aufgabe ist, das zu nutzen, was in meiner Kraft liegt. Und in meinem Gewissen. Wenn ein CEO eines Öl-Konzerns mit seinem Gewissen leben kann, das andere Menschen sterben nur wegen noch einem Dollar mehr Profit, dann bin ich nicht derjenige, der ihm sagen kann, was er zu tun hat. Er muss selbst mit seiner Verantwortung fertig werden. Er trägt sie eben auch alleine. Auch wenn er sagt, es sei die Verantwortung eines Komitees von zehn oder zwanzig oder fünzig oder tausend Menschen: Am Ende trifft immer einer die Entscheidung. Und der muss damit leben können. Meine Aufgabe ist es nicht, ihn zu überzeugen. Meine Aufgabe ist es, seine Fehler wieder gutzumachen und den Menschen sauberes Wasser zurückzugeben. Sauberes Wasser ist ein Menschenrecht, auf das alle Anspruch haben. Wenn Leute da weggucken und sagen, der Dollar ist wichtiger, dann habe ich das Gefühl: Diese Leute müssen erst einmal sich selber retten. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin sehr glücklich mit dem, was ich mache. Politisch gesehen war ich immer zu naiv. Da, wo ich jetzt stehe, fühle ich mich wohl, weil ich weiß: Das kann ich.

Interview: Andrea Herdegen

Kurz & knapp
Rea Garvey, 1973 geboren, wuchs in der irischen Stadt Tralee im County Kerry mit sieben Schwestern auf. 1998 verließ er Irland und kam nach Deutschland. Wenig später fand er per Zeitungsannonce vier Musiker und gründete mit ihnen „Reamonn“. Gleich mit der ersten Single „Supergirl“ landete die Formation einen Hit und blieb jahrelang erfolgreich. 2010 wurde allerdings die Auflösung von „Reamonn“ beschlossen. Rea Garvey arbeitet seither als Solo-Künstler und in Projekten mit wechselnden Kollegen. Im Fernsehen war er in der Casting-Show „The Voice Of Germany“ zu sehen. Der sozial stark engagierte Künstler lebt zusammen mit seiner Frau und seinen Töchtern in Berlin und im hessischen Hadamar. Seine aktuelle CD heißt „Pride“, er wird sie bei Open Airs unter anderem in Ebern (Schloss Eyrichshof, 18. Juli) und Chemnitz (Wasserschloss Klaffenbach, 26. Juli) vorstellen.