Wien – „Gemma, gemma, gemma, gemma!“ Mit grantiger Miene schaut sich Wolfgang Ambros die Invasion in seiner Garderobe in der Wiener Stadthalle an. Langsam trudelt ein gutes Dutzend deutscher Journalisten herein. Es ist ein Mittwoch im März, eine Stunde vor Beginn der letzten Watzmann-Aufführung in der österreichischen Hauptstadt. Ambros macht sich keine Mühe zu verbergen, was er von dem Interview-Pflichttermin hält. Aber es muss sein, schließlich führt die Abschiedstournee mit dem Alpen-Musical „Der Watzmann ruft“ im Jahr 2016 auch durch 20 deutsche Städte.

Mehrere schwere Krankheiten, darunter eine schwierige Rückenoperation im Jahr 2014, haben Ambros mitgenommen. Und jetzt hat er sich auch noch drei Rippen gebrochen. Und dann noch die deutschen Journalisten. Ambros ist gereizt. Ganz anders Freund und Weggefährte Joesi Prokopetz und Gailtalerin-Darsteller Klaus Eberhartinger, die ebenfalls in der geräumigen Garderobe Platz nehmen. Sie sprühen vor Energie und guter Laune. Dazu gesellen sich Manager Peter Fröstl und der „Bua“, Christoph Fälbl.
„Darf ich vorstellen, Wolfgang Ambros, Erfinder der Geduld“, beginnt Prokopetz scherzend das Gespräch. Eine Rundfunk-Dame platziert sich mit Mikro in der Mitte des Raums und richtet die erste Frage vorsichtshalber nicht an Ambros, sondern an Prokopetz. Die Frage dreht sich um den politischen Unterbau des „Watzmann“, das Stichwort Luis Trenker fällt. Prokopetz gibt jodelähnliche Töne von sich. Dann reißt er sich zusammen. In der Tat sei der Watzmann anfangs, vor gut 40 Jahren, ein kurzes bäuerliches Kabarettstückl gewesen – gegen Heimatgetue, Blut und Boden, Bergbezwingungen, strenge Väter und „sonstige Rudimente des Faschismus“, fabuliert er sich in die gewünschte Antwort hinein.

Dies dick Aufgetragene kann Klaus Eberhartinger, im Nebenberuf Sänger der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV), so nicht stehen lassen. Er frotzelt in Richtung Prokopetz: „Das ist natürlich der Autor, der versucht, einem Stück, das den Tiefgang eines Trommelfells hat, einen gewissen Sinn zu verleihen.“ – „Hier spricht der pure Neid“, kommt trocken aus der Tiefe des Raums der Kommentar von Wolfgang Ambros, Komponist des Stücks. Prokopetz sei immerhin der Autor einiger „pointierter Gimmicks“, während er, der Eberhartinger, doch nur ein Darsteller sei. Und was Sinnentleerung betreffe, sagt Prokopetz, möchte er auf einen der größten Erfolge von Eberhartingers EAV hinweisen, der im Refrain so gehe: „Ding dong, ding dong, wer steht das vor der Tür, vielleicht ist es der Weihnachtsmann und bringt mir ein Klavier.“ (Großes Gelächter im Raum)
Die Watzmann-Texte, fährt Prokopetz fort, hätten einen leicht dadaistischen Touch. „Man darf ja nicht vergessen, dass die Liedtexte, ja überhaupt das ganze Stück, eigentlich nur entstanden sind, weil wir bis unter den Mittelscheitel bedröhnt waren. Das ist alles Irrsinn und nur lustig, und hat nebenher, weil wir in dieser Zeit gelebt haben, dieses kleine politische und gesellschaftskritische Schwingen.“ Und euphorisch schickt Prokopetz ein „Ding dong, ding dong“ hinterher.

Gerne beantwortet Ambros eine Frage zum Lied „In meinem Herzen“, das die Gailtalerin singt und das dem Eberhartinger immer einen „Batzen Applaus“ einbringt, wie Prokopetz sagt, der im Auftrag des Komponisten Ambros den Text schrieb. Das Lied solle die Gailtalerin nicht nur als Verführerin, sondern als menschliches Wesen zeigen, sagt Ambros.

Die Frage zum Kultstatus und welchem Genre man den Watzmann zurechnen könne, macht Ambros wieder unwirsch. Er geht zum Getränkeschrank, holt sich eine Flasche Bier, öffnet sie und beklagt sich über die „reizende Art der Deutschen“, alles, aber auch wirklich alles in irgendwelche Schubladen stecken zu müssen. „Sie können nicht anders.“ Prokopetz beschwichtigt: „Also, ich mag die Deutschen.“ Ambros souverän: „Aber jo, ich doch auch. Die Hälfte meiner Frauen waren Deutsche, mindestens. Und des woarn a Menge.“
Klare Worte spricht Ambros auch über Manfred O. Tauchen, Mitautor des Stücks, der in den vergangenen Jahren den „Watzmann“ im Münchner Lustspielhaus inszeniert und gespielt hat. Zu dessen Abgang oder Rauswurf beim Original-Watzmann in den 90er-Jahren sei es gekommen, weil Tauchen „immer blöder“ wurde, sagt Ambros. Er sei zum Monster geworden, das er eigentlich immer schon war. Am Ende habe Tauchen es geschafft, sich mit jedem, der wichtig ist im Stück, zu zerstreiten.

Wehmut, dass dies nun die letzte Watzmann-Tour ist?“ – „Nein“, sagt Ambros. Tausendmal sei er jetzt schon auf der Bühne gestanden und habe den Prolog „Hoch droben, geduckt unter der Last des mächtig aufragenden Massivs des Watzmann“ gesprochen. Das reiche. Andererseits: „Man darf die Macht der Geister da draußen nicht unterschätzen.“ – Wenn nämlich 40 Leute anfangen zu sagen „ja, machen wir doch den Watzmann mal wieder“.

Tourmanager Peter Fröstl meldet sich zu Wort, mit der Bitte, „auf die Tube zu drücken“. Und Ambros stellt in Richtung der sich nur langsam entfernenden Gäste klar: „Das ist meine Garderobe!“ Derweil wedelt Joesi Prokopetz mit einem weißen Wäschebündelchen, eine Art Stützhemd, und beschwört den Freund: „Geh Wolfgang, ziag halt des Leiberl o, ziags halt o.“ – Ambros zeigt sich beratungsresistent: „Na, i ziags ned o“. Es sei ihm unangenehm, das „Leiberl“ zu tragen. „Dann ziag des Leiberl wenigstens daham o“, gibt Prokopetz nicht nach. Fast schon rührend kümmert er sich um den Freund, den er seit 1968 kennt. Einblicke in das enge Verhältnis zwischen Ambros und Prokopetz erhält man auch, wen man sich die Laudatio anschaut, die Prokopetz gehalten hat, als Ambros im vergangenen Jahr das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich erhielt. Die 15-minütige Rede ist auf Youtube zu sehen.

Überhaupt: Prokopetz. Im Gegensatz zum gleichaltrigen, gebrechlich wirkenden Ambros ist dessen 64-jähriger Freund ein Energiebündel, ist Buchautor und tourt nebenbei mit einem Kabarettprogramm durch Österreich und Süddeutschland. Wenige Stunden vor dem Interview in der Garderobe von Ambros hat er sich zusammen mit Peter Fröstl auf eine Fiakerfahrt mit den Journalisten begeben und ist mit ihnen ins Cafehaus „Gutruf“ eingekehrt, einem legendären Wiener Lokal, das aber anders als das „Hawelka“ oder das „Cafe Central“ nicht zu einem überlaufenen Touristentreff geworden ist. Echte Wiener Küche wird hier geboten, zubereitet von einem echten chinesischen Koch, der perfekt wienerisch spricht.

Und bei Kalbsgulasch erzählt Prokopetz wer weiß zum wievielten Mal die Entstehungsgeschichte des Watzmann, schimpft auf den ORF, der keinen Ambros und keinen Danzer spiele, macht sich lustig über das Werbefernsehen, erklärt den Unterschied zwischen Melange und Capuccino (Melange ist kräftiger) und erinnert an die großen Jahre des Cafehauses Gutruf, als Helmut Qualtinger oder Thomas Bernhard hier verkehrten, ebenso wie die 2005 verstorbene Rotlicht-Größe Heinz Werner Schimanko oder der Lucona-Versenker Udo Proksch.

Prokopetz hat sich inzwischen eine Zigarre angezündet und und einen Gang ins eher Gemütliche zurückgeschaltet. Zur Wirtin ruft er: „Frau Susanne, i hätt gern an kloan Schwoarzn und a Stückerl Zucker.“