Länderspiegel Lehren aus einer düsteren Vergangenheit

Andrea Herdegen
Vivian Perkovic Foto: Andrea Herdegen

Vivian Perkovic ist auf den Spuren von Hitlers "Mein Kampf" unterwegs. Ein Filmteam hat sie bei ihren Recherchen begleitet.

 
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Bayreuth - Rassistisches Pamphlet, Bekenntnis zu einer weltgeschichtlichen Mission oder Wirklichkeit gewordener paranoider Science-Fiction-Roman? Antworten wie diese hat die Journalistin Vivian Perkovic erhalten, als sie 90 Jahre nach dem Erscheinen des Buches "Mein Kampf" von Adolf Hitler Experten für eine filmische Dokumentation befragte. Vom Verfasser gedacht war das 800 Seiten starke Werk als "das politische Lebensbuch aller Deutschen - für alle Ewigkeit". Oder, wie es Dr. Christian Hartmann vom Münchner Institut für Zeitgeschichte im Film beschreibt: "Als nach dem Putsch alles gescheitert scheint, erfindet Hitler eine Weltanschauung für die NSDAP." Da auch viel Biografisches enthalten ist, sei das Buch zudem ein Akt der Selbstfindung für Hitler gewesen.

Durch den Aufstieg der Nazi-Partei habe sich das Buch bis Januar 1933 eine Viertelmillion Mal verkauft. Hitler sei dadurch zum Millionär geworden, er habe sich teure Häuser geleistet - "und alles vom Feinsten". Bis 1944 stieg die Gesamtauflage auf 10,9 Millionen Stück.

Warum erfährt dieses Buch auch heute noch so große Aufmerksamkeit, obwohl es schon damals kaum gelesen wurde? Dieser Frage geht die Journalistin, begleitet von der Kamera, nach, befragt Historiker und Wissenschaftler in Deutschland und Österreich. "Mein Kampf - Programm eines Massenmörders" heißt der Film, den Regisseur Klaus Gietinger gedreht hat. Vivian Perkovic stellte ihn am Freitagabend bei der Bayreuther Volkshochschule vor und leitete die anschließende Diskussion.

70 Jahre lang war der Nachdruck des Buches verboten. Anfang dieses Jahres sind die Urheberrechte abgelaufen. Daher hat das Institut für Zeitgeschichte eine kommentierte Ausgabe herausgebracht. Über drei Jahre lang arbeiteten die Wissenschaftler daran: Durch die Gegenrede ist Hitlers "Fahrplan zur Macht" fast doppelt so dick als vorher.

"Kampfmittelräumdienst" steht an der Tür, hinter der die Fachleute sich sehr kritisch mit diesem Werk befassen. Perkovic besucht sie für den Film, fragt nach der aktuellen Relevanz von "Mein Kampf". "Es sind immer noch verführerische Angebote darin enthalten, die von ihrer Gefährlichkeit nichts verloren haben", sagt Hartmann. Die Grundideen lieferten noch immer Argumente für Menschen mit rechtsradikaler Gesinnung.

Die Journalistin besucht Orte aus Hitlers Lebenslauf. So reist sie von München nach Wien, nach Nürnberg und Berlin. In Hitlers Geburtsort Braunau am Inn trifft sie Bezirkshauptmann Georg Wojak, der betont, dass man sich hier der geschichtlichen Verantwortung sehr wohl bewusst sei. Zu Hitlers Geburtshaus sagt er: "Ich bedauere sehr, dass die Amerikaner bei der Befreiung von Nazi-Deutschland vergessen haben, dieses Haus dem Erdboden gleich zu machen."

Über den staatlichen Kranken- und Behindertenmord, der als "Euthanasie" beschönigt wurde, spricht Vivian Perkovic mit dem Historiker Götz Aly. "Hitler hat in seinem Werk den Geist der Zeit formuliert", sagt Aly. Die Vernichtung sogenannten unwerten Lebens sei aber bereits vorher in Büchern anderer Autoren formuliert gewesen. Die Euthanasie-Morde seien in der Gesellschaft ein offenes Geheimnis gewesen. Hitler habe gesehen, dass niemand dagegen aufbegehrte. Deshalb habe er sich wohl gedacht: Wenn das möglich ist, dann ist auch die Vernichtung einer Minderheit ohne Protest möglich.

"Dieses Buch ist heute noch gefährlich, man braucht nur das Wort ,Rassenkampf' als ,Kampf der Kulturen' übersetzen", sagt eine Diskussionsteilnehmerin anschließend. Ein Bayreuther Schüler aus der zwölften Jahrgangsstufe stellt fest, dass es erschreckend sei, wie die gleiche Propaganda heute noch funktioniere. Das erkenne man an Pegida, Donald Trump und anderen Populisten. Vivian Perkovic erzählt, dass sie für den Film herumgereist sei, als gerade die Populisten groß wurden. "Unser Thema wurde plötzlich so aktuell, wie es vorher gar nicht abzusehen war." Als Nachwort gibt sie ihren Zuhörern in Bayreuth einen Satz mit: "Die Demokratie muss heute mehr verteidigt werden als je zuvor."

Info

Der 90-minütige Film "Mein Kampf - Programm eines Massenmörders" ist in der Mediathek des BR zu finden.


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