Länderspiegel "Unsere Gesellschaft ist polarisiert"

Interview Quelle: Unbekannt

Nein, Kanzlerkandidat zu werden, hätte ihn nicht gereizt, sagt Horst Seehofer. Ob er 2018 wirklich aufhört, lässt der bayerische Ministerpräsident aber weiter offen.

 
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Herr Seehofer, kurz vor dem Jahreswechsel hat der verheerende Anschlag von Berlin die Republik erschüttert. Wird der 19. Dezember das Land verändern?

Das Land hat sich bereits verändert. Unsere Gesellschaft ist polarisiert. Die Menschen überall in Deutschland machen sich Sorgen um ihre Sicherheit und die kulturelle Identität unseres Landes. Wir müssen 2017 alles tun, um die Gesellschaft wieder zusammenzuführen, und dazu gehört, die offenen Fragen in der Sicherheits- und Zuwanderungspolitik zu beantworten und das Notwendige auch umzusetzen.

Welche Themen werden den Bundestagswahlkampf dominieren?

Sicherheit, mit Abstand. Das ist das Thema, das die Menschen am meisten berührt. Natürlich bleibt auch das Thema Zuwanderung und die Folgen: Die Bevölkerung stellt die Frage, wie gewährleisten wir, dass sich das Jahr 2015 nicht wiederholt. Wir haben diverse Fragen in der Außenpolitik, die geklärt werden müssen: unser Verhältnis zur Türkei, unser Verhältnis zu Russland, zu den USA. Wir haben diverse Krisenherde wie Syrien und die Ukraine. Und auch die Europäische Union macht mir noch große Sorgen.

Wie sehen Sie künftig Deutschlands Rolle in der Welt?

Ich bin dagegen, dass wir das alte Blockdenken praktizieren, die einen als die Guten und die anderen als die Bösen einteilen. Viele der sogenannten Meinungsführer in der Bundesrepublik kritisieren Putin wie Trump genauso wie die Österreicher und die Briten. Ich frage mich, was diese dauernde Schlechtrederei eigentlich bringen soll. Bei der Türkei wiederum habe ich den Eindruck, dass man dort viele Dinge toleriert, die man nirgendwo sonst tolerieren würde - weil die Türkei in der Flüchtlingspolitik einen Großteil der Arbeit in unserem Interesse tut.

Zur Innenpolitik: Der Unions-Streit über die Flüchtlingspolitik hat das zu Ende gehende Jahr geprägt. Wird es jemals wieder sein wie vorher? Oder bleibt die Union beschädigt?

Nein, einen dauerhaften Schaden sehe ich nicht. Normalisierungsprozesse finden allerdings nicht statt durch Ankündigungen, sondern durch Tun. Das weiß man doch aus dem Privatleben: Ankündigungen, ab morgen bin ich freundlich, sind wertlos. Es muss stattfinden in der Praxis. Eine inszenierte, gekünstelte Partnerschaft würde doch sofort durchschaut. Deshalb sind wir beide uns sicher, die Kanzlerin und ich, es muss eine ehrliche Normalisierung stattfinden. Deshalb braucht es auch Zeit. Viele fragen uns: Könnt ihr euch nicht mal übers Wochenende zurückziehen und ab Montag ist wieder alles anders? Das ist eine sehr kindliche Vorstellung. Eine Normalisierung ist möglich, wenn wir unsere inhaltlichen Differenzen aufarbeiten. Und ich glaube auch daran, dass dies gelingen kann. Wenn die CSU am Ende den einen oder anderen eigenen Akzent setzen wird, ist es auch kein Schaden.

Wie oft haben Sie in den Hoch-
Zeiten des Streits mit CDU und Kanzlerin darüber nachgedacht, die Unions-Ehe zu scheiden?

Natürlich treibt es einen um, wenn es so signifikante Meinungsunterschiede gibt. Aber ich bin immer zu der Überzeugung gekommen, dass die Trennungsverluste weitaus größer wären.

Hätte es Sie nicht gereizt, selbst Kanzlerkandidat zu werden?

Nein. Man ist gut beraten, wenn man sich klar darüber wird, auf welcher Treppenstufe man am besten steht.

Also reizt Sie nicht die nächsthöhere Stufe?

Ich habe zwei fantastische Ämter, die allerdings sehr beanspruchend und fordernd sind. Aber daraus entsteht nicht der Ehrgeiz, noch ein Treppchen höher zu steigen. Zu meiner politischen Zielsetzung gehört: Ich will der erste Politiker der Bundesrepublik Deutschland sein, der den Generationswechsel organisch hinbekommt - wann immer der Zeitpunkt dafür auch gegeben sein mag.

Was ist es eigentlich, was Sie nach so vielen Jahrzehnten noch antreibt in der Politik? Oder können Sie einfach nicht loslassen?

Ich bin schon so ein sprichwörtlicher Parteisoldat. Mein ganzes politisches Leben ist die CSU. Das ist für mich ein Herzstück. Und man reißt sich selbst ja nicht das Herz raus. Es gibt ein Leben nach der Politik, aber das will man doch in Zufriedenheit führen, auch über das, was man hinterlässt. Ich will nicht in gebückter Haltung durch Bayern gehen müssen und hoffen, dass mich keiner erkennt, weil meine politische Hinterlassenschaft gramvoll wäre.

Die Gefahr des Verlustes der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2018 besteht aber, schon wegen der AfD. Fürchten Sie um Ihr Erbe?

Fest steht: Die CSU muss zum Zeitpunkt der Wahl 2018 in bester personeller und inhaltlicher Verfassung sein. Ich bin Anfang 2013 - das war auch ein Schicksalsjahr für uns - gefragt worden, ob ich der erste Parteivorsitzende sein will, der die CSU in die Opposition führt. Die Frage war gar nicht so unberechtigt nach den damaligen Umfragen. Der Gegenkandidat war stark - und trotzdem wurde es ein goldenes Jahr für uns. Bundes- und Landtagswahl haben wir gewonnen. Jetzt richten wir alles auf die kommenden beiden Jahre aus, damit die genauso laufen.

Viele nennen Sie den Querulanten aus Bayern, den großen Populisten. Was sagen Sie dazu?

Das Verschweigen von Problemen fördert den Radikalismus in der Politik weit mehr als das Ansprechen. Ich kenne die Kritiker alle. Wenn ich ihnen in Berlin gegenübersitze, frage ich manchmal: Habt ihr schon mal eine große Wahl gewonnen? Eine Wahl ist eine Legitimation, es gibt keine stärkere in der Politik. Niemand dieser Kritiker kann da auf einen Erfolg als Spitzenkandidat verweisen. Trotzdem sagen die gerne so etwas.

Ist Populismus für Sie ein negativ oder positiv besetzter Begriff?

Populismus als bevorzugtes Politikelement lehne ich ab. Das heißt ja, dass man populistisch alles problematisiert, aber keine Lösungen anbieten kann. Dass allerdings jeder Politiker, ausnahmslos, gelegentlich populär spricht, auf Marktplätzen, in Bierzelten, vor vielen Menschen, das ist erlaubt und in Ordnung. Aber Populismus als Politikersatz lehne ich entschieden ab.

Trifft es Sie nicht persönlich, als Populist bezeichnet zu werden?

Manchmal denke ich: Was sollen die Menschen denn auch anderes denken? Sie lesen pausenlos über diesen Bayern, den Querulanten, diesen Störenfried. Ich kann doch von niemandem verlangen, dass er sich die Mühe macht, sich darüber hinaus zu informieren. Wenn mir die Menschen persönlich begegnen, in Thüringen, Nordrhein-Westfalen oder Berlin, höre ich danach im Regelfall den Satz: "Sie sind ja ganz anders." Damit muss man also leben. Entscheidend ist: Wir haben mit unserer Politik Erfolg, und die tatsächliche Entwicklung gibt uns mehr als recht.

Was haben Sie für Träume oder Albträume?

Ist das jetzt gefühllos oder kalt, wenn ich sage, ich habe weder Träume noch Alpträume? Mein wichtigster persönlicher Wunsch ist, dass die Familie von Schicksalsschlägen verschont bleibt. Das ist entscheidend. Ich habe ja auch schon andere Zeiten durchlaufen. Jeder gesunde Tag ist ein Gewinn, ein Geschenk - bei uns allen. Mit politischen Gegnern oder Konkurrenten setze ich mich auseinander - das beschäftigt mich aber nicht persönlich. Das Gespräch führten

Christoph Trost und Marco Hadem

Zur Person

Horst Seehofer, 67, ist Vorsitzender der CSU und seit Oktober 2008 bayerischer Ministerpräsident. Zuvor war der gebürtige Ingolstädter mehrere Jahre Mitglied der Bundesregierung, zunächst als Gesundheitsminister (1992 bis 1998), dann als Landwirtschaftsminister (2005 bis 2008).

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