Vielen von uns Deutschen will es scheinen, als wäre nirgends sonst derart viel erlesene Musik entstanden wie in unserm Land. Wirklich prunken wir mit Bach, Schütz, Telemann, mit Brahms, Wagner und Stockhausen, mit Beethoven, versteht sich, der zwar ein sogenannter Wiener Klassiker, aber eben doch ein gebürtiger Bonner war. Um nicht im eigenen Saft zu schmoren, wenden wir uns gern zugleich der Tonkunst anderer Nationen zu, schätzen Italiener wie Verdi und den Franzosen Debussy, Russen wie Rachmaninow, den Böhmen Dvorák, Amerikaner wie Gershwin oder Bernstein ... Hingegen England? Da fällt uns Händel ein, der indes aus Deutschland stammt. Wer weiter über den germanischen Tellerrand schaut, fasst noch Purcell, Britten und Vaughan Williams in den Blick. Aber sonst? Natürlich Edward Elgar: Von ihm lassen wir uns die Märsche "Pomp and Circumstance" gefallen, und CD-Sammler besitzen vereinzelt sein Violinkonzert. Elgars Symphonien jedoch, die beide zu den grandiosesten des 20. Jahrhunderts zählen, führt hierzulande kaum je ein Orchester auf; prima, dass die Hofer Symphoniker es am Freitag wagten, mit beachtlichem Erfolg (siehe Rezension links). Fast völlig allerdings übergehen wir Meister wie Delius und Holst, Ireland und Moeran, Walton oder Tippett. Auch eine Tonsetzerin, Ethel Smyth, dürfen die Insulaner zu ihren Besten zählen, an deren Spitze der große Frank Bridge rangiert. Wir unterschätzen sie nicht; wir nehmen sie gar nicht erst wahr als imponierenden Bestandteil des europäischen Klangerbes. Soweit es die Komponisten betrifft, haben wir auf dem Kontinent den Brexit für die Briten längst vollzogen. Wenn im Herbst der Engländer Simon Rattle als Chefdirigent von Berlin nach London wechselt, will er dort verstärkt Tonkunst seiner Heimat aufführen. Eine "Goldgrube" nannte er unlängst die britische Musik. Nur wird Britanniens eigener edler Saft wohl auch weiterhin fast nur auf der Insel schmoren.