Hof – Im Sprechtheater wird gesprochen. Aber manchmal zu viel. Natürlich muss man reden darüber: dass, wer im Dorf „dazugehören“ will, sich gefälligst „anpassen“ soll oder ins Abseits gerät. Abram passt nicht, denn er ist „andersum“ und hat gesessen deswegen. Das Schwulsein, sagt Maria, die Abram als Untermieter beherbergt, ist „nicht schlimm“, nur „halt nicht schön“. Trotzdem: „Der muss weg.“ Denn Abram hatte die Hand in der Hose des hirnschwachen Rovo. Auch von Tonka, der „Hur“, hätte er mal schön die Finger lassen sollen. In die Enge getrieben von ihr, sticht er sie ab: Ein Kind hat er ihr gemacht, keines der Liebe – er wollte nur zeigen, dass auch er „dazugehört“ zu den „richtigen“ Männern.

In den „Jagdszenen aus Niederbayern“, dem Meisterstück des erst 22-jährigen Martin Sperr von 1966, heißt das Kaff, wo all das 1948 geschieht, Reinöd. Rein wünschen es sich die Nachkriegs-Hinterwäldler, anständig sauber. Eine reine Öde ist es auch in der Inszenierung, die das Theater Schloss Maßbach am Montag in Hof den Bayrischen Theatertagen beitrug. Auf einem Karree, kahl und wüst zwischen erdbraunem Sackleinen, hat Bühnenbildner Peter Picciani sechs archaische Steinfiguren postiert, übermannshoch und marmorweiß, monströse Fratzenbilder unmenschlicher Selbstgerechtigkeit: Mit großen Brüsten oder dicker Hose oder gefalteten Händen stehen sie für die flatterhafte Dorfschöne, den geilen Jungknecht, den bigotten Geistlichen … – überhaupt für die „ehrlichen, braven Leut“. Die geben erst Ruh, wenn sie sechs Gefährder ihrer trübungsfreien Friedhofsruhe zur Strecke gebracht haben, tot oder lebendig, zuallererst Abram. Als „Fehler der Natur“ weiß er nicht ein noch aus: „Wo soll ich denn hin?“

Ein Volksstück, ursprünglich ein bayerisches. Die Mundart aber trieb ihm Regisseur Christian Schidlowsky wohlweislich aus. Denn die Abwehrbereitschaft, wie sie einst die Schwulen erdulden mussten, schlägt heute den Underdogs jeder Provenienz entgegen, und natürlich muss man darüber reden: über die allseitige Zurückweisung von Fremden und Befremdlichen, Geflohenen und Unerwünschten, von Unbehausten, Unnützen, Unpassenden. Darum stimmt das Stück noch heute, und stimmt so, wie Sperr es schuf: knorrig und kantig, unfein aus dem grobem Holz des Hinterwaldes geschnitten.

Aber so spielen es die Maßbacher nicht. Tieferes Profil wünschte sich der Regisseur für die Figuren, wie der Autor selbst es wünschte. Er freilich schrieb, 1971, sein Stück nicht um, sondern schilderte den Stoff in einer Prosageschichte noch einmal, mag sein: genauer. Aus beiden Versionen mischte Schidlowsky eine eigene Fassung mit Verfremdungseffekt, in der die Figuren nicht einfach spielen, sondern sich überdies beharrlich erklären. Das ist vielleicht nicht „schlimm“, aber halt auch „nicht schön“: Denn oft teilen sie mit, was der Zuschauer ohnehin sieht, und vielfach enthüllen sie, was Sperr im Stück nicht ohne Grund ungesagt zwischen den Zeilen und den Figuren beließ. Jetzt aber zerreden sie die bornierte Schlichtheit der Biederleute, die profunde Hilflosigkeit der Ausgestoßenen. Solche Dramaturgie gebiert ein Sprechtheater der Redseligkeit.

Mehr Interesse verdient das zweite Experiment: Die zwölf Rollen hat der Regisseur mit nur sechs Akteuren besetzt. Im fliegenden Charakter- und Kostümwechsel treten sie sowohl als Dorfphilister wie als das Halbdutzend „Überflüssiger“ unter ihnen auf. Benjamin Jorns und Anna Schindlbeck ragen hervor: Ihre letzte Begegnung als Abram und Tonka wächst sich hochexpressiv aus zu einer Reiberei zwischen Liebe und Furcht, zur Rangelei auf Leben und Tod. Kaum aber, dass sich die beiden und die übrigen in ihre Zerrspiegelbilder ländlich-sittlicher Ehrbarkeit verkehren, verstümmeln sie sich zu peinlichen Karikaturen: Da wird chargiert auf Teufel komm raus. Das ist „nicht schön“ und ziemlich „schlimm“ sogar.

Zum Schluss gibt’s „Freibier für alle“ – in Maßbach, nicht bei Martin Sperr. Sein Stück hätte man gern mal wieder gesehen.
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? Heute bei den Theatertagen: Ralf N. Höhfeld, „100 Meter“, Jahnsporthalle, 11.30 und 14 Uhr. Lutz Hübner: „Frau Müller muss weg“, Studio, 19.30 Uhr. Michel Houellebecq/Remsi Al Khalisi: „Unterwerfung“, Großes Haus, 19.30 Uhr. Bernd Plöger: „Dschihad One-Way“, Rehau, Schülerwohnheim, 20 Uhr.
? Internet: www.bayerische-theatertage.de