Münchberg Gebürtige Hoferin läuft drei Marathons im Zimmer

Anja Elstner, in Hof geboren und in Münchberg aufgewachsen, hat in Singapur zwei Wochen in Quarantäne verbracht. Die Zeit vertrieb sie sich unter anderem mit Sport - mit Zimmermarathon.

 
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Frau Elstner, warum sind Sie nach Singapur ausgewandert?

Zur Person

Die gebürtige Hoferin Anja Elstner, 44 Jahre alt, ist in Münchberg aufgewachsen. Nach ihrem Abitur studierte sie in Ludwigshafen Betriebswirtschaft. 2002 zog sie nach Singapur, um dort bei einem Chemiekonzern zu arbeiten. Die letzten dreieinhalb Jahre, bis 2019, war sie in Hongkong stationiert, bevor sie auf große Reise ging.

Auf den Zimmermarathon in Singapur war sie nicht unvorbereitet. Üblicherweise geht sie jeden Tag eine Stunde joggen. In Münchberg hatte sie ihre Mutter im Nordic-Walking-Team begleitet, zweimal in der Woche für 90 Minuten. Während ihrer Reise vor dem Corona-Lockdown erkundete sie alle Städte zu Fuß, täglich acht bis zehn Stunden. Im Winter geht sie gerne ins Fitnessstudio oder fährt Ski. Während ihres Aufenthalts in Hongkong war sie regelmäßig wandern.

Im Jahr 2002 bin ich nach Singapur gezogen, um bei einem Chemiekonzern zu arbeiten. Die letzten dreieinhalb Jahre war ich in Hongkong. Andere Kulturen und Sprachen haben mich schon immer fasziniert. Als ich 16 Jahre alt war, nahm ich für drei Monate an einem Schüleraustausch nach Neuseeland teil. Mit 18 Jahren reiste ich nach Südafrika. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich immer unterstützt haben. Mein großer Wunsch war es schon länger, eine Weltreise zu machen.

Hat das geklappt?

Als ich Ende Juli 2019 von Hongkong wieder zu Hause in Singapur ankam, befanden sich meine Sachen noch in den Umzugskisten. Ich dachte mir, dass der Zeitpunkt perfekt sei, um meinen Traum der großen Reise zu verwirklichen. Am 1. September 2019 ging es los. Geplant war eine einjährige Reise durch Europa, Afrika, Ozeanien und noch viele weitere Reisehotspots. Doch als ich gerade das paradiesische Flair der Karibik genoss, breitete sich Corona wie ein unsichtbarer Sturm aus, der die ganze Welt erfasste.

Damit war die Reise zu Ende?

Ich flog zurück nach Deutschland und besuchte meine Schwester in München. Zusammen mit ihr und ihrer dreieinhalbjährigen Tochter zogen wir wieder in unser Elternhaus in Münchberg ein. Nach den vielen Jahren Unabhängigkeit fühlte sich das schon komisch an. Wegen der Kindergartenschließungen passte ich zehn Wochen lang auf meine Nichte auf. Am 25. August 2020 entschloss ich mich, wieder nach Singapur zurückzukehren.

Trotz Corona?

Als Tourist durfte man zu diesem Zeitpunkt gar nicht einreisen. Aber ich hatte dort einen festen Wohnsitz und somit die Einreisegenehmigung. Die Suche nach Flügen gestaltete sich aber sehr schwer. In meinem Flugzeug nach Singapur saßen dann lediglich 15 andere Passagiere. Das ist für eine so große Maschine sehr erstaunlich.

Was erwartete Sie in Singapur?

Es hing vom Herkunftsland ab, in welche Art von Quarantäne man sich begeben musste. Für Deutsche galt, dass man die Quarantäne in Hotelzimmern absitzen musste. Das bedeutete: Man reist ein und hat keine Ahnung, wo man unterkommt. Direkt am Flughafenausgang warteten die Busse. Ich hatte Glück und kam in ein Hotel der Reihe "Resorts World Sentosa". An der Rezeption musste ich meinen Pass abgeben und bekam einen Zimmerschlüssel in Form einer Scheckkarte. Sie funktionierte nur ein einziges Mal zum Aufsperren. Nun war ich 14 Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten. Nur für einen Covid-19-Test durfte ich einmal mein Zimmer verlassen.

Wie war die Versorgung?

Dreimal am Tag wurde mir Essen in Plastikboxen gebracht. Diese wurden vor der Zimmertür auf einem Stuhl abgestellt. Zweimal in der Woche bekam ich neue Handtücher und einmal in der Woche neue Betttücher. Der Roomservice durfte mein Zimmer nicht betreten.

Wie haben Sie sich die Zeit vertrieben?

Ich gehe normalerweise einmal am Tag joggen. Am ersten Tag meiner Quarantäne saß ich nur rum. Irgendwann habe ich angefangen, schnell in meinem Zimmer hin und her zu laufen. Ich hatte eine Strecke von acht Metern zur Verfügung, an Rennen war nicht zu denken, da ich immer wieder abbremsen und die Richtung ändern musste. Abends rief mich eine Freundin an und erzählte mir, dass sie in den sozialen Netzwerken viele Menschen gesehen hat, die in ihrer Quarantäne einen Marathon gelaufen sind. Zuerst hatte ich nicht vor, das nachzumachen.

Warum?

Ich hatte bereits den Sundown-Marathon in Singapur absolviert, Asiens längstes Nachtrennen. Es gewitterte stark, ich wurde pitschnass. Viele Teilnehmer gaben auf, aber ich zog es durch. Doch ich schwor mir, nie wieder einen Marathon zu laufen.

Aber nun saßen Sie in einem Hotelzimmer fest.

Ja, und ich musste ja irgendwie meine Beine bewegen. Als ich an einem Morgen meine asiatischen Nudeln zum Frühstück gegessen hatte, war ich fest entschlossen, es wenigstens mal zu versuchen.

Einen Marathon im Zimmer?

Ich sah es als Selbstexperiment an, wobei mich die richtige Musik auf meinem Handy anspornte. Da es eine spontane Aktion war, hatte ich mich natürlich nicht vorbereitet. Ich hatte nicht mal Laufschuhe dabei. Ich stellte aber fest, dass es sich mit Socken oder barfuß besser läuft.

Wie lange dauerte der Zimmermarathon?

Acht Stunden. Währendessen habe ich nur eine Orange gegessen. Die teilte ich in acht Stücke, und nach jeder Stunde gab es ein Stück quasi zur Belohnung. Als ich schon fast am Ende angekommen war, erhielt ich einen Video-Anruf meiner Eltern. Als ich ihnen erzählte, dass ich gerade dabei war, meinen Zimmermarathon zu beenden, hätten Sie ihre Gesichter sehen müssen. Mein Papa meinte belustigt: "Meine Tochter wird schon verrückt, obwohl noch nicht mal die Hälfte der Quarantäne vorbei ist." Schließlich begleiteten sie mich über Whatsapp-Video über die gedachte Ziellinie. Das war schon sehr speziell.

Haben Sie den Zimmermarathon im Hotel auch wiederholt?

Ja, mir hat es beim ersten Mal so viel Spaß gemacht, und ich hatte ja viel Zeit. Deshalb bin ich noch zwei Marathons gelaufen, ebenfalls jeweils acht Stunden. Nun war ich besser vorbereitet. Freunde haben mir eine riesige Kiste mit Nüssen, Getränken, Büchern und einen Teller Brownies gebracht, Survival-Snacks sozusagen. Es war natürlich schon sehr ungewohnt, dass sich die Umgebung nie änderte. Ich rannte alle zwei Sekunden am Sofa und am Bett vorbei. An das ständige Abbremsen gewöhnte ich mich, und die Beine fingen an, von alleine zu laufen. Die Kurven wurden fast zur Meditation, und damit mir nicht langweilig wurde, habe ich mir Podcasts angehört. Einen Vorteil hatte der Zimmermarathon: Während es draußen stark regnete, schien in meinem Hotelzimmer konstant die Zimmerbeleuchtung, bei Temperaturen um die 23 Grad.

Wie haben Sie sich motiviert?

Abgesehen von den Snacks, die ich mir immer nach einer bestimmten Zeit gegönnt habe, war es wohl ein Mix aus Willensstärke und einer Art Selbstdeterminiertheit: Ich wollte mir beweisen, dass ich es schaffen kann. So hat man auch in der Quarantäne die Möglichkeit, etwas Besonderes zu erreichen. Ich wollte meine Familie und Freunde inspirieren, stark zu bleiben und das Beste aus den Umständen zu machen. Ich dachte zuerst, sie erklären mich für verrückt, aber stattdessen haben sie es als gutes Vorbild genommen. Meine Freunde haben tatsächlich mehr Sport gemacht. Ich versuchte, anderen Leuten in Quarantäne Mut zu machen. Man muss sich nicht über seine Freiheitsberaubung aufregen, sondern kann etwas daraus machen. Ich habe einen Artikel über die Quarantäne geschrieben und ihn auf Linkedin hochgeladen. Ich bekam sehr viele positive Rückmeldungen.

Drei Marathons füllen ja keine zwei Wochen aus. Wie haben Sie sich in der restlichen Zeit bei Laune gehalten?

Ich habe versucht, eine Tagesroutine zu bekommen und an jedem Tag etwas zu erreichen. Ein Ziel war, jeden Tag etwas Neues zu lernen - durch Bücher. Und ich habe mich jeden Tag kreativ betätigt, mit meinem Farbkasten. Außerdem habe ich Zeit für meinen Beruf investiert. Ich suchte nach möglichen Stellen und kümmerte mich um meinen bevorstehenden Umzug. Um meine Sprachkenntnisse aufzufrischen, habe ich mir Filme in unterschiedlichen Sprachen angeschaut. Telefonate mit Freunden standen ganz oben an der Tagesordnung. So wurde mir eigentlich nie langweilig. Ich bastelte ich mir einen Kalender, auf den ich nach jedem Tag einen Smiley malte. So wurde aus dem Prinzip des Weihnachtskalenders eben ein Quarantäne-Countdown-Kalender.

Welche Erkenntnis haben Sie gewonnen?

Das Selbstexperiment gab mir Energie. Ich sage mir jetzt: Wenn ich diese Herausforderung meistere, kann viele andere Dinge schaffen. Ich wollte die Zeit nicht verschwenden, sondern sie als speziellen, einzigartigen Teil meines Lebens ansehen.

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