Arzberg Eine Odyssee von Arzt zu Arzt

Von Andrea Herdegen
Trotz ihrer Krankheit hat sie ihre optimistische Lebenseinstellung nicht verloren: Kerstin Quast leitet die DSCM-Selbsthilfegruppe für Oberfranken und die nördliche Oberpfalz. Zur Ruhe kommt sie im Vogelhaus bei ihren 40 Wachteln. Foto: Andrea Herdegen

Kerstin Quast aus Leutenberg leitet die oberfränkische Selbsthilfegruppe für Syringomyelie und Chiari Malformation. Es hat sehr lange gedauert, bis ein Arzt die seltene Rückenmarkserkrankung bei ihr erkannt hat.

 
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Thiersheim - "Das Schlimmste an dieser Krankheit ist, dass man nicht weiß, was noch alles kommt." Kerstin Quast sitzt auf ihrer gemütlichen Terrasse und schaut ihrem dreijährigen Sohn Finn versonnen beim Spielen zu. An warmen Tagen, so wie heute, geht es der 39-Jährigen relativ gut. Doch es gibt auch schwere Zeiten, in denen die Schmerzen unerträglich werden. Gerade in der Nacht wird ihr Leiden oft zur Qual, dann liegt sie wach und grübelt über die Zukunft nach. "Es kann sein, dass ich in nicht ferner Zeit im Rollstuhl sitze. Wie soll es dann weitergehen?", fragt sich die dreifache Mutter. "Besonders mein Jüngster braucht mich noch dringend."

Syringomyelie, eine seltene Rückenmarkserkrankung, ist der Grund für die gesundheitlichen Probleme der jungen Frau aus dem Thiersheimer Ortsteil Leutenberg. "Doch bis mir diese Diagnose endlich gestellt wurde, musste ich eine wahre Odyssee von Arzt zu Arzt hinter mich bringen." Schon mit 18 bemerkte sie die ersten Anzeichen, hatte rheumaähnliche Schmerzen, die schubweise auftraten. "Aber meine Rheumawerte waren in Ordnung, es hieß immer nur: Alles okay." Ein paar Jahre später lautete die Diagnose eines Rheumatologen Fibromyalgie. "Lapidar meinte er, ich solle mich an eine Selbsthilfegruppe wenden."

2002 verschlimmerten sich die Beschwerden: Eine Gesichtshälfte wurde häufig taub, neben den Schmerzen im Rücken spürte Kerstin Quast ein ständiges Kribbeln in den Fingern. Ein Neurologe tippte auf Muskelverspannungen: "Ich musste immerzu Krankengymnastik machen, aber der Erfolg blieb aus."

Vor vier Jahren wurden die Schmerzen dann so heftig, dass sie kaum mehr auszuhalten waren: "Ich hatte das Gefühl, in meinem Rücken steckt ein Messer. Ich konnte keine Nacht mehr schlafen." Damals sprach sie auch bei Ärzten vor, die ihr attestierten, sie habe gar nichts. "Die haben mich als Simulantin hingestellt." Nach einer Unterhaltung mit einem Verwandten, der an Multipler Sklerose erkrankt ist und der ihre Symptome wiedererkannte, vereinbarte sie einen Termin bei Professor Dr. Patrick Oschmann in Bayreuth. Dort brachte eine MRT-Untersuchung der Wirbelsäule zusammen mit einer Nervenwasserentnahme endlich ein Ergebnis: Keine Multiple Sklerose, stattdessen Syringomyelie und eine Zyste im Rückenmark. "Welche Krankheit ,besser' ist, möchte ich nicht entscheiden", sagt Kerstin Quast. Beide seien schwer zu erkennen, weil sie "tausend Gesichter" haben, also immer wieder neue Symptome auftauchen.

Ein Spezialist in Ulm hat die Leutenbergerin nun medikamentös mit schweren Schmerzmitteln eingestellt, eventuell wird er später die Zyste operieren. "Momentan wird die Krankheit beobachtet. Sie kann zum Stillstand kommen oder noch schlimmer werden, bis ich nicht mehr laufen kann." Immer öfter bemerkt Kerstin Quast, wie sie nach einer körperlichen Anstrengung ermattet, wie ihre Kräfte nachlassen. "Mein Körper zieht dann einfach die Bremse." Daher weiß sie auch nicht, wie es beruflich bei ihr weitergehen wird. Über 20 Jahre lang war sie als Krankenschwester in der häuslichen Pflege tätig. Nun kann sie nicht mehr schwer heben und nicht mehr lange stehen. Demnächst wird sie eine Reha in Bad Neustadt an der Saale antreten.

Als sie endlich ihre Diagnose hatte, wollte Kerstin Quast möglichst viele Informationen über die Krankheit haben. Im Internet stieß sie auf die Deutsche Syringomyelie- und Chiari-Malformation-Selbsthilfegruppe (DSCM). "Dort habe ich angerufen und mich nach einer Regionalgruppe erkundigt. In kurzer Zeit hat man mich überredet, selber eine aufzumachen." Das erste Treffen fand kürzlich im Rasthof in Thiersheim statt, fünf Betroffene aus Oberfranken und der nördlichen Oberpfalz waren gekommen. "Wir haben uns ausgetauscht, aber nicht nur über die Krankheit gesprochen, sondern auch viel Spaß miteinander gehabt", berichtet die Leutenbergerin. Vereinbart wurden nun regelmäßige Treffen alle acht bis zehn Wochen sowie einmal im Jahr eine größere Veranstaltung etwa mit Arztvortrag. "Aber wir telefonieren regelmäßig miteinander, schließlich wollen wir wissen, wie es den anderen geht, welche Erfahrungen sie mit Therapien und bei Arztbesuchen machen."

Obwohl die Krankheit das Leben von Kerstin Quast stark beeinträchtigt, hat sie ihre optimistische Lebenseinstellung nicht verloren. "Schließlich unterstützen mich mein Mann und meine Kinder und geben mir Mut. An jedem Abend denke ich mir: Wieder einen Tag ganz gut geschafft." Um zur Ruhe zu kommen, hilft der 39-Jährigen ein Besuch in ihrem Vogelhaus: 40 Wachteln wuseln dann um ihre Beine und warten auf Futter. Anderen Betroffenen rät sie, den Ärzten die Bude einzurennen: "Sie sollen sich nicht abspeisen lassen. Schließlich müssen sie mit dieser Krankheit, mit diesen Schmerzen leben."

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Informationen zur Syringomyelie und zu der Selbsthilfegruppe gibt Kerstin Ouast unter Telefon 0151/58802868 oder 09233/775447.

Ich hatte das Gefühl, in meinem Rücken steckt ein Messer. Ich konnte keine Nacht mehr schlafen

Kerstin Quast


Hintergründe

Syringomyelie: Bei einer Syringomyelie ist in der grauen Substanz des Rückenmarks ein meist länglicher, mit Flüssigkeit gefüllter Hohlraum (die Syrinx), der die graue Substanz verdrängt. Insbesondere im Rückenmarksbereich der Hals- und Brustwirbelsäule können sich mehrere oder auch nur eine Syrinx bilden. Unter Umständen damit einhergehend, in jedem Fall aber ursächlich ist eine Beeinträchtigung oder gar starke Behinderung der Zirkulation des Nervenwassers.

Chiari Malformation: Bei einer Chiari Malformation kommt es zu einer knöchernen Fehlbildung des Schädelrandes und der ersten Halswirbel. Durch diese knöchernen Veränderungen findet sich unter der Schädeldecke nicht genügend Platz für einige hintere Hirnanteile. Sie suchen sich einen neuen Platz: den Übergang zwischen Schädel und Wirbelsäule. Durch das sogenannte Hinterhauptsloch ragen die verdrängten Hirnanteile in den Rückenmarkskanal oder treten nach außen.


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