Bad Elster - Bei Tagebüchern besteht die Gefahr, dass sie für niemanden interessant sind - außer für den Schreiber selbst: Dort kann er sich fallen lassen und unzusammenhängend alles von sich geben, was nur ihn beschäftigt. Bei Heinz Rudolf Kunze ist das anders - er hat viele seiner subjektiven Eindrücke in dem neuen Buch "Schwebebalken. Tagebuchtage" verarbeitet. Am Samstagabend kam er aus Hannover in das König-Albert-Theater nach Bad Elster, um daraus vorzulesen.

Die gute Nachricht: Die meisten der rund 300 Besucher folgten ihm interessiert rund zwei Stunden lang. Natürlich hatten seine kurzen Geschichten, Betrachtungen und witzigen Wortspiele nichts mehr mit einem Tagebuch im herkömmlichen Sinne zu tun - aber der Zuhörer hörte doch die vielen eigenen Gedanken heraus, die sich Kunze gemacht haben mag.

Der 60-Jährige fasste seine Texte selbst am besten zusammen: "Meine Worte sollen dich begeistern, verwirren, zum Schweben bringen, aufmerksam und hellhörig machen. Manchmal werden sie dir bitter vorkommen, aber nur, weil sie mich vor Verbitterung schützen, aber nie sollen sie dich kränken oder verletzen."

Fast musikalisch und im Rhythmus eines Raps las er Satz für Satz und spielte mit Worten und Redewendungen, dann wechselte er schnell das Thema und provozierte mit den unterschiedlichsten Forderungen: "Wir fordern, dass auch die Selbstmordattentäter den Gürtel enger schnallen. Auch die Hungernden in Afrika sollten über den eigenen Tellerrand schauen. Und ich fordere eine Frauenquote für die Herrentoilette, diese letzte Männerbastion muss fallen."

Für die Musik war Gitarrist Carsten Klatte zuständig; wohl mancher Besucher hätte sich von Kunze das eine oder andere Lied gewünscht, zumal vor einigen Monaten auch die neue CD "Meisterwerke: Verbeugungen" erschien. Entschädigt wurden sie mit dem perfekt komponierten Gedicht "Der Kaiser will ein Dichter sein" oder der Wutschrift an die Regierenden, die das Volk fast "totge(Trump)elt" haben. Facebook sei die neue, freiwillige Stasi; typisch deutsch sei es, alles typisch Deutsche zu hassen, die Kunst sei zwecklos, aber sinnvoll - bevor dem Zuhörer der Kopf schwirrte, sorgte Heinz Rudolf Kunze für Ruhe und wundervoll atmosphärische Erinnerungen. Was bewog ihn, in jungen Jahren Musik zu machen? "Töne, Klänge? Nein, es waren Bilder - von Menschen, die zusammenhalten, gegen den Rest der Welt. Bilder von jungen Männern mit langen Haaren, die auf alles scheißen und nicht in das Räderwerk der Alten kommen wollten. Das war mein schöner Traum, Ende der 60er- Jahre - inzwischen ist die Musik längst vom Kapitalismus kastriert worden", meinte Kunze, und: "Man kann auch heute noch werden, was man will. Es ist nicht leicht, aber es geht. Das darf niemand vergessen."

Zur Person

Heinz Rudolf Kunze wurde am 30. November 1956 in Espelkamp-Mittwald im nordöstlichen Nordrhein-Westfalen geboren.

Seinen bislang größten Single-Erfolg hatte Kunze 1985 mit "Dein ist mein ganzes Herz".

Er ist nicht nur als Sänger, sondern auch als Schriftsteller und als Autor von Musicals ein gefragter Künstler.