Fichtelgebirge Verschlungene Pfade führen zur Mitte

Tamara Pohl
Hier kann man richtig abschalten: Christine Roth führt auch Gäste durch das Granitlabyrinth bei Kirchenlamitz. "Ich bin nach und nach zum Fan geworden", berichtet sie. Foto: Hannes Bessermann

Zu einem gesunden Körper gehört auch ein gesunder Geist. Wer die Seele einmal baumeln lassen möchte, kann das in Kirchenlamitz tun: im Labyrinth.

 
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Kirchenlamitz - Es ist still an diesem warmen Morgen am Labyrinth. Die gewaltigen Granitquader liegen ruhig am Fuße des Epprechtsteins vor den Toren von Kirchenlamitz. Vögel singen, Insekten schwirren durch die Luft, ein Schmetterling umtanzt taumelnd die Stiefmütterchen, die ihre Köpfe zur Sonne heben. Ja, es ist ein Idyll, das hier zum Verweilen einlädt. Und zum Nachdenken.

Geballtes Wissen

Christine Roth stammt ursprünglich aus Thüringen, lebt aber schon seit 25 Jahren im Fichtelgebirge. Vielleicht ist es dieser Blick von außen, der ihr Interesse an der Region entfacht hat. Sie ist ausgebildete Gästeführerin und Botschafterin des Fichtelgebirges, hält als Geoparkrangerin gut 60 Vorträge im Jahr und leitet Führungen, darunter auch Fledermausexkursionen und als "Kirchenentdecker". Auch in den Porzellanmuseen erklärt sie Besuchern Geschichtliches.

Eine Tankstelle für Geist und Seele will der Ort sein, an dem man sich selbst begegnen kann. "Im Labyrinth verliert man sich nicht, man findet sich", ist deshalb auch hier zu lesen. Um den Geist vorzubereiten, die Seele zu wecken, stimmen Sinnsprüche am Eingang den Besucher ein. "Das Ziel muss man früher kennen als den Weg", konstatiert Jean Paul. Antoine de Saint-Exupéry erklärt: "Geradeaus kommt man nicht sehr weit."

Dass er da recht hat, weiß Christine Roth. Sie führt regelmäßig Menschen durch das Labyrinth, lädt sie zum Meditieren und Austauschen ein. "400 Meter ist der Weg bis zur Mitte lang", erklärt sie. Er hat im Gegensatz zum Irrgarten keine Sackgassen und Abzweigungen. Er schlängelt sich einfach durch vier Quadranten zur Mitte. Die stehen symbolisch für die Lebensabschnitte des Menschen, erläutert Christine Roth. "Die Mitte steht für das Lebensziel. Man denkt oft, man ist ihm schon ganz nah, aber dann führt der Weg doch wieder weg", beschreibt sie die Idee dahinter. Und wie im Leben auch, müsse man auf diesem Weg Erfahrungen sammeln, Umwege akzeptieren, dürfe aber auch mal innehalten.

Im Gegensatz zur Wirklichkeit kommt der Wanderer im Labyrinth aber immer ans Ziel. "Das Labyrinth braucht keine Worte, es führt wie von selbst", zitiert Christine Roth eine Feststellung vom Labyrinthpapst Gernot Candolini. Und auch das Kirchenlamitzer Granitlabyrinth führt von selbst. "Selbst sehbehinderte Menschen können es ablaufen, man kann sich an den Quadern orientieren." Die sind nur halbhoch, erlauben den Blick darüber hinweg; hin zur Mitte, wo sich eine Stele in den Himmel erhebt; darüber hinaus, wo der Kornberg steht. Es ist ein geschützter Raum, ohne den Menschen einzuengen oder zu bedrängen.

Vielleicht trägt das seinen Teil dazu bei, dass sich die Besucher hier selbst öffnen. Zum "Welttag des Labyrinths" Anfang Mai folgen seit Jahren zunehmend mehr Interessierte der Einladung, an diesen Ort zu kommen. Sie hören und lesen Texte, die Christine Roth mitbringt. "In der Mitte kommen viele dann ins Gespräch - nicht gerade über das Mittagessen, sondern über die Gedanken, die den Menschen beim Durchwandern gekommen sind."

Es gibt einige Labyrinthe in der Region: Am Lehrerparkplatz des Wunsiedler Luisenburggymnasiums zur Schwarzen Allee hin steht zum Beispiel ein Modell des Labyrinths bei Kirchenlamitz. Am Marktredwitzer Gartenschaugelände gibt es eins, im Freilandmuseum Grassemann, an der Himmelkroner Autobahnkirche, natürlich das Felsenlabyrinth der Luisenburg. Ist der Fichtelgebirgler per se Labyrinth-Fan? "Ich bin es nach und nach geworden", verrät Christine Roth. Sie kann sich gut vorstellen, dass die Menschen die verschlungenen Pfade schätzen, weil sie die Chance zur Entschleunigung bieten. "Im Alltag nimmt man sich ja kaum Zeit zum Nachdenken. Viele können auch nicht mehr mit ihren Gedanken alleine sein; immer läuft das Radio oder der Fernseher." So große Ablenkungen erlaubt der Weg durchs Labyrinth nicht; zwar kann man nicht vom Weg abkommen. Wer nicht aufpasst, kann sich aber schmerzlich die Schienbeine stoßen. "Das ist ja auch ein bisschen wie im echten Leben", sagt Christine Roth schmunzelnd.

Einen Moment abschalten, alles vergessen, kein Handy, kein Zeitdruck, keine Sorgen - das klingt verlockend. Und tatsächlich kommen an diesem Morgen auch immer wieder Menschen, die sich locken lassen. Sie lesen die Sinnsprüche am Eingang, gehen langsamen Schritts ins Labyrinth, lassen die Blicke schweifen. Nach einiger Zeit sieht das Auge Details; wie der Glimmer im Granit funkelt zum Beispiel. Mindestens 320 Millionen Jahre ist er alt, im Feuer geboren, über unermesslich lange Zeiträume an die Oberfläche gekommen. "Mich fasziniert Erde, ich will wissen, was der Boden ist, auf dem ich gehe", sagt Christine Roth. Sie spricht über Feldspat und Quarze, die den Stein bilden, erklärt die Vorgänge, wie Wasser die mächtigen Brocken schleift und formt, erinnert an die Blockmeere der Habersteine im Kösseinemassiv und am Schneeberg. Granit kann wirklich spannend sein. Er ist auch Lebensraum; an seiner Oberfläche verwittern Stein und Laub, bilden Humus. Flechten wachsen hier, erstaunlich bunt leuchten sie auf der grauen Oberfläche - die in Wirklichkeit aber grau, silbern, schwarz und weiß gesprenkelt ist. "Flechten sind eine Symbiose aus Algen und Pilzen, keins davon könnte hier alleine gedeihen", erklärt Christine Roth. Auch das hat Symbolkraft in diesem Labyrinth. Kein Mensch ist eine Insel, jeder ist ein Teil des Ganzen; dieser Gedanke des englischen Dichters John Donne fällt einem spontan dazu ein.

"Unsere Landschaft im Fichtelgebirge ist so schön und vielfältig, man kann hier unheimlich viel auf kleinem Raum entdecken. Man darf neugierig darauf sein und sich darauf einlassen", lobt Christine Roth. Das müsse man aber üben, sich einzulassen und abzuschalten. Dann könne man sich an Orten wie diesem auch im Einklang mit der Natur fühlen; eine Kunst, die nicht jeder beherrsche. "Viele suchen nach Action."

Die gibt es im Labyrinth nicht, wenn man das geschäftige Treiben der Ameisen unbeachtet lässt. Nach einer Weile hört man die Lastwagen nicht mehr, die von Kirchenlamitz nach Weißenstadt fahren und deren Scheppern fast unanständig wirkt an diesem ruhigen Flecken. Stiller werden auch die Gedanken. Morgen rückt in die Ferne, Gestern verblasst. Nicht einmal Heute zählt mehr, nur Jetzt ist noch. Wie warm die Sonnenstrahlen sich auf der Haut anfühlen. Der Sand knirscht leise unter den Füßen. Eine Amsel singt. Melodisch tönt es aus den Baumkronen, die das Labyrinth hier und da beschatten und die flüsternd rauschen, wenn der Wind die Blätter streichelt.

Hinter dem Labyrinth steht ein Hügel, von dem aus man es überblicken kann. Der Pfad hinauf ist ausgetreten, viele scheinen ihn zu nutzen. "Von hier aus wandern auch viele ins nahe Bauernhofcafé oder gehen in die Gaststätte gegenüber", sagt Christine Roth und schmunzelnd zitiert sie die Heilige Teresa von Ávila: "Tu deinem Leib des Öfteren etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen."

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