Nicht nur, dass der Dichterkomponist seinen Judenhass in Wort und Schrift hinausposaunte; obendrein scheint er die "Meistersinger von Nürnberg" - dem Philosophen Ernst Bloch zufolge ein "Stahlbad in C-Dur" - als tönende Folie für seinen Antisemitismus genutzt zu haben: Den talentfreien Kritiker Sixtus Beckmesser, so meinen nicht wenige Experten, habe er nicht nur als Karikatur des "halbjüdischen" Rezensenten Eduard Hanslick, sondern des Juden überhaupt erschaffen. Gleichwohl steckt in der Figur, übers Zerrbildliche hinaus, eine durchaus ernst zu nehmende tragikomische Gegenposition zum singenden Obermeister Hans Sachs. Darauf achten die Fachleute längst so genau wie das Publikum, auch wenn die Zuschauer der Uraufführung, heute vor 150 Jahren im Münchner Nationaltheater, sich wohl weniger um eine faire Beurteilung der Figur sorgten. Den Nationalsozialisten kamen die zwiespältigen Deutungsmöglichkeiten ihrer Lieblingsoper sehr gelegen: Während des "Dritten Reiches" warf so mancher Regisseur den Beckmesser als inspirationslosen Beinahe-Semiten dem Erzdeutschen Sachs gleichsam zum Fraß vor; repräsentiert doch Sachs donnernd eine unantastbar "heil'ge deutsche Kunst". So erzählerisch grandios und subtil heiter Wagners Oper sein mag - das berühmte Quintett im dritten Aufzug gehört zum Schönsten, das der Bayreuther Meister je ersann: Sie ist mit Vorbehalt, wenn nicht mit Vorsicht zu genießen. Erfreulich, dass die "Meistersinger" im vergangenen März trotzdem wieder im - 1939 von der NS-Wehrmacht überfallenen - Polen auf die Bühne fanden, in Posen, zum ersten Mal seit 85 Jahren. Zu Recht befand Ernst Bloch, der Philosoph, nicht das "Meistersinger"-Vorspiel, sondern das "Horst-Wessel-Lied" sei "die Musik der Nazis" gewesen.