Kulmbach 75 Prozent mehr für den Bürgermeister: Stadträte zweifeln an eigenem Beschluss

Nicht jeder im Kulmbacher Stadtrat war sich im Klaren, wie groß die verabschiedete Erhöhung der Bürgermeisterbezüge ist. Die steigt im Zweifel um 75 Prozent und mehr. Das kommt im Nachhinein nicht bei allen gut an.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Kulmbach - "Wieviel? Nein!" Dagmar Keis-Lechner, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kulmbacher Stadtrat, reagiert alarmiert, als sie darauf angesprochen wird, ob sie eine so große Erhöhung der Bürgermeisterbezüge in Kulmbach in der jetzigen Zeit für richtig hält. Den Tagessatz von 170 Euro pro Vertretungstag für den Oberbürgermeister habe sie nicht auf dem Schirm gehabt, sagt sie. "Bei uns ist einfach nur hängengeblieben, der eine kriegt 50 Euro, der andere 100 Euro mehr. Von daher hatten wir keine Bedenken." Das Vertretungsgeld, das die Bürgermeisterbezüge massiv in die Höhe schnellen lässt, habe sie gar nicht bedacht. Sie sei neu im Stadtrat und habe nicht gewusst, dass die Pauschale im Vertretungsfall jetzt neu eingeführt wurde. "Die Tagespauschale hatte ich gar nicht im Kopf, wir wurden auch nicht vorbereitet." Das Thema sei behandelt worden, als die Stadtratssitzung bereits vier Stunden gedauert hatte. Da sei sie auch nicht mehr so aufnahmefähig gewesen. "Mir wird das erst jetzt so richtig bewusst. Das ist mir durchgegangen." Aus dem neuen Blickwinkel sagt Dagmar Keis-Lechner, man könne durchaus darüber reden, ob das für diese Erhöhung jetzt die richtige Zeit gewesen ist. Sie ergänzt, dass sie einen hohen Anspruch an die Stellvertreter von OB Ingo Lehmann habe. Das betreffe nicht nur den Anspruch an die Arbeit: "Ich erwarte, dass auf dieser Ebene auch keine Aufträge der Stadt angenommen werden."

Kreis verzichtet auf Erhöhung

Die endgültige Entscheidung wird erst in der konstituierenden Sitzung des Kreistags fallen, aber die Weichen sind schon gestellt: Die ehrenamtlichen politischen Vertreter des Landkreises Kulmbach werden aufgrund der aktuellen Lage auf Erhöhungen ihrer Bezüge verzichten. Lediglich eine minimale Erhöhung bei den Fraktionsvorsitzenden sei angedacht, sagt Landrat Klaus Peter Söllner. Das hänge natürlich mit der Corona-Krise zusammen. "Jeder sagt, das ist jetzt nicht die Zeit, um über Erhöhungen nachzudenken. Das kann man in drei Jahren nochmal überprüfen. Das war die allgemeine Haltung."

Nicht nur Dagmar Keis-Lechner ist etwas "durchgegangen", als sie am 7. Mai wie alle Stadträte außer den beiden Vertretern der AfD den vorgeschlagenen Erhöhungen der Bezüge für Frank Wilzok (CSU) und Dr. Ralf Hartnack (WGK) zugestimmt hat. Auch Thomas Nagel (FDP) spricht davon, es sei ihm in dieser Form nicht bewusst gewesen. "Ich habe auch die Häufigkeit der möglicherweise anfallenden Vertretungstage nicht bedacht. Der Vertretungsfall war in der Vergangenheit ja eher selten." Das trifft in der Tat zu: der ehemalige OB Henry Schramm hat nur sehr wenig Urlaub genommen und seinen Anspruch nie ausgeschöpft. Das kann man aber nicht von jedem erwarten. Ein Oberbürgermeister darf 30 Tage im Jahr Urlaub machen. Das sind dann Tage, an denen der Stellvertreter die Arbeit im Rathaus übernehmen muss. Thomas Nagel wird nachdenklich: "Natürlich ist es schwierig, dass wir das auf den Weg gebracht haben, wenn man das jetzt insgesamt sieht."

Von Matthias Meußgeyer (SPD) wird berichtet, er sei einer derjenigen gewesen, die im Vorfeld für die hohe Anpassung der Vergütungen geworben hatte. Meußgeyer reagiert zunächst zurückhaltend. Er werde inhaltlich nichts zum Thema sagen. Schließlich habe das in nicht öffentlicher Sitzung stattgefunden. Grundsätzlich äußert er sich dann doch, stellt viele Fragen. Auch der Stadtrat selbst habe auf eine Erhöhung seiner Sitzungsgelder angesichts der Corona-Krise und ihrer Folgen verzichtet. Aber eine Gleichbehandlung müsse sein. "Warum war denn die Zahl bisher so bescheiden? Wäre es vielleicht klug gewesen, das schon vorher zu machen?" Stimmig müsse es sein, was die Bürgermeister bekommen. Das war es aus Meußgeyers Sicht bislang nicht. "Da muss man die Frage stellen, warum es denn vorher nicht stimmig gewesen ist. Vielleicht hat man da ja einfach was nachgeholt."

Frank Wilzok (CSU), in dieser Periode zweiter Bürgermeister, ist derjenige, der als erstes für eine Vertretung gerufen wird, wenn Ingo Lehmann im Urlaub ist oder krank werden sollte. Er hat weder an der Beratung noch an dem Beschluss der Erhöhung mitgewirkt und wartete währenddessen ebenso wie sein Bürgermeisterkollege Dr. Ralf Hartnack (WGK) und Stadtratssenior Dr. Hans Hunger (WGK) vor der Tür. Zur Erhöhung steht Frank Wilzok aber dennoch. Mit der Bezahlung für den zweiten und dritten Bürgermeister habe die Stadt Kulmbach eine Anpassung an andere fränkische Städte vorgenommen. "Wesentlich kleinere Städte haben in den vergangenen Jahren ihren Bürgermeistern deutlich mehr bezahlt." Jetzt sei man einem Vorschlag des Städtetags gefolgt und habe sich daran orientiert, was bislang in Forchheim Geltung hatte. "Wenn man schaut, was in Lichtenfels oder auch in Kronach bezahlt wird, sieht man, dass Kulmbach in den vergangenen 13 Jahren sicher in Bayern im unteren Drittel gewesen ist." Ist eine Erhöhung in Zeiten bald leerer Kassen zu vertreten? "Wir verzichten auch im Stadtrat auf eine Erhöhung der Sitzungsgelder. Aber man muss auch sehen, dass das, was in Kulmbach jahrelang gemacht wurde, hinter anderen Gemeinden zurückbleibt. Den Oberbürgermeister zu vertreten ist mehr als nur einen Blumenstrauß zu überreichen."

Das unterstreicht auch CSU-Fraktionsvorsitzender Dr. Michael Pfitzner. Oberbürgermeister Ingo Lehmann habe signalisiert, dass die Verantwortung für die Stadt breiter angelegt werden solle und müsse. Deswegen sei unter anderem auch die Rolle der Verbandsräte gestärkt worden. "Gleiches gilt für die weiteren Bürgermeister, die in den nächsten Jahren sicher stärker gefordert sein werden. Deswegen erscheint eine Erhöhung insgesamt gerechtfertigt."

Man sei einem Vorschlag gefolgt, der aus der Verwaltung gekommen ist, sagt dritter Bürgermeister Dr. Ralf Hartnack. Doch auch er ist nachdenklich geworden und macht für sich persönlich einen Vorschlag: "Ich überlege, ob ich für den wahrscheinlich nicht auftretenden Fall der Vertretung durch meine Person auf meine Tagespauschale verzichte und sie entweder an den städtischen Haushalt zurückbezahle oder einer gemeinnützigen Einrichtung spende."

Oberbürgermeister Ingo Lehmann versteht nicht, warum es nach dem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss jetzt Zweifel gibt. Alle Beschlussvorlagen seien im Personalamt ausgelegen. Jeder Stadtrat hätte sich dort informieren können. "Aber dazu muss auch die Bereitschaft vorhanden sein." Am Ende sei nichts anderes beschlossen worden als in der Beschlussvorlage stand. Seit 2014 seien die Bezüge für seine Stellvertreter nicht mehr angepasst worden, gibt Lehmann zu bedenken. Und was die Höhe der Vergütungen angeht, hänge das ja auch von der Zahl der Vertretungstage ab, die für ihn anfallen. "Vielleicht nehme ich ja die 30 Tage Urlaub gar nicht."

Beide Stadträte der AfD haben, anders als der Rest des Stadtrats, gegen die Erhöhung der Stellvertreter-Bezüge gestimmt. "In der aktuellen Situation, in der für viele Menschen die Existenznot sehr groß ist, sind Erhöhungen, egal wo, nicht angebracht", sagt Georg Hock. Deshalb habe er wie auch sein Kollege dagegengestimmt. "Das passt aktuell nicht in die politische Landschaft."

Stadtratsmitglieder, die lieber nicht namentlich zitiert werden wollen, werden noch deutlicher. Einer sagt, die Erhöhung zu diesem Zeitpunkt sei mehr als politisch ungeschickt. Er habe aber nicht gleich in der ersten Sitzung ein Fass aufmachen wollen. Ein anderer argumentiert, dass er wohl schlecht gegen eine Erhöhung habe stimmen können, die das eigene Lager betrifft und spricht von einem "Dilemma". Von anderer Seite wird gemutmaßt, Ingo Lehmann brauche Mehrheiten, die habe er sich auf diese Weise sichern wollen.

Geschickt eingefädelt worden sei dieses Thema, meint ein weiteres Stadtratsmitglied. Irgendwie fühle er sich auch ein wenig über den Tisch gezogen und hätte sich gewünscht, dass in der Information, die das Gremium in der Sitzung erhalten hat, nicht die tatsächlich moderate Erhöhung der monatlichen Grundvergütung um 100 beziehungsweise 50 Euro im Vordergrund gestanden hätte, sondern die Auswirkung, die die Vertretungs-Tagespauschale haben wird. "Wir werden da künftig besser aufpassen müssen", zieht einer der Stadträte Bilanz aus einer Entscheidung, die seiner Meinung nach "in die Hose gegangen ist."

Autor

Bilder