Wunsiedel Dunkelstes Kapitel darf nicht vergessen werden

Auf dem Wunsiedler Friedhof gedachten Dekan Peter Bauer, der katholische Stadtpfarrer Günter Vogl, der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Hof, David Goldberg, und Bürgermeister Nicolas Lahovnik (von rechts) den Opfern des KZ-Todesmarsches. Foto: David Trott

Im Frühjahr 1945 führt ein KZ-Todesmarsch durch Wunsiedel. Ein Grabstein am Friedhof erinnert an den sinnlosen Tod von 30 unschuldigen Menschen.

 
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Wunsiedel - Betroffene Stille am Wunsiedler Friedhof. Eine Handvoll Menschen steht gedankenversunken am Grab. Der Gedenkstein erinnert an eines der dunkelsten Kapitel der Wunsiedler Geschichte. Im Grab liegen die sterblichen Überreste von 30 geschundenen Menschen, die während eines der sogenannten Todesmärsche aus dem Konzentrationslager Buchenwald nahe Wunsiedel von SS-Schergen erschossen oder erschlagen wurden. Dekan Peter Bauer, der katholische Stadtpfarrer Günter Vogl und der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Hof, David Goldberg, gedachten am frühen Montagabend mit einer Andacht der Getöteten. Das Grab besteht seit genau 75 Jahren am Wunsiedler Friedhof.

Peter Seißers Buch ist fast fertig

Altlandrat Peter Seißer ist einer der profundesten Kenner der Geschichte der Region. Nach einer langwierigen Recherche hat er in den vergangenen Monaten eine weitere Lücke in der Stadtgeschichte geschlossen. Sein neuestes Werk handelt von Wunsiedel im Zeitraum von 1933 bis 1956. "Die Naziherrschaft und die Nachkriegszeit nehmen ungefähr den gleichen Raum im Buch ein", sagt er auf Nachfrage der Frankenpost . Das Werk besticht zudem durch eine Fülle historischer Fotos. Wann das Buch erscheint, ist momentan ungewiss, da die Finanzierung der Druckkosten noch nicht gesichert sind. Da die Stadt aufgrund der Haushaltslage kein Geld zur Verfügung hat, sind Spenden notwendig, damit das Werk gedruckt werden kann. Wer das Buchprojekt unterstützen will, kann eine Spende an die Stadt Wunsiedel überweisen. Die Bankverbindung lautet IBAN: DE21 7805 000 0620 0004 48; BIC: BYLADEM1HOF. Bitte nicht vergessen: Betreff: Stadtgeschichte, Band IV.


Es ist vor allem dem früheren Lehrer an der Jean-Paul-Mittelschule, Karl Rost, zu verdanken, dass die Erinnerungskultur in Wunsiedel fortgeführt wird. Am Sonntag erinnerten er und Altlandrat und Kenner der heimischen Geschichte, Peter Seißer, bei einem Vortrag im Evangelischen Gemeindehaus an die Geschehnisse vor einem Dreivierteljahrhundert.

"Die bedauernswerten Menschen wurden auf einem Todesmarsch vom KZ Buchenwald unter unsäglichen Bedingungen und unter ständigen Todesdrohungen zum KZ Flossenbürg in der Oberpfalz getrieben. Wer nicht mehr weitergehen konnte, wurde ermordet", schildert Karl Rost die menschenverachtende Praxis der SS-Schergen, die den Zug bewachten.

Gut 30 der geschundenen Menschen sollte Wunsiedel nicht lebend erreichen. Die Bewacher verscharrten die Leichen nur notdürftig neben der Straße. Eine Stelle befindet sich an der Straße von Röslau neben der Zeitelmoosbrücke, einen guten Kilometer nördlich von Wunsiedel, eine zweite hat erst 2009 ein Zeitzeuge genannt: Diese befindet sich zwischen Bibersbach und Wunsiedel in einer Spitzkehre.

Kurz nachdem die völlig erschöpften Menschen ermordet worden waren, war der Krieg vorbei. Die US-Armee rückte in den heutigen Landkreis Wunsiedel vor und eroberte Ort für Ort. Den Befehlshabern ist das Geschehen beim Zeitelmoos und bei Bibersbach nicht verborgen geblieben. So mussten auf Befehl der Amerikaner am 29. August 1945 die örtlichen Naziparteigänger die Leichen ausgraben, nach Wunsiedel überführen und ordentlich beisetzen.

In der Nachkriegszeit breiteten die Wunsiedler den Mantel des Schweigens über die Ereignisse. "Das Wissen um diese Gräueltaten war im Laufe der Jahrzehnte weitgehend in Vergessenheit geraten", sagt Karl Rost. Zwar sei am Volkstrauertag seit Mitte der 80er-Jahre auch an diese Opfer erinnert und zu einem Gedenken am Grabmal aufgerufen worden, aber nur wenige Wunsiedler hätten dies wahrgenommen. In den Jahrzehnten davor standen laut Rost und Seißer die eigenen Kriegsopfer im Mittelpunkt der Gedenkfeiern. "Zwar wurde der Opfer des Faschismus seit 1947 an einem eigenen Tag gedacht, aber bereits vier Jahre später kamen sie beim Gedenktag an die Kriegsopfer nicht mehr vor. Es ging nur um die eigenen Gefallenen, die Flüchtlinge, die zivilen Kriegsopfer sowie die Kriegerwitwen und -waisen."

Der Blick änderte sich erst 2009. Beim "Tag der Demokratie" stellten Rost, Seißer und andere geschichtsbewusste Wunsiedler Zeitzeugenaussagen vor. Diese hat vor allem Rost in einer langwierigen Recherchearbeit zusammengetragen. Unter anderem berichtete Arnold K., der 1945 13 Jahre alt und als Lehrling im Rathaus beschäftigt war: "An diesem Tag (Anmerkung: 31. August 1945) mussten alle Behördenmitarbeiter sich zu einem Zug in der Maximilianstraße sammeln. Die Ämter waren geschlossen. Etwa 100 Personen zogen über die Egerstraße zum Friedhof. Am Weg zwischen Kirche und Leichenhalle waren die Särge aufgebahrt. Die Wunsiedler mussten an den offenen Särgen vorbeiziehen. Der Gestank war fürchterlich, denn die Leichen lagen seit Mitte April nur notdürftig verscharrt im Zeitelmoos."

Es sind bedrückende Berichte, aus denen Karl Rost am Sonntagabend zitierte. Es ist menschlich, sich danach zu sehnen, nicht an die dunklen Geschehnisse erinnert werden zu wollen, sie zu verdrängen. Doch es nützt nichts. Grade heute ist es wichtiger denn je, sich vor Augen zu halten, wie schnell aus einer Demokratie (Weimarer Republik) das schlimmste denkbare Unrechtsregime werden kann, wie schnell aus harmlosen Bürgern Mörder und wie schnell aus Nachbarn Opfer, denen das Recht zum Leben abgesprochen wird, werden können. Karl Rost und Peter Seißer haben bei ihrem Vortrag eindringlich an das dunkle Kapitel der Stadtgeschichte erinnert.

"Die Gräber, vor denen wir heute stehen, symbolisieren Unfreiheit und das Fehlen von Grundrechten", sagte Bürgermeister Nicolas Lahovnik bei der Andacht am Wunsiedler Friedhof. Die Grundfesten der demokratischen Gesellschaft seien aber Respekt, Toleranz und Akzeptanz. Mit dem Blick zu den Ausschreitungen in Berlin werde klar, dass viele nicht wissen, was wahre Unfreiheit und Freiheit bedeuten. "Wenn Menschen Seite an Seite mit bekennenden Nazis, selbst ernannten Reichsbürgern und Rattenfängern mit Reichskriegsflaggen vor der Herzkammer unserer Demokratie, dem Parlament, demonstrieren, geben sie ihnen das Gefühl von gesellschaftlicher Mitte." So werde ganz deutlich, dass auch 75 Jahre nach dem Todesmarsch der KZ-Häftlinge das Gedenken und das Erinnern noch genauso wichtig sind wie jeher. M. Bäu./DTr

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