Kulmbach Berührend, rockig und politisch

Rainer Unger
Den Fragen der Besucher stellten sich nach den Kurzfilmen (von links) David Higgs, Matthew Barton, Markus Schröder und Janosch Asen. Foto: Rainer Unger

Das erste Kulmbacher Kurzfilmfestival lockt mehr als 70 Cineasten ins Cineplex. Packend waren nicht nur die Filme, sondern auch die Diskussionen danach.

 
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Kulmbach - Nicht nur vier höchst beeindruckende und teils auch beklemmende Filme bescherte das in die Kulturreihe Spinnalto eingebettete Kurzfilmfestival "Maindance" den über 70 Besuchern am Sonntag im Cineplex: In einer anschließenden Gesprächsrunde mit den beiden Kulmbacher Initiatoren Janosch Asen und Markus Schröder und den extra aus London angereisten Filmemachern Matthew Barton und David Higgs gab das Quartett ungemein interessante und informative Einblicke in die Welt des (Kurz-) Filmemachens und beantwortete geduldig die Fragen des Publikums. Im nächsten Jahr soll es eine zweite Auflage im größeren Rahmen geben.

Wo Menschen sich mit Müll über Wasser halten: Mit dem sichtlich berührenden und aufwühlenden Kurzfilm "Kofi and Lartey" von der aus Neuseeland stammenden Regisseurin Sasha Rainbow startete das Festival. Sie zeigt anhand der beiden Jungen Kofi und Lartey in düsteren und zugleich überwältigenden Bildern die Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit des Lebens im Slum Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra auf. Dort wird ein Teil des europäischen Elektromülls "entsorgt." Beide sammeln dort Metall, um damit Geld zu verdienen, halten ihr Leben, das ihrer Mitmenschen sowie die gesamte Situation zugleich mit der Kamera fest. Sasha Rainbow wiederum filmte das gesamte Geschehen. Auch der letzte Film des Festivals stammte von ihr. In "Kamali" begleitete sie ein junges Mädchen in Indien, das Skateboarden lernt und damit gegen die konservativen Geschlechtervorstellungen in dem Land verstößt.

Einblicke in ein Flüchtlingscamp: Die Dokumentation "Box" von Matthew Barton entstand im Flüchtlingscamp in Calais kurz vor dessen Räumung, in dem durch die Unterstützung eines Sponsors ein improvisiertes Boxcamp errichtet worden war. Der Regisseur bringt hervorragend die Atmosphäre in dem Lager herüber. Von Markus Schröder stammt das Werk "Mind Mending." In intensiver Weise schildert er das Leben eines jungen Portugiesen, nachdem dieser einen Schlaganfall erlitten hatte und seither unter anderem an einer Sprachstörung leidet. Als Hase verkleidet besuchte der ehemalige Musiker Rock-Festivals, um seine Heilung voranzubringen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren begleitete der Kulmbacher Regisseur wiederholt den Mann und besuchte mit ihm diverse Rock-Festivals.

Film-Schätze mit Niveau: Über eine Stunde lang standen die beiden Kulmbacher Initiatoren, Matthew Barton und David Higgs, der drei der vier Filme geschnitten hat, den interessierten Besuchern Rede und Antwort. Janosch Asen führte zunächst aus, Ziel von ihm und Markus Schröder war es, den Kulmbachern schöne Filme zu präsentieren, die man normalerweise nicht zu sehen bekommt. Sowohl Spinnalto-Initiator Rüdiger Baumann als auch Kinoleiter Werner Kampe waren von Beginn an von ihrer Idee begeistert und haben sie unterstützt. Der Name Maindance hat seinen Ursprung darin, dass viele Filmfestivals auf Dance enden. So gibt es seit 1978 das Sundance Filmfestival, das insbesondere durch den Einsatz von Robert Redford bekannt wurde. In der Folge sind weitere Filmfestivals wie Raindance und Slamdance entstanden und bei Kulmbach als Stadt am Main war der Name Maindance naheliegend, erklärte Markus Schröder. "Und ich finde, der Name passt auch", meinte er.

Auf den richtigen Schnitt kommt es an: Sein eigener Film "Mind Mending" besteht in erster Linie aus dem Video-Tagebuch, das der junge Portugiese selbst erstellt hat. Erfahren hat er von dessen Schicksal beim Drehen eines Musikvideos für eine Londoner Band. Der Keyboarder, der ihn kennt, berichtete ihm darüber. Für den Film habe er zudem noch zahlreiche Interviews mit Freunden des Portugiesen geführt, die er aber neben weiteren Sachen weggelassen habe, da der Film sonst zu lange geworden wäre. Markus Schröder hob die besondere Bedeutung hervor, die ein Cutter für einen Film hat. In der Regel bekommt er das gesamte Filmmaterial nach dem Dreh und baut über das Material eine persönliche Verbindung zum Projekt auf, erhält aber, da er nicht dabei war, eine andere Sichtweise, sieht es mit anderen Augen. Gerade wenn man als Regisseur von einer festgefahrenen Schiene nicht los kommt, kann einem der Cutter helfen, wieder zur eigentlichen Story zu finden. Ein Drehbuch haben Kurzfilmmacher zumeist nicht, da sie in ihren Dokus vor allem die Atmosphäre und die Intensität einfangen wollen.

Aggressionen einfach wegboxen: Matthew Barton gab Einblicke in die Entstehung seines Werks. Auch er habe zufällig in einem Gespräch von dem Boxcamp erfahren. Er habe mit den Flüchtlingen gesprochen und sie gefragt, ob sie etwas dagegen hätten, wenn er einen Film drehen würde und warum sie nach England wollen. In Anbetracht der Tatsache, dass Unmengen von Journalisten in dem Camp waren, die oft unqualifiziert berichten, habe ihm ein Flüchtling gesagt, er möchte nur, dass er sie in dem Film nicht wie Terroristen aussehen lässt. Er selbst habe sehr komplexe Eindrücke im Lager gesammelt. So stellte das Boxcamp einen eigenen kleinen Mikrokosmos im Lager dar. Für die Teilnehmer bildete das Camp eine mentale Hilfe, konnten sie aufgestaute Aggressionen darin sinnvoll abbauen, die sich ansonsten eventuell anderweitig entladen hätten. An insgesamt vier Wochenenden habe er in dem Lager gedreht. Eine besondere und komische Erfahrung war es für ihn jedes Mal, wenn er anschließend "in die normale Zivilisation mit normalen Leuten" zurückkehrte.

Die zweite Auflage ist schon fest eingeplant: Markus Schröder und Janosch Asen freuten sich über die großartige Resonanz des Kulmbacher Publikums. Im nächsten Jahr soll es auf jeden Fall eine zweite Auflage geben. Bei der soll eine breitere Auswahl an Filmen präsentiert werden und es sollen mehr Filmschaffende zugegen sein. Auch soll es unterschiedliche Kategorien an Filmen geben. Weiter soll das Festival an mehreren Tagen stattfinden. Kinoleiter Werner Kampe war ebenfalls vom Besucherinteresse beeindruckt. Der Versuch sei richtig gut angekommen. Froh ist er auch, dass man alle Abstands- und Hygieneregeln einhalten konnte und die Besucher dennoch untergebracht habe. "Das Festival hat gezeigt, dass es noch etwas anderes gibt als nur das Mainstream-Kino", stellte er fest.

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