Marktredwitz Walied Youssef schafft das

Der Sozialpädagoge aus Kairo baut sich ein neues Leben in Marktredwitz auf, ehrenamtlich hilft er Flüchtlingen. Heute ist er Integrationsbeauftragter.

 
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Marktredwitz - Rückblick: Im Herbst 2015 kommen viele Flüchtlinge nach Deutschland, auch ins Fichtelgebirge. Walied Youssef, der 2007 mit seiner deutschen Frau aus Kairo nach Marktredwitz zog, spricht die Sprache der Neuankömmlinge und versteht ihre Mentalität - also engagiert er sich ehrenamtlich, wo er nur kann. Der Sozialpädagoge weiß aber auch, dass es nicht ausreicht, sich allein um die Flüchtlinge zu kümmern. Auch die Einheimischen brauchen Erklärungen für das, was gerade in ihrer Heimat geschieht.

Also moderierte Youssef im September 2015 im Egerland-Kulturhaus den Info-Abend "Das Leid beenden und ein neuer Beginn". Um die Organisation kümmerte sich die Bürgerinformationsstellen-Leiterin Anita Berek (heute Bürgermeisterin in Bad Alexandersbad). Das Interesse war riesig: Im überfüllten Saal des Egerland-Kulturhauses erzählten Menschen aus Kriegsgebieten, warum sie keine andere Wahl hatten als zu fliehen. Als Youssef zum Schluss Bilder vom neuen, friedlichen Alltag der Flüchtlings-Familien in Lorenzreuth zeigte und "What a Wonderful World" dazu abspielte, hatten viele Besucher feuchte Augen: Der Helferkreis fand neue Mitarbeiter, die bereit waren, die Zuwanderer zu unterstützen.

Fünf Jahre später ist Walied Youssef Integrationsbeauftragter bei der Stadt Marktredwitz. Der 45 Jahre alte Familienvater mit deutscher Staatsbürgerschaft, dem die eigene Integration so vorbildlich gelang und der sich lange ehrenamtlich für Flüchtlinge eingesetzt hat, unterstützt heute selbst Migranten aus den verschiedensten Ländern dabei, sich im Fichtelgebirge zurechtzufinden. "Meine Tür ist offen", sagt Youssef.

Bildung, Begegnung und Kulturverständnis: Das sind Youssef zufolge die wichtigsten Säulen der Integration. In diesem Bewusstsein sucht sich der Ägypter gleich nach seinem Umzug nach Deutschland einen Integrationskurs in Marktredwitz. "Ich wollte keinen Tag länger warten, sondern sofort Deutsch lernen." Dieser Kurs habe ihm sehr geholfen, sagt Youssef. Denn solange jemand die Sprache nicht beherrsche, sei er von der Kommunikation ausgeschlossen und damit weit weg von der Gesellschaft, in der er lebe, sagt der Sozialpädagoge. Sein Vorteil: Englisch konnte er bereits, nun konzentrierte er sich auf Deutsch. Wobei Hochdeutsch schnell gelernt war - Probleme machte der Dialekt.

Um diesen zu verstehen, suchte Youssef den Kontakt zu Einheimischen. Er trat der SG Marktredwitz bei, wo er bis heute Fußball spielt. Außerdem nahm er bereits im April 2008 eine Stelle als Facharbeiter bei der Firma Ceram Tec an. Keine leichte Aufgabe für den Fachfremden. "Das war eine neue Welt für mich. Aber wenn man es will, dann schafft man es auch. Ich wollte Geld verdienen, Kontakte knüpfen und mein Deutsch verbessern, statt zu Hause zu sitzen und zu warten, bis ich eine Stelle in meinem eigentlichen Beruf als Sozialpädagoge bekomme." Seine Kollegen unterstützten ihn und nahmen Rücksicht. "Es hat Spaß gemacht." Youssef blieb einige Jahre bei Ceram Tec, nebenbei ließ er sich seinen Sozialpädagogen-Abschluss anerkennen und erwarb mit Hilfe von Weiterbildungen Zusatzqualifikationen.

Als 2014 die ersten Kontingent-Flüchtlinge nach Lorenzreuth kamen, setzte sich Youssef in sein Auto, fuhr hin und tat, was getan werden musste: erklären, übersetzen, vermitteln. "Das habe ich einfach von Herzen gemacht." Damals hatte er zwar noch keine offizielle Funktion, doch seine Fähigkeit als Mittler zwischen beiden Welten sprachen sich bei Neuankömmlingen wie Einheimischen aus dem Helferkreis gleichermaßen schnell herum.

Die arabische Kultur, erklärt Youssef, sei in 26 Ländern fast gleich, die Unterschiede in der Mentalität seien gering, vergleichbar mit denen zwischen Deutschland und Österreich. Egal, welcher Nationalität ein Migrant aus dem arabischen Raum angehöre - "ich verstehe, wie die Menschen denken, und kann einen Dialog führen."

Das gilt bis heute und prädestiniert ihn für seine Arbeit als Integrationsbeauftragter der Stadt Marktredwitz. Gebe es beispielsweise Probleme mit einem arabischen Kind in der Schule, brauche er nur ein Gespräch mit dem Eltern zu führen, um den Knackpunkt herauszufinden. "Ich weiß ja ganz genau, wie es zu Hause läuft." Gemeinsam mit der Familie und den Bildungsträgern sucht der Sozialpädagoge, der in Kairo schon an Schulen gearbeitet hat, nach Verbesserungsmöglichkeiten.

Finanziell steht Youssefs Engagement seit Mitte 2016 auf festem Grund: Über das Integrationsprojekt "Come together - Wir l(i)eben Vielfalt" des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bekam der Sozialpädagoge eine feste Stelle in der Stadt Marktredwitz, zunächst mit Sitz im neuen Rathaus. Im vergangenen Jahr bezog er das barrierefreie Integrationsbüro in der Fabrikgasse 3 in Dörflas, hier soll später auch ein Sozialzentrum entstehen.

Wichtigste Aufgabe ist die Beratung von Migranten - Zuwanderer mit russischen, tschechischen oder mazedonischen Wurzeln sind ebenso darunter wie mit syrischen. "Das deutsche System ist für Menschen aus anderen Kulturen nicht einfach zu verstehen", sagt Youssef. Ziel ist, viele Jugendliche in eine Ausbildung zu bekommen und ihnen den Zugang zu Bildung und Begegnung zu ermöglichen. Eine wichtige Rolle bei der Integration spiele auch der Sport: Deshalb ist Youssef froh darüber, dass etliche Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Marktredwitzer Vereinen aktiv sind.

Inzwischen ist der Integrationsbeauftragte der Stadt Marktredwitz mit über 60 Partnern in ganz Bayern vernetzt. Egal, in welchem Bereich es Probleme gibt - vom Jobcenter über die Arbeitsagentur, das Sozialamt, die Schulen und die Bildungsträger kennt der Integrationsbeauftragte Ansprechpartner, die weiterhelfen können. Auch in Ämtern und Einrichtungen funktioniere heute vieles schneller und reibungsloser als noch vor fünf Jahren, als die Erfahrung fehlte. Und die Gesellschaft habe ebenfalls längst bewiesen, dass sie bereit sei, zu helfen. Insofern habe sich Angela Merkels berühmter Satz "Wir schaffen das" bewahrheitet, findet Youssef.

Wie geht der Integrationsbeauftragte mit Ressentiments um? "Feindlichkeit haben wir hier nicht", sag Youssef. Manches stelle sich zwar für Migranten so dar, tatsächlich handle es sich aber um Missverständnisse, verursacht von einer unterschiedlichen Wahrnehmung. Das beste Rezept dagegen sei, viel über die andere Kultur zu erfahren: "Es ist sehr wichtig zu wissen, wer mein neuer Nachbar ist und wie er denkt."

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