Selb Ein Selber Haus erzählt seine Geschichte

Anfang der 1950er-Jahre dürfte dieses Bild entstanden sein. Das Foto zeigt die Schlossstraße mit dem Haus, das gerade saniert wird. Foto: Archiv Gerhard Bock

Ein wechselhaftes Leben hat das Haus in der Schlossstraße 1 hinter sich. Gebaut wurde es im Jahr 1804. Seine Historie hat Gerhard Bock aufgezeichnet.

 
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Selb - Die Häuser in Selb sind das Metier von Gerhard Bock, der mit seinen historischen Vorträgen die Menschen fasziniert. Und natürlich hat er die Spur des Hauses Schlossstraße 1 aufgenommen. Allmählich hat das 216 Jahre alte Gebäude sich ihm geöffnet und seine Geschichte erzählt:

"Vor meiner Geburt standen auf dem Grund neben dem Selbbach schon mehrere Gebäude im alten Selb. Wer die Besitzer waren, weiß ich nicht. Ich selbst bin, wenn meine Geburtsurkunde stimmt, im Jahre 1804 erbaut worden. Und weil es zu dieser Zeit in unserer Heimatstadt noch keine Straßennamen gab, wurde ich auf die Hausnummer 160 ge-tauft. Mein Geburtsjahr ist im Türstock des Anwesens Schlossstraße 1 verewigt. Im Laufe der Jahre haben sich in meinen Mauern Glück und Unglück, Lebenslust und Unlust, Freude und Trauer ein Stelldichein gegeben. Am 18. März 1856 wehte in Selb ein starker Wind. Kurz vor 13 Uhr ertönte in der unteren Ludwigstraße plötzlich der Ruf: "Feuer!"; schon kam aus Richtung der alten Apotheke Rauch auf mich zu, und über den Häusern waren Flammen zu sehen. Unsere mit Schindeln bedeckten Dächer brannten in kürzester Zeit lichterloh. Auch mein Schicksal war besiegelt, und ich wurde wie alle anderen ein Raub der Flammen. Diese Brandkatastrophe vernichtete 221 Häuser und 408 Nebengebäude.

Aber ich wurde nach dem Brand als Geschäftshaus wieder aufgebaut. Dazu wurden auch rußgeschwärzte Natursteine verwendet, die man heute noch im Mauerwerk sehen kann. Auf meiner linken Seite befand sich der Hauseingang, in der Mitte baute man eine Tür zu einem Laden ein, links und rechts davon Schaufenster. Gehört habe ich zu dieser Zeit dem Kaufmann Lorenz Geyer. Wofür ich in diesen Jahren genutzt wurde, kann ich heute gar nicht mehr sagen, es ist halt auch schon recht lange her. Ich glaube, dass der Besitzer im Untergeschoss ein Ladengeschäft hatte und im Obergeschoss gewohnt hat. Was er verkauft hat, weiß ich heute auch nicht mehr.

In den 1930er-Jahren betrieb der Konditormeister Heinrich Schläger mit seiner Frau, einer geborenen Martin, in mir eine Konditorei mit einem Süßwarenladen; gewohnt haben sie im ersten Stock. Schläger starb aber schon mit knappen 40 Jahren und hinterließ eine noch junge Witwe.

Nach einiger Zeit heiratete Frau Schläger den Kaffeevertreter Maier, einen Schwaben. Er ließ sich, um die Konditorei weiterführen zu können, zum Konditor umschulen. Offensichtlich wurde aus ihm ein sehr guter Konditor, denn er buk hervorragende Torten. Besonders beliebt waren seine Marzipankartoffeln. Der Laden behielt den Namen "Konditorei Schläger" bis zur Geschäftsaufgabe.

In einer Nische im Laden befand sich ein kleiner Tisch mit vier Sitzplätzen. Dort traf man sehr oft den Künstler und Fachschullehrer Otto Keitel, die bekannte Selberin Liselotte Heinrich und den "Ende Mik" an. Im Eingang zum Laden stand bei schönem Wetter stets Frau Maier mit blütenweißer Schürze und blauschwarz gefärbtem Haar und wartete auf Kundschaft.

Im Laufe der Zeit wurde die Hausfront zur Schlossstraße umgebaut. So blieb links der Hauseingang, die Tür zum Laden baute man auf der rechten Seite ein. Ich kann heute nicht mehr sagen, wer diese Umbauten veranlasst hat - "es is ja a scho a baar Gouer her". Später legte man noch einmal Hand an meine Front: Der rechte Zugang verschwand; die Ladentür befand sich jetzt rechts neben dem Hauptzugang.

Erinnern kann ich mich, dass ich einmal der Christl Krippner gehörte, sie wurde die "Stuoagfiesch-Christl" genannt. Sie muss etwas mit Fischen zu tun gehabt haben, weil hinten im Haus ein großer Fischbottich stand, dessen Ablauf direkt in den Selbbach führte. Wahrscheinlich hatte sie ein gutes Rezept zum Stockfischwässern und sich damit ihren Spitznamen verdient.

Nach dem Tod der Christl erbte mich ein Verwandter, der es an jeden verkaufen durfte, "nur nicht an den Lichtspielhaus-Vogel" - so war es im Testament festgelegt. Ja, was es da wohl einmal gegeben hatte zwischen den beiden?! Gekauft hat mich dann der Metzgermeister Hermann Voit.

Im Jahr 1969 kam ich wieder in andere Hände, nämlich in die von Frieda Heindl. Sie hatte am Martin-Luther-Platz das Geschäft "Farben-Bauer" geführt, und nachdem dieses Haus verkauft worden war, musste sie sich mit ihrem Geschäft eine andere Bleibe suchen. Sie kaufte mich und ließ das Erdgeschoss komplett umbauen. Am 3. Oktober 1969 eröffnet sie dann ihr Geschäft in dem neuen Laden. Später übernahmen ihre Tochter Annemarie und deren Mann Herbert Kastl das Geschäft. Irgendwann einmal verbreiterte man die Tür zum hinteren Teil, der als Lager genutzt wurde, und dabei stürzte ein Teil der Decke ein.

Im Dezember 2016 wurde ich wieder verkauft, und da hatte ich ein Riesenglück: Ich kam in die Hände von Susanne und Hellmuth Groß.

Meine neuen Eigentümer wollen Altes erhalten, mein Innenleben möglichst wieder so herstellen, wie es einmal war, und mein Äußeres nur in vertretbarem Rahmen verändern. Sehr oft höre ich, wie sich Susanne mit dem Statiker oder mit Handwerkern "ogatzt", weil die unbedingt etwas Altes gegen etwas Neues austauschen oder etwas verändern wollen. Aber sie gibt nicht nach und sagt: "Das Ursprüngliche muss erhalten bleiben!" Und wenn der Umbau fertig sein wird und vieles von meiner Innerei geblieben ist, wie es einmal war, werde ich zufrieden aufatmen und einer hoffentlich langen und glücklichen Zeit entgegensehen." red

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