So!: Frau Ferres, in „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ verschwinden Sie als Person gänzlich hinter der Rolle einer starken Frau, die für Ihre Kinder kämpft. Sie tragen kurze Haare und treten im Vergleich zu Ihren anderen Rollen auch sehr viel unglamouröser auf. Was entspricht eher Ihrer Person: Die normale Mutter oder die Ferres in eleganter Abendgarderobe mit auftoupierten Haaren?
Veronica Ferres: Ganz klar die normale Mutter. Aber die Verwandlung gehört natürlich zu meinem Beruf. Ich finde es bei meiner Arbeit das Schönste, wenn man einen Regisseur findet, dem man sich als Schauspielerin im besten Sinne des Wortes hingeben kann. Jemand, bei man sich alles trauen kann, bei dem alles erlaubt ist, auch Fehler. Bei dem Regisseur Miguel Alexandre habe ich mich sehr aufgehoben gefühlt. Also bin ich für diese Rolle auch extrem weit gegangen.
So!: Wie viel Überwindung hat Sie der Kurzhaarschnitt gekostet?
Ferres: Gar keine, denn es war meine persönliche Entscheidung. Der Kurzhaarschnitt war für mich einfach ein unglaublich kraftvolles Bild dafür, wie diese Frauen in Haft ihrer Würde und Weiblichkeit beraubt wurden.
So!: Haben Sie Jutta Gallus, die „echte“ Frau vom Checkpoint Charlie, vor den Dreharbeiten getroffen?
Ferres: Ja, allerdings in einem sehr frühen Stadium. Es war rückblickend auch wichtig, sie vorher zu treffen. Als ich gemerkt habe, dass sie eine sehr offene Person ist, habe ich ihr relativ schnell sehr direkte und intime Fragen gestellt. Fragen, die ich sonst nur einem Menschen stelle, den ich seit Jahren gut kenne. Da ich aber Roman und Drehbuch sehr gut kannte, war sie mir ja bereits sehr nah. Ich hatte viele Fragen, die für mich wichtig waren – und sie hatte die Offenheit, sie mir zu beantworten. Dabei hatten wir aber so intime Momente unter vier Augen, dass ich den genauen Inhalt des Gesprächs niemals an Dritte weitergeben würde.
So!: In „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ fällt ein sehr interessanter Satz: „Sagt mir einen Ort, an dem man frei und unabhängig leben kann.“
Ferres: Und ich antworte: „Vielleicht gibt es diesen Ort gar nicht. Aber man muss ihn zumindest suchen.“
So!: Haben Sie in Deutschland für sich persönlich diesen Ort gefunden?
Ferres: Diesen Ort kann man letztendlich nur in sich selbst finden. Wenn man ihn wirklich außerhalb von sich finden will, hat das nichts mit einem Ort zu tun, sondern eher mit den gegebenen Umständen: Lebt man in einer Demokratie? Sind die Menschenrechte im Grundgesetzt verankert? Leben die Menschen nach moralischen Prinzipien? Sind solche Voraussetzungen gegeben, kann man diesen Ort überall finden. Auf Hawaii, den Seychellen, in Augsburg, auf Langeoog oder in Solingen.
So!: Gab es in Ihrem Leben einen bestimmten Punkt, an dem Sie sich angekommen gefühlt haben?
Ferres: Ich halte es für einen wichtigen Maßstab, dass man sich immer wieder folgenden Satz fragt: Bin ich gerne an dem Ort an dem ich bin, mit den Menschen mit denen ich bin? Wenn man dort gerne ist, ist man ein glücklicher Mensch. Wenn man die Frage verneinen muss, sollte man ganz schnell handeln.
So!: Sie scheinen permanent unterwegs zu sein. Haben Sie nie das Verlangen, einfach mal nur Hausfrau und Mutter zu sein?
Ferres: Doch, darauf lege ich sogar sehr großen Wert. Im Regelfall nehme ich mir nach einem maximal sechsmonatigen Dreh mindestens dieselbe Zeit frei. Ich brauche das für mich und meine Familie. Ich brauche auch die Ruhe, um wirklich glücklich zu sein. Aber auch beruflich sind solche Auszeiten extrem wichtig. Man braucht Lebenserfahrung, um sich zu verändern und mit anderen Ansätzen wieder zu neuen Rollen zurückzukehren. Ich kann nicht wie andere einen Film nach dem anderen drehen. Würde ich das tun, bekäme mein Beruf damit eine Willkürlichkeit und Austauschbarkeit, die ich nicht möchte.
So!: Vor kurzem hat sich sogar die amerikanische Variety – das wichtigste Branchenmagazin Hollywoods – sehr löblich über Sie geäußert. Warum drehen Sie soviel TV und nutzen Ihr Potenzial nicht mehr fürs Kino?
Ferres: Ich würde auch gerne wieder Kinofilme drehen, aber eben nur dann, wenn es auch Sinn macht. Ich drehe Anfang nächsten Jahres mit einem sehr jungen Berliner einen Independent-Film, auch bei Hollywoodregisseur Paul Schrader hatte ich eben erst eine kleine Gastrolle. Außerdem soll ich in einer französischen Produktion die Marga Spiegel spielen. Im Ausland drehe ich momentan also mehr Kinofilme als in Deutschland. Warum das so ist, kann ich Ihnen nicht sagen.
So!: Marlene Dietrich soll einmal gesagt haben: Es ist entspannend, Marlene zu sein, aber die Dietrich zu geben, das ist unglaublich schwer. Wie schwer fällt es Ihnen, die Ferres zu sein?
Ferres: Ich mache mir nicht so viele Gedanken darüber. Ich lebe mein Leben und bin jeden Tag sehr glücklich und dankbar, dass ich gesund bin und auf der Welt sein darf. Ich habe ja auch das große Glück, dass ich seit einigen Jahren Rollen spielen darf, die ich immer spielen wollte. Rollen, die auch eine humanistische Haltung zeigen. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angekommen, in dem ich meinen Einfluss nutzen kann, um Filme möglich zu machen, die sich für Menschenrechte einsetzen. „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ thematisiert aus diesem Blickwinkel etwa, was mit Menschen passiert, wenn ein brutales, diktatorisches Regime die Rechte und die menschliche Würde verletzt und versucht, Bürger zu zerstören und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Solche Rollen sind für mich eine große, künstlerische Erfüllung.
INTERVIEW: JOHANNES BONKE
KURZ & KNAPP
Veronica Ferres wurde am 10. Juni 1965 in Solingen geboren. Sie studierte Theaterwissenschaften in Wien. Im Fernsehen, Theater sowie im Kino hat sie mit einem breiten Rollen repertoire ihre schauspielerischen Fähigkeiten bewiesen. Wobei sie es genießt, extreme und völlig gegensätzliche Rollen zu spielen, immer auf der Suche nach der Herausforderung - von der Heiligen zum Superweib. Veronica Ferres lebt in Salzburg und München, ist seit Mai 2001 mit Martin Krug verheiratet und Mutter einer Tochter aus dieser Ehe.
TV-TIPP
Der TV-Zweiteiler „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ wird am Sonntag (30. September) und am Montag (1. Oktober) jeweils um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.