Revolutionswächter dürften zentrale Rolle in der Zukunft spielen
Auch im Iran wird über die Zukunft der Islamischen Republik debattiert, doch nicht immer öffentlich. Insider sehen Chamenei inzwischen in die Ecke gedrängt. "Nicht nur, weil es keine charismatischen Geistlichen mehr gibt, sondern weil im Land der Islam selbst infrage gestellt wird", erklärt ein Professor, der nicht beim Namen genannt werden will.
Stattdessen könnten die ohnehin sehr mächtigen Revolutionsgarden, die ideologischen Elitestreitkräfte, die Macht auf sich konzentrieren. "Diese militärische Konstellation, eventuell mit einigen limitierten gesellschaftlichen Freiheiten, könnte auch einige Jahre funktionieren", sagt der Experte. Ihre militärische Macht in der Region dürften sie versuchen aufrechtzuerhalten.
Die Revolutionsgarden wurden nach den Umwälzungen von 1979 gegründet, mit ihren Al-Kuds-Brigaden sind sie auch im Ausland tätig. Zwei ihrer Brigadegeneräle wurden jüngst bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff in Syrien getötet. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Revolutionswächter nicht nur militärisch hochgerüstet worden, sie haben auch ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Einfluss ausgebaut. Heute gelten sie als Wirtschaftsmacht, mit Beteiligungen unter anderem an Hotelketten und Airlines.
Ein gut vernetzter Journalist, der ebenfalls lieber anonym bleiben möchte, sieht das islamische System 45 Jahre nach der Revolution in der Krise. Ein neuer Religionsführer könnte auch eine eher symbolische Rolle einnehmen. "Potenzielle Nachfolger wie (Präsident Ebrahim) Raisi werden vom Volk nicht ernst genommen", sagt der Reporter. "Aber ein neuer Führer muss ernannt werden", fügt er hinzu und meint: "Die Staatsangelegenheiten werden dann, wie in den letzten Jahren auch, von den Revolutionsgarden kontrolliert und gelenkt."
Risiko von Staatsstreichen und Protesten steigt in Umbruchphase
Die Politikwissenschaftlerin Zamirirad sieht das Land in einer kritischen Übergangszeit. "Solche Phasen können schnell mit Instabilität einhergehen. Hier steigt das Risiko von verschärften Machtkämpfen, Umsturzversuchen oder einem Staatsstreich."
Sie spricht von einem klassischen Nachfolgedilemma. Wenn der Machthaber einen Nachfolger ernennt, bestehe die Gefahr, dass der Herrscher noch während seiner Amtszeit an Macht und Einfluss verliert, weil sich andere Kräfte bereits an der neuen Führungsperson orientieren. Bestimme man hingegen niemanden, besteht die Gefahr verschärfter Konflikte, "weil sich jede Gruppe noch Hoffnung darauf machen kann, dass sie die Macht übernimmt."
Auch spontane Proteste im Falle des Todes von Chamenei seien denkbar. "Das wäre ein Zelebrierungsmoment für viele Iranerinnen und Iraner. Es ist denkbar, dass Massen von Menschen auf die Straße strömen, um seinen Tod zu feiern und sich neue Protestdynamiken entwickeln." Und sie sagt: "Die iranische Führung bereitet sich schon seit Jahren sehr intensiv auf die Transition vor. Das ist aber natürlich trotzdem kein Garant dafür, dass sie dann auch so geordnet abläuft, wie sie sich das vorstellt."