Nicht alle sind so fit wie Wolf - aber fitter als mancher vielleicht erwartet. Die "Zweite Heidelberger Hundertjährigen-Studie" ergab, dass mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer keine oder nur geringe Einschränkungen im Geistigen hatte. Körperlich sieht es anders aus. Unter den befragten Hundertjährigen war keiner, der keine Gesundheitsprobleme hatte.
Mit 53 Jahren ist Thormaehlen nur etwa halb so alt. Der in Wiesbaden lebende Fotograf hat ein Atelier in Frankfurt und ist gefragter Experte, wenn es um Hochbetagte geht. Der Münchner Verlag Knesebeck hat bereits den dritten Bildband mit seinen Altersporträts herausgebracht ("100 Jahre Lebensglück"), in mehr als 50 Ausstellungen weltweit wurden seine Arbeiten gezeigt.
Angefangen hat das Ganze mit einem eher schlechten Bild: Thormaehlen sah das Porträt eines Mannes, dem in einer Zeitung zum 100. gratuliert wurde, und fand das lieblose Foto "dieser Lebensleistung unwürdig", wie er erzählt. Er schlug seiner Agentin vor, eine Serie mit 100-Jährigen zu machen - und konnte gleich mit deren 102-jähriger Großmutter anfangen. "Ich war völlig perplex, wie agil die Dame war", sagt er über sein erstes 100-Jährigen-Bild. Eine Erfahrung, die er noch oft machen sollte in den folgenden zwölf Jahren: Von vielen Hochbetagten, die er kennenlernte, war er "sehr beeindruckt".
Auch Ingeborg Wolf muss wohl lebenslang eine beeindruckende Person gewesen sein. Geboren wurde sie 1915 in einem Ort, der heute zu Russland gehört. Aufgewachsen ist sie in Rostock. Früh heiraten, Hausfrau und Mutter werden war keine Option: "Ich hatte Ambitionen." Am meisten interessierte sie sich für Mode. In den 50ern studierte sie Innenarchitektur, leitete später ein Möbel- und Designgeschäft und entwarf Wohnungen für Freunde, Bekannte und Verwandte.
"Ich bin alleine, aber nicht einsam", sagt die 103-Jährige, die seit drei Jahrzehnten Witwe ist. Sie hat spät geheiratet - einen Arzt - hat keine Kinder, keine Enkel und keine Urenkel. "Ich habe einen ganz großen Freundeskreis - den muss man sich aber auch bewahren." Sie schreibt Briefe, handschriftlich. Freunde zu besuchen ist inzwischen zu mühsam. Zum Fotoshooting nach Berlin begleitete sie eine Nichte.
Der Kontakt kam über Fotograf Thormaehlen zustande. Firmen, Medien oder Institutionen, die besonders Hochbetagte suchen, wenden sich oft an ihn. Das Problem: Sein umfangreiches Adressbuch mit über 100-Jährigen ist nie lange aktuell.
Zum 100. hat Ingeborg Wolf ihre Memoiren geschrieben - mit der Hand. Mit dem Computer wurde sie nicht mehr warm. Lernen würde sie das wohl, glaubt sie, "es ist ja nicht so, dass wir Alten nicht mehr lernfähig wären". Aber so ein hässlicher Kasten, und wohin mit all den Kabeln? Das Abtippen übernahm daher eine Nichte. Auf Fotos sieht man ein junges Mädchen zu Pferde, einen Verlobten, der im Zweiten Weltkrieg starb, eine kecke junge Dame im Stile Audrey Hepburns, eine energische Ältere mit Sturmwindfrisur. "Ach, ich könnte Romane erzählen..."