Brückeneinsturz in Baltimore 90 Sekunden, die viele Leben retten

Thomas Spang
Ein Boot der Küstenwache patrouilliert im Hafen von Baltimore vor dem Unglücksschiff, das die Brücke zerstört hat. Foto: dpa/Steve Helber

Ein „Mayday“-Ruf der Dali und das beherzte Eingreifen von Sicherheitskräften haben in Baltimore eine größere Katastrophe verhindert.

 
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Jesus Campos schreckte aus dem Bett auf, als in den frühen Morgenstunden das Telefon klingelte. Ein Kollege seiner Straßenbaufirma berichtete ihm von der Tragödie in der Zufahrt zum Hafen von Baltimore. Ein gewaltiges Transportschiff, das mit Stahlcontainern hochbeladen auf seine Reise nach Colombo in Sri Lanka aufgebrochen war, hatte in den frühen Morgenstunden die „Francis Scott Key Bridge“ gerammt.

Binnen 40 Sekunden kollabierte das Juwel der US-Ingenieurskunst, das seit 1977 auf zweieinhalb Kilometer den Patapsco Fluss überspannt. Mehrere Arbeiter, die in der Nacht Schlaglöcher ausgebessert hatten, stürzten mit der Brücke ins eiskalte Wasser. Zwei konnten gerettet werden, sechs gelten als vermisst. Sie sind wohl tot.

Sechs vermisste Arbeiter sind wohl tot

Campos eilte sofort zum Ort der Tragödie. „Das sind alles meine Kollegen und Freunde“, berichtet der Mann aus El Salvador, der in den vergangenen acht Monaten wie diese auf der Brücke arbeitete. Dass er freihatte, war sein Glück. Ja, das Arbeiten auf der über 400 Meter freischwingenden Brücke sei gefährlich gewesen, erzählt er Reportern. Aber nicht wegen der Struktur des Bauwerks, sondern den Rasern, die auf der I-695 oft viel zu schnell an den Arbeitern vorbeirauschten. Tag für Tag rollten über die „Francis Scott Key Bridge“ rund 31 000 Fahrzeuge, darunter etwa 4900 Lastwagen, mit Gütern im Wert von jährlich 28 Milliarden Dollar.

Der ebenfalls zum Ort der Tragödie geeilte Bürgermeister von Baltimore, Brandon M. Scott, fasste in Worte, was Campos empfand. „Eine Brücke kann wiederaufgebaut werden“, erklärte Scott. „Wir konzentrieren uns jetzt auf das Schicksal der Menschen“.

Ohne das beherzte Eingreifen der örtlichen Sicherheitskräfte wären vermutlich sehr viel mehr Opfer zu beklagen. Das Containerschiff Dali hatte bei der Hafenausfahrt Strom verloren und ließ sich nicht mehr steuern. Die Crew des in Singapur registrierten Containerschiffs setzte einen „Mayday“-Ruf ab, der 90 Sekunden vor der Kollision zur Sperrung der Brücke führte.

Der Gouverneur preist die Verantwortlichen als Helden

Der Gouverneur von Maryland, Wes Moore, pries die Verantwortlichen der Blitzentscheidung als „Helden“. Der Politiker versteht, wie wichtig für die ohnehin gebeutelte Hafenstadt Lichtblicke sind. Denn auf absehbare Zeit blockiert die zusammengebrochene Stahlbrücke die Einfahrt in den Hafen.

US-Präsident Joe Biden versprach in einer eilends angesetzten Pressekonferenz, nicht auf eine Klärung der Verantwortung für das Unglück zu warten. Die US-Regierung werde sämtliche Kosten für den Wiederaufbau übernehmen. Auf die Frage, warum die von der dänischen Maersk-Gruppe gecharterten Betreiber nicht zur Kasse gebeten werden, reagierte der Präsident ausweichend.

Warum hatte die Dali keinen Schlepper?

Während keine Brücke der direkten Kollision mit einem voll beladenen Containerschiff standgehalten hätte, hinterfragen Experten andere Sicherheitsvorkehrungen: Warum die Pufferzonen um die Brückenpfeiler nicht breit genug ausgelegt waren zum Beispiel oder warum die Dali keine Schleppboote für die Navigation aus dem Hafen benutzte.

Für Jesus Campos ist das im Moment alles nebensächlich. „Ich bin einfach nur traurig“, erzählt er den Reportern. Seine vermissten Kollegen seien alle gute Familienmenschen gewesen, die hart gearbeitet hätten, damit es ihre Kinder einmal besser hätten.

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