"Real Power" verabschiedet sich auch vom Dance des Vorgängers und ist in weiten Teilen viel ruhiger angelegt - samt Balladen. Es lassen sich stilistisch gänzlich unterschiedliche Glanzstücke finden. Da wäre etwa das grandiose "Tell Me Something" mit einem Mix aus tiefergelegt-dröhnenden Industrial-Elementen, klassischem Piano, leichten Percussions und Dittos mächtiger Soul-Stimme. In "Don't Be Afraid" wiederum kommt die Dominanz der Sängerin zwischen 80er-Keyboard-Einsprengseln eindrucksvoll zum Vorschein.
In Berlin wird gerülpst und geschrien
Im Lido spielen Gossip natürlich auch ihre Klassiker: "Love Long Distance", "Men in Love", "Listen Up" und "Standing in the Way of Control" sind auf der Setlist. Ditto zeigt, was sie mit ihrer Stimme vollbringen kann, sie zieht alle Register. Die Energie von queerem Punkrock werde einfach nicht alt, sagt sie. Sie rülpst und macht Scherze über Flatulenzen, versucht sich an deutschsprachigen Witzen, vaped auf der Bühne und quält ihre Stimme bis zum Schrei.
An dem Abend ist kaum vorstellbar, wie Gossip Ende vergangenen Jahres noch im herausgeputzten Ambiente der "Helene-Fischer-Show" das Publikum zum Mitmach-Klatschen animierten. Die Band ist wahrlich ein undurchsichtiges Phänomen. Irgendwo zwischen queer-feministischem Underground und durchorchestriert-kommerziellem Mainstream hat sie sich seit Jahren eingenistet.
Nur mal "Tschüss" - und dann wieder "Hallo"
Seit ihrer Teenager-Zeit im US-Bundesstaat Arkansas kennen sich Ditto und Howdeshell. Vor 25 Jahren formiert sich die Band, zu der später Drummerin Hannah Blilie stößt. Die ersten Alben sind von Garage-Rock und Riot-Punk geprägt. Im Jahr 2006 beginnt mit der dritten Platte "Standing in the Way of Control" der Aufstieg auf der Karriereleiter. Vor allem in Europa spielen Gossip ihre wilden Konzerte bald in größeren Hallen. Ditto wird mit ihrer Coolness zur Ikone der LGBTQI-Community, also für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und queere sowie intersexuelle Menschen. Bis heute hat die Band nach Angaben ihres Labels weltweit mehr als zehn Millionen Platten verkauft.
2016 wird die Trennung publik. "Es gab keinen großen Krach. Am Ende haben wir einfach Tschüss gesagt, das Leben geht weiter", sagt die Sängerin damals. Kein Drama also.
Und jetzt einfach wieder "Hallo"? "Irgendwie schon", sagt Ditto in Berlin. "Es gab kein Zögern, besonders nicht zwischen mir und Nathan." In guten Beziehungen werde verstanden, dass der oder die andere Freiheiten brauche, und dass man nicht mehr dieselbe Person sei wie 13 Jahre zuvor. "In Gossip steckt eine Schlichtheit, die ich einfach liebe", sagt sie. "Es wird nicht viel über unsere Ziele gesprochen oder darüber, was wir wollen oder was wir nicht wollen. Es passiert einfach."