Tyrannei der Normen
Doch diese Betonung von Homogenität hat eine Kehrseite, eine Art Tyrannei der Normen. So wird Mädchen bis heute oft vorgegeben, schlank zu sein, Jungen, keine langen Haare und später keinen Bart zu tragen. Als Faustregel gilt: Wer dazugehören will, muss einem engen Korsett von Normen entsprechen. Wer das nicht tut, wird ausgegrenzt.
Der Umgang mit Menschen mit Behinderung ist für diese Tendenzen lange symptomatisch gewesen. Neben der Diskriminierung waren bis vor Kurzem noch viel drastischere Mechanismen der Ausgrenzung verbreitet. So wurden durch ein Eugenikgesetz noch zwischen 1948 und 1990 rund 16 500 Personen mit einer Behinderung, auch Kinder, sterilisiert und so an der Fortpflanzung gehindert.
Nach jahrzehntelanger Interessenvertretung ist über die vergangenen Jahre eine größere Debatte über die Aufarbeitung dieses Kapitels entfacht. Vor dem Hintergrund viel diskutierter Klagefälle erließ das japanische Parlament 2019 ein Gesetz zur Entschädigung in Höhe von 3,2 Millionen Yen (rund 20 300 Euro) für Betroffene. Viele halten die Summe für zu niedrig, gemessen am Leid der Betroffenen. Aber dass so ein Gesetz überhaupt durchs Parlament ging, dürfte auch an einem Wertewandel liegen, zu dem die Olympischen und Paralympischen Spiele 2021 in Tokio ihren Beitrag leisteten. So ist das Bild von Menschen mit Behinderung in Japan wohl noch nie so positiv gewesen wie heute. Und das Dawn Café, des im Vorfeld der Spiele öffnete, dürfte einen Teil dazu beigetragen haben. Japanische und internationale Medien haben über das Café berichtet, lobten das inklusive Element und die innovative Idee.
„Wenn da ein Roboter zu ihnen spricht, sind viele Personen neugierig und wollen wissen, wer ich bin“, sagt Chifuyu. Sie freue sich drüber. „Das ermöglicht mir, die Leute auch mal auszufragen, oft entstehen spannende Unterhaltungen.“ Außerdem: Die Angestellten benutzen ihre Humanoiden auch als Augen. „Während ich hier zu Hause am PC sitze, kann ich natürlich auch Sie sehen“, sagt Chifuyu und lacht. So werde ihr nie langweilig. „Was glauben Sie, was man als Kellnerin so alles mitkriegt!“