Das Ukraine-Tagebuch „Die Russen haben am Atomkraftwerk alles vermint“

Thomas Simmer mit seiner Tochter Sofia und Mutter Irina. Foto: /Privat

Das größte Akw Europas befindet sich fast in Sichtweite und ist in russischer Hand. Thomas Simmler berichtet, wie die Menschen vor Ort mit der Gefahr leben.

 
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Die Südfront und das größte Atomkraftwerk Europas in Saporischschja ist von uns nur ein paar Kilometer entfernt. In deutschen Medien gibt es aktuell viele Berichte darüber. Fakt ist: Seit vier Monaten haben die Russen dort das Sagen. Die wichtigen ukrainischen Mitarbeiter sind allenfalls geduldet. Vor einigen Tagen sollen die Russen einen Mitarbeiter gefoltert haben, der dann im Klinikum an den Misshandlungen gestorben ist.

In Friedenszeiten konnten wir von zu Hause aus auf einen Hügel spazieren und auf die riesige Anlage blicken. Dort arbeiten mehrere tausend Menschen und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Eine Bekannte ist dort tätig. Sie hat uns erzählt, dass sich für sie selbst nichts geändert hat. Obwohl wir so nah drin sind, bekommen wir darüber hinaus wenig mit, was dort vor sicht geht. Dass der Chef der europäischen Atomenergiebehörde besorgt ist, weil die Mitarbeiter einem extremen Stress ausgesetzt sind, bekomme ich mit. Aber wie groß konkret die Gefahren sind und was die Russen dort für Probleme schaffen? Das weiß niemand. Fakt ist: Sie haben alles vermint in der Gegend und die Ukraine wird niemals dort angreifen.

So komisch es klingen mag: Die Menschen hier machen sich über das Atomkraftwerk relativ wenig Gedanken. Auch mir macht das zweite Akw, das von uns 250 Kilometer entfernt ist, mehr Sorgen. Dort knallen die russischen Truppen wild umher. Das passiert ja leider überall und weiß inzwischen die ganze Welt. Die Ukrainer können dank der westlichen Waffen sehr präzise feuern. Den Russen ist fast egal, was sie treffen, man denke nur an das Einkaufszentrum, das sie beschossen haben. Das gehört zu ihrer Strategie. Sie wollen Angst verbreiten.

Eine Bekannte aus Charkiw hat uns dieser Tage erzählt, dass jeden Morgen, wenn sie aus dem Fenster schaut, schwarzer Rauch über der Stadt liegt. Die Russen beschießen die Stadt von ihrem eigenen Territorium aus. Offenbar haben die Ukrainer sich jetzt gewehrt und ihrerseits auf die russische Stadt Belgorod geschossen. Eine andere Version geht so, dass das die Russen selbst waren, um einen Grund für eine Kriegserklärung zu haben. Man sieht: Der Krieg ist auch ein Krieg der Propaganda und es ist schwer, immer die Wahrheit herauszufiltern. Klar ist nur: Den Russen kann man schon lange nichts mehr glauben.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit vielen Wochen bei seiner neunjährigen Tochter Sofia und deren Mutter Irina in der Südost-Ukraine auf. Russische Truppen sind in Sichtweite stationiert.

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