Das Ukraine-Tagebuch „Die Russen wollen nur noch zerstören“

Thomas Simmler Foto: /privat

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus ist seit Wochen bei seiner Tochter Sofia und der deren Mutter in der Ukraine. Von dort schildert schildert er uns regelmäßig, wie sich das Leben im Krieg täglich verändert.

 
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„Die Gräueltaten der russischen Armee sind ein großes Thema. Von Woche zu Woche steigt die Abneigung und, ja, auch der Hass gegen die russischen Truppen. Die Menschen fragen sich: Wie kann so etwas möglich sein?

Die Beziehung zu den Russen vor Ort hat das aber nicht verändert. Das ist gut so. Eigentlich ist sogar das Gegenteil eingetreten. Denn diese Menschen mit russischen Wurzeln sind jetzt alle Ukrainer. Wirklich alle. Ich habe nicht einen getroffen, der das Vorgehen der Russen verteidigt.

Jeden Tag erleben wir mehrfach Luftalarm. Unsere Stadt war bislang kein direktes Angriffsziel, aber niemand weiß, ob und wann sich das ändert. Die Angst greift immer stärker um sich. Unsere Nachbarin ist bis vor einigen Tagen noch regelmäßig in die Stadt zum Einkaufen gegangen. Jetzt geht sie allein kaum noch raus. Die Russen habe keine Strategie, sie wollen offenbar einfach zerstören und schießen wahllos mit ihren Raketen. Manchmal treffen sie Dörfer, wo es kein einziges sinnvolles Ziel für sie gibt.

Immerhin ist es im nahen Atomkraftwerk Saporischschja ruhig. Die Anlage steht ja seit einiger Zeit unter Kontrolle der Russen. Dort geht offenbar alles seinen geregelten Gang.

Ich hatte zuletzt um Hilfe gebeten für zwei junge Frauen aus der Ukraine. Es ist großartig, wie viele Menschen sich gemeldet haben, ob aus Kulmbach oder Himmelkron, Marktleugast oder Rugendorf. Viele haben Bilder geschickt, wo die beiden wohnen könnten. Es ist sehr rührend. Im Moment befinden sich Julia und Renata noch in einem Lager in Wasserburg. Wir haben inzwischen die Genehmigung, dass sie das Lager verlassen dürfen. Beide haben allerdings Angst. Ich versuche, mit ihnen oder ihrer Mutter Inna zu sprechen und sie zu überzeugen. Ich hoffe, das gelingt in den nächsten Tagen.

Die Menschen in der Ukraine wissen die Hilfe vieler Deutscher sehr zu schätzen. Wir erleben aber auch, wie Flüchtlinge zurückkehren. Eine gute Bekannte von uns war mit Mann und Kind in Polen. Sie sind jetzt wieder daheim – trotz der Gefahr. Sie sagen: Wir wollen nicht als Flüchtlinge leben und anderen auf der Tasche liegen. Und auch Irina will nicht weg. Sie sagt: Das hier ist meine Heimat. Hier bin ich zu Hause.

Die Anspannung ist aber groß. Deshalb tut uns jede kleine Abwechslung gut. Gestern hat unsere Tochter Sofia eine Eins in der Schule bekommen. Im Fach Englisch. Das hat uns sehr gefreut. Krieg hin oder her.“ Protokoll: awu

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