Theaterstück Was Corona mit dem Kopf gemacht hat

Lisbeth Kaupenjohann
Robert (Finn-Luca Ott) und Anna (Milena Ciliberti) geraten in Schwierigkeiten. Wem droht eine Depression? Zwei Mitschüler, Severin und Lenny (vorn im Publikum), checken die Merkmale anhand einer Liste. Foto: Lisbeth Kaupenjohann

Mit dem Theaterstück „Icebreaker“ wollen Mittelschüler aus Helmbrechts auf Depressionen bei Jugendlichen aufmerksam machen. Corona und Lockdown stellen eine große psychische Belastung dar.

 
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Robert und Anna sind „Pubertiere“. Sie wissen selbst nicht, was los ist mit ihnen. Kein Bock auf Schule. Kein Bock auf irgendwas. Dunkle Gedanken. Eltern, Geschwister und Freunde leiden mit. Teenager sind mitunter seltsam und schwer zu verstehen. Sie wandeln sich vom Kind zum Erwachsenen, haben dabei viel zu leisten. „Eine herausfordernde Zeit, eine herausragende Lebensphase“, betont Jean-Francois Drozak, Kulturdesigner und Theatermacher aus Nürnberg. Manchmal übersteigen die Anforderungen die Kraft junger Menschen. Es können sich depressive Erkrankungen entwickeln. „Corona und die damit verbundenen Lockdowns waren eine große Herausforderung, die das noch verstärkt haben“, betont Drozak. „Ein Jahr Lockdown hat auf Jugendliche eine Wirkung wie zehn Jahre Lockdown auf Erwachsene.“

Jeder kann Robert und jede Anna sein. Es handelt sich um die Hauptpersonen des Theaterstücks „Icebreaker“, das Schülerinnen und Schüler der Mittelschule Helmbrechts unter Drozaks Leitung in nur fünf Tagen erarbeitet haben. Es dreht sich um das Thema Depression, wie man die Anzeichen erkennen kann, um – hoffentlich rechtzeitig – helfen zu können. Ein Stück von Jugendlichen für Jugendliche. Drozak war mit diesem Konzept schon an mehreren Schulen in der Region unterwegs. Die bayerischen Ministerien für Gesundheit, Unterricht und Kultus fördern das Projekt, ebenso die AOK Bayern.

„Das Thema Depression ist im Unterricht schwer vermittelbar – die Theaterpädagogik kann das besser an die Herzen bringen“, sagt Stefan Stadelmann, Leiter der staatlichen Schulämter in Stadt und Landkreis Hof. Die Mittelschule Helmbrechts engagiere sich seit drei Jahren auf diesem Gebiet. „Eine gute Sache“, lobt Bürgermeister Stefan Pöhlmann, der sich die Premiere bis zum Schluss ansieht. Er zeigt sich beeindruckt davon, wie viel Kreativität die jungen Akteure entwickeln – und oft gerade jene Schüler, die sonst eher unauffällig bleiben, wie auch Stadelmann bemerkt. Die Mittelschule Helmbrechts nehme ihren Auftrag als „Schule mit Courage“ sehr ernst. Wie wichtig das ist, habe sich bei der Landtagswahl gezeigt.

„Psychische Krankheiten werden in unserer Gesellschaft oft noch als Tabuthemen behandelt“, erläutert Andrea Ott von der AOK Hof-Wunsiedel. „Wir setzen uns seit Jahren in Schulen und Kindergärten für die Gesundheitsförderung ein – um vorzubeugen.“ Nach dem neuesten Gesundheitsbericht der AOK Bayern waren in der Stadt Hof im Jahr 2019 14,5 Prozent der Versicherten an Depression erkrankt, im Landkreis Hof 12,5 Prozent. Nach Rückenschmerz, Bluthochdruck und Adipositas liegt die Depression damit auf Platz vier der insgesamt 13 erfassten Erkrankungen. Die Zahl der Jugendlichen mit Anzeichen einer Depression ist laut einer Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) im ersten Corona-Lockdown deutlich gestiegen. Mädchen und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind besonders betroffen. Dabei sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

Schulleiterin Stefanie Zapf hofft, dass „Icebreaker“ die Schülerinnen und Schüler für das Thema Depression sensibilisiert. Dass sie Anzeichen bei Freunden und Familienmitgliedern erkennen und richtig ansprechen können. Die jungen Zuschauer folgen der Theateraufführung sehr aufmerksam. Zwei Schüler im Publikum notieren anhand ausgeteilter Checklisten stellvertretend für alle die Merkmale, die ihrer Ansicht nach für eine beginnende Depression sprechen. Die Jugendlichen erkennen die Zeichen: Auch wenn Robert und Anna sich in manchem ähneln, zeigt einer der beiden doch deutliche Anzeichen der Krankheit: keine Lust mehr auf Essen, Absonderung von Familie und Freunden, Gedanken an Freitod. Deutlich wird aber auch, dass Geschwister mitleiden. Weil sich alles um Robert oder Anna dreht und sie selbst mit ihren Bedürfnissen von den Eltern weniger beachtet werden. Oder weil sie sich eine Mitschuld geben.

Während der Aufführung hält Drozak das Spiel immer wieder an, um nachzufragen: Wo sind Anzeichen einer Depression erkennbar? 95 Prozent aller Selbstmorde, warnt er, seien auf eine Depression zurückzuführen. Der Theatermacher ermutigt die Jugendlichen, Anzeichen ernst zu nehmen. „Oft hilft es schon, jemanden darauf anzusprechen. Manchmal hilft nur eine Therapie.“ Sich einzumischen, erfordere allerdings Zivilcourage. Auch andere Probleme kommen ganz nebenbei zur Sprache, wie etwa die Angst, „zu dick“ zu sein oder irgendwie nicht so, wie man gern möchte. „Es ist normal, Hunger zu haben. Esst, was ihr wollt“, ruft Drozak den Jugendlichen zu. „Lasst euch nicht durch die Medien verunsichern. So, wie ihr seid, seid ihr super!“

Super gespielt hätten die Akteure, finden denn am Ende die Zuschauer – Jugendliche wie Erwachsene – und spenden reichlich Beifall. „Wahnsinnig stolz“ sei sie auf ihre Schüler und Schülerinnen, betont die Schulleiterin. Sie hätten Mut bewiesen und in einer Woche sehr viel gelernt.

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