Einen anderen Ansatz verfolgen Forscher des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell/Konstanz: Sie versuchen, aus dem Verhalten von Tieren auf unmittelbar bevorstehende Erdbeben zu schließen. Tatsächlich gibt es viele Berichte über Wild- und Nutztiere, die vor Erdbeben besonders unruhig gewesen sein sollen. Allerdings handelt es sich dabei um anekdotische Erzählungen ohne wissenschaftliche Belege. Nach solchen suchen die Forscher aus Radolfzell. Sie rüsteten dazu etwa Kühe, Schafe und Hunde in einer italienischen Erdbebenregion mit Beschleunigungssensoren aus und zeichneten die Daten über mehrere Monate auf.
Im Beobachtungszeitraum gab es neben vielen kaum spürbaren Beben auch zwölf Erdbeben mit einer Stärke von vier oder mehr. Und was machten die Tiere? Die Forscher konnten tatsächlich auffällige Verhaltensmuster feststellen, die bis zu 20 Stunden vor einem Beben auftraten. Allerdings genügte es dafür nicht, nur einzelne Tiere zu beobachten, sondern alle Tiere gemeinsam. „Im Kollektiv scheinen die Tiere Fähigkeiten zu zeigen, die auf individueller Ebene nicht so leicht zu erkennen sind“, sagte Studienleiter Martin Wikelski zu den ersten Ergebnissen. In einem Fall sei tatsächlich drei Stunden nach einer deutlich erhöhten Aktivität der Tiere ein kleines Beben aufgetreten, „dessen Epizentrum direkt unter dem Stall der Tiere lag.“
Trotz solcher ermutigender Ergebnisse seien weitere Untersuchungen nötig, bevor das Verhalten von Tieren zur Erdbebenvorhersage genutzt werden könne, betonen die Forscher. Dazu müsse eine größere Anzahl von Tieren über längere Zeiträume in verschiedenen Erdbebenzonen der Welt beobachtet werden. Im Rahmen des deutsch-russischen Icarus-Projekts wurden dazu Beobachtungsdaten der Internationalen Raumstation ISS genutzt. Wegen des Ukraine-Kriegs erhalten die Forscher aber seit vergangenem März keine Daten mehr von dort.