Erinnerung an deutsch-türkisches Anwerbeabkommen Aufbruch in die zweite Heimat

Lisbeth Kaupenjohann
Hülya Wunderlich von der EJSA präsentiert die Broschüre „Von Gastarbeitern zu Einheimischen?! – 60 Jahre deutsch-türkisches Abkommen“. Foto:  

In Hof erinnert die EJSA an die Zeit, in der viele Menschen nach Hof kamen, um hier zu arbeiten. Mittlerweile nennen sie die Saalestadt ihre Heimat.

 
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Hof - Wo wäre Deutschland heute ohne seine Gastarbeiter? Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es, die Wirtschaft wieder flott zu machen. Und es lief rund – man brauchte mehr Arbeitskräfte. So holte man Gastarbeiter ins Land, zunächst aus Italien. Spanier, Griechen und Portugiesen folgten. Schließlich kamen die ersten Türken ins Land. Am 31. Oktober 1961 kam das deutsch-türkische Anwerbeabkommen zustande, auch auf Druck der türkischen Militärregierung.

Junge Männer qualifizierten sich zu Hause für zwei Jahre Arbeit in Deutschland. Dann wurden Verträge verlängert, alleinstehende Frauen und Ehefrauen mit Kindern zogen nach. Lange bleiben wollten die wenigsten, aber viele schlugen dann doch Wurzeln im Gastland und blieben. Eine 110 Seiten starke Broschüre, herausgegeben von der EJSA Hof, erinnert an die ersten türkischen Gastarbeiter in Hof. Heute lebt bereits die dritte und vierte Generation in der Saalestadt, die ihre Heimat ist.

In lockerer Runde treffen sich an diesem Nachmittag in den Räumen der EJSA Vertreter mehrerer Generationen mit türkischem Familienhintergrund mit jenen, die über Jahre hin mitwirkten, ihnen den Neuanfang in einer fremden Welt zu erleichtern. Vorsitzende Astrid von Waldenfels begrüßt die Gäste. Hülya Wunderlich, langjährige Leiterin des Internationalen Mädchen- und Frauenzentrums der EJSA, stammt selbst aus einer türkischen Gastarbeiterfamilie und lebt seit 1977 in Hof. Seit Jahrzehnten engagiert sie sich für Migrantinnen und sitzt seit 2014 für die SPD im Hofer Stadtrat. Sie stellt die Broschüre vor, die unter dem Titel „Von Gastarbeitern zu Einheimischen?!“ die Rahmenbedingungen des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens skizziert und Einwanderer der zweiten Generation sowie Zeitzeugen, die an ihrer Integration mitgewirkt haben, zu Wort kommen lässt. Hülya Wunderlich hat Interviews geführt und Materialien gesammelt. Sonja Wietzel-Winkler übernahm die Bildgestaltung. Ein Teil des Inhalts war vor zehn Jahren zum 50. Jahrestag in einer viel beachteten Ausstellung im Bürgerzentrum zu sehen. „Demokratie leben“ und die Oberfrankenstiftung förderten das Projekt. „Vielleicht nutzt ja einmal jemand diese Publikation für die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas“, hofft Wunderlich.

Unterschiedliche Schicksale kommen zur Sprache. Yusuf Bahceci etwa gehört zur ersten Generation türkischer Gastarbeiter. „Man hat mich 1972 in meiner Heimat in der Osttürkei angeworben“, erzählt der elegant gekleidete Rentner, der viele Jahre lang für die Textilgruppe gearbeitet hat. Das Leben sei nicht einfach gewesen. Er erinnert sich an die vielen Nachtschichten. Ab 1979 arbeitete seine Frau mit. Drei Kinder wurden geboren, fünf Enkel hat das Ehepaar. „Hof ist meine zweite Heimat.“

Sema Kiser gehört bereits der zweiten Generation an. Ihrer Sprache hört man die türkische Abstammung nicht mehr an. Ihre Eltern kamen Anfang der 1970er-Jahre nach Hof – ohne Kinder, die blieben vorläufig bei Verwandten in der Türkei. Man wollte ja nach zwei Jahren ohnehin zurückkehren. „Die Fotos, die meine Eltern schickten, machten mich traurig“, erinnert sich Kiser. „Da saß ein fremdes Kind auf Papas Schoß. Ich habe einen Brief geschrieben, dass ich zu ihnen kommen will.“ Die vereinte Familie lebte dann in einer Wohnung am Jaspisstein. Dort wohnten Migranten aus verschiedenen Ländern. „Wir verständigten uns mit Händen und Füßen“, erzählt Kiser. Deutsch habe sie in der Schule gelernt. „Die Lehrer haben sich viel Mühe gegeben.“ Hoffnung, einmal eine höhere Schule besuchen zu können, gab es nicht. Der Vater starb schon mit 40 Jahren an Krebs. Sema als zweitälteste Tochter musste sich um die Geschwister kümmern. „Für uns galt: Fuß fassen. Nur nicht unterkriegen lassen!“ Sie absolvierte eine Lehre als Friseurin statt in der Fabrik zu arbeiten. Mit 38 Jahren machte sie noch einmal eine Ausbildung, heute ist sie Verwaltungsangestellte bei der Lebenshilfe. „Meine Kinder und ich fühlen uns als Deutsche“, sagt sie. „Hof ist meine Heimat!“

Zwei Lehrer, Klaus Strobel und Siegfried Müller, erinnern sich daran, wie sie als junge Pädagogen völlig unbedarft Unterricht geben sollten in zweisprachigen Klassen. Sie hatten zuvor noch nie mit ausländischen Kindern zu tun gehabt. „Es war ein Schock“, berichtet Strobel. „Wir wussten nichts von deren Kultur. Es gab auch keine Unterrichtsmaterialien.“ Die jungen Pädagogen erarbeiteten sich selbst Materialien, erfuhren Hilfe durch den einen oder anderen Kollegen und durch türkische Lehrer. Später nahmen sie ein Zweitstudium auf, lernten Türkisch. „Unser Weltbild hat sich geweitet.“

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