Festspiele Thielemann und ein Sommer ohne Bayreuth

Britta Schultejans
Star-Dirigent Christian Thielemann. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Jahrzehntelang prägte Christian Thielemann die Bayreuther Festspiele. In diesem Jahr ist er nicht dabei. Ein komisches Gefühl sei das, sagt er im Interview in München. Darin spricht er über die Gerüchteküche auf dem Grünen Hügel, Katharina Wagner und erklärt, warum ein Dirigent streng sein muss und es bei Proben auch mal knallen darf.
 

 
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Die erste Interview-Frage scheint dem 64-Jährigen, der als Nachfolger von Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper im Gespräch ist, nicht so zu gefallen. Da rollt er mit den Augen. Danach wird er gesprächiger. 

Wann fangen Sie denn an in Berlin?

Keine Ahnung.

Na gut - dann zu «Klassik am Odeonsplatz» an diesem Samstag: Sie präsentieren da ein Programm, das man nicht sofort mit Ihnen in Verbindung bringt. Ist ein Verdi-Abend für Sie Entspannung?

Wissen Sie, ich habe in meinem Leben so viel Verdi dirigiert, habe meine Karriere später aber überwiegend anderen Komponisten gewidmet. Ich bin ein großer Verdi-Liebhaber und viel zu wenig dazu gekommen, seine Werke zu dirigieren. Irgendwann hatte ich die ganze Wagnerei am Wickel und kam nicht mehr zu anderen Sachen. Ich habe das Programm jetzt aber mit Absicht ausgewählt, weil ich finde, es passt zu einem hoffentlich lauen, schönen Sommerabend. Es soll auch ein Treffpunkt für Menschen sein, die sonst vielleicht
nicht ins Konzert gehen. Wissen Sie, ich finde sowas ja immer ganz wichtig: dass man eine gewisse Schwellenangst abbaut. Vielleicht gehen die Leute, wenn es ihnen gefällt, beim nächsten Mal auch zu einem Konzert in den Herkulessaal. Und deswegen ist es unerlässlich, dass diese Konzerte von hoher Qualität sind und man sich nicht reinmogelt mit einem, sagen wir mal, nicht so hochwertigen Programm.

Sie sind zum ersten Mal seit sehr langer Zeit nicht bei den Bayreuther Festspielen dabei. Wie ist er so, ein Sommer ohne Grünen Hügel?

Das ist ein interessantes und ein komisches Gefühl zugleich. Aber meine Kapelle feiert im nächsten Jahr ihren 475. Geburtstag. Das bedingt, dass der Chef dort sehr präsent sein will, muss und soll. Hätte ich Bayreuth zugesagt, hätte das auch bedeutet, dass überhaupt
keine freie Zeit im Sommer mehr geblieben wäre. Ich habe bereits 185 Aufführungen in Bayreuth dirigiert und habe mir gedacht: Dann musst Du halt mal aussetzen und kannst dafür im August ein paar Wochen Urlaub nehmen. Man braucht Freiräume, sonst kann man die Qualität nicht halten. So werden eben andere Kollegen engagiert und man fällt mal ein oder vielleicht auch zwei Jahre aus.

Das heißt, auch der Sommer 2024 wird für Sie einer ohne Bayreuth?

Das weiß man nie, es fallen ja immer wieder Leute aus. Aber im nächsten Jahr habe ich in Salzburg einiges vor. 25 Jahre meines Lebens, genauer gesagt 25 Sommer, habe ich in Bayreuth verbracht, 22 Jahre davon habe ich selbst dirigiert, auch wenn man es mir nicht
ansieht [lacht]. Und in diesen 22 Jahren habe ich 185 Aufführungen geleitet. Das ist schon eine Menge. Der «Parsifal» würde mich perspektivisch am meisten reizen. Alles andere habe ich dort schon oft gemacht und man muss einfach sehen, wie es sich  weiterentwickelt. Und ich muss sagen, so ein Blick von außen auf Bayreuth tut auch mal ganz gut. Jetzt sollen ruhig die anderen ran. Ich finde es sehr gut, dass da mal ganz frische Kräfte am Werk sind.

Was fällt Ihnen bei diesem neuen Blick von außen auf, wenn Sie auf Bayreuth schauen?

Ich habe momentan recht wenig Einblick in Bayreuth. Das liegt wirklich daran, dass ich so viel um die Ohren habe. Das müssten Sie mich also in drei oder vier Wochen noch einmal fragen, wenn ich durch Radio oder Presse mehr mitbekommen habe. Ich bin auch nicht der Typ, der viel auf Gerüchte oder Vagheiten gibt. Ich möchte keinen Proben-Klatsch hören, weil ich immer weiß, wie sehr dieser gefärbt sein kann.

22 Jahre, 185 Aufführungen. Das klingt ein bisschen nach Bilanz...

Eine sehr gute Bilanz!

Auch eine abschließende? 

Nein. Aber es kommt auf die Besetzung an. Auf Regisseure und vor allem auf die Sänger. Wenn sich da etwas ergibt, dann macht man das gern. Aber nachdem wir unseren fantastischen «Lohengrin» beendet hatten, war ein Höhepunkt erreicht. Es ist ja nicht so, dass mir nichts angeboten wurde, aber ich musste zum ersten Mal in meinem Leben und schweren Herzens Nein dazu sagen.

Im vergangenen Jahr haben Sie sich ein kleines Fernduell mit Katharina Wagner geliefert über die Frage, ob Lohengrin im historisch belasteten Bayreuther Festspielhaus das Wort «Führer» singen soll. Frau Wagner ließ es in «Schützer» ändern.

Ach, diese kleine Geschichte. Für mich ist es immer so: Der ursprünglich angedachte Text ist der Originaltext und dem bleibt man treu. Da hat man sich kein Duell geliefert, man hat einfach eine Meinung. Ich ändere ja auch keine Noten - dann ändere ich auch keinen
Text und bitte die Künstler in meinen Aufführungen, den Originaltext zu singen. Aber das sieht eben jeder anders und das muss man akzeptieren. Eine freie Meinungsäußerung ist ja erlaubt und erwünscht. Das darf man gar nicht so hoch hängen, aber Bayreuth ist ein Ort, an dem - wahrscheinlich durch diese Giftmusik, diese Narkosemusik - sich die Gefühle stärker ballen als woanders. Das habe ich während meiner Zeit dort mitbekommen: Das ganze Jahr über ist es recht ruhig in Bayreuth und dann steppt mit einem Mal zweieinhalb
Monate lang der Bär und die Leute geraten in Ekstase. Und wenn die Festspiele vorbei sind, fällt wieder der Hammer und alle fahren im September in den Urlaub.

Alle Gefühle, die sich in anderen Opernhäusern über das Jahr verteilen, sind in Bayreuth auf die kurze Festspielzeit komprimiert, meinen Sie?

Ja. Und alle gucken da hin und das ist aufregend und macht Spaß, aber es fühlt sich manchmal an, wie in einer anderen Welt. Es ist wirklich ein anderer Planet. In München ist immer Oper, in Wien ist immer Oper. Da regt man sich auch im Dezember noch über eine
Premiere auf oder eben nicht. Aber die Zeit hat man in Bayreuth nicht. Da fällt etwas weg, wenn es vorbei ist.

Darum sind wahrscheinlich auch die Publikumsreaktionen auch noch mal heftiger - wie im vergangenen Jahr nach dem «Ring»...

Man steht natürlich auch unter Strom. Bei den Proben ist es zunächst wie im Feriencamp. Man kommt mit kurzer Hose, mit Schlappen, ist sehr leger angezogen. Und dann verdichtet sich das nach und nach. Bei den Bühnenorchesterproben merkt man schon, dass nicht mehr alles so locker ist. Und wenn die Generalproben losgehen, herrscht eine ganz andere Atmosphäre. Manchmal gibt es ja zehn Tage lang Premieren und jeden Tag steht irgendwas in der Zeitung. Aber wenn die dann weg sind, die Journalisten und die  Premierenbesucher, dann wird es nochmal richtig schön und gelöst. Jetzt machen wir einfach mal Musik! Das macht dann richtig Freude.

Gerade jetzt, vor den Festspielen und vor einer möglichen Vertragsverlängerung mit Katharina Wagner brodelt in Bayreuth ja wieder die Gerüchteküche...

 Ich habe mich in den letzten Jahren mehr und mehr herausgehalten. Nachdem ich so viele Dinge gehört habe, die sich teilweise völlig widersprachen, bin ich vorsichtig geworden. Man  kennt es von sich selbst: Der eine meint, der dirigiert das gut und der andere findet es viel zu langsam. Das muss man aushalten und deshalb habe ich für mich entschieden, dass ich auf das, was über andere erzählt wird, nichts mehr gebe. Früher war ich da vielleicht empfänglicher und die Klatschgeschichten haben das Leben schon mal gewürzt. Jetzt muss ich sagen: Es langweilt mich zunehmend.

Würden Sie das jungen Kollegen mit auf den Weg geben: Hört nicht auf Klatsch?

Ich kümmere mich jetzt tatsächlich sehr um Nachwuchsförderung und habe etliche Dirigentenschüler und Studenten, die zu meinen Proben kommen und die mir viele Fragen stellen. Das liegt mir sehr am Herzen, weil ich immer denke: Ich muss doch etwas weitergeben. Als erfahrener Dirigent kann man den Jüngeren auch den Tipp gebe, sich nicht allzu arg von solchen Geschichten aus dem Tritt bringen zu lassen. Aber so schlimm, wie man es sich erzählt, ist es dann auch wieder nicht. Es ist sehr bunt am Theater und mir macht es
einen Höllenspaß. Ich bin ein Theatermensch durch und durch. Dort habe ich angefangen und da höre ich auch auf. Ich weiß, dass es Leute mit einer starken Meinung nicht immer leicht haben. Das kenne ich von mir selbst. Ich hatte immer eine eigene Haltung und eine Berliner Schnauze obendrein, das kommt auch nicht überall gut an.

Wie ist denn Ihr Blick auf den Nachwuchs? Gibt es genugMenschen, die überhaupt das Potenzial haben, die Ratschläge, die Sie anbieten, umzusetzen?

Gute Frage. Aber ja, bei zwei, drei von meinen Studenten, die jetzt Anfang 20 sind, sehe ich großes Potenzial. Die muss man ermutigen, sich etwas zu trauen. Die Freiheit in der Kunst oder die Freiheit generell zu nutzen, halte ich für enorm wichtig. In der Kunst sind die Grenzen noch weit gefasst, in anderen Bereichen sind sie enger gezogen Ich empfinde das als Problem und es wird immer offensichtlicher, dass wir Nachholbedarf in Sachen Toleranz haben.

Wie tolerant ist denn Ihre Branche?

In der Musik ist sie es heute in jedem Fall - auch was die Mitarbeiter angeht. Es gab aber auch eine Zeit, in der das Casting bei Sängern sehr engstirnig war. In der man unbedingt die Schönen und Schlanken besetzen wollte - und nicht den dicken Mann. Aber was, wenn
der dicke Mann die beste Stimme hat? Für mich war es immer wichtig, mit herausragenden Sängern zu arbeiten. Ich habe sie nie nach ihrem Typus, sondern nach ihrer Qualität beurteilt und ausgewählt - woher sie auch immer kamen. Das ganze Operngeschäft ist ja völlig international.

Als im vergangenen Jahr ein Bericht über einen besonders rauen Umgangston in Bayreuth bekannt wurde, wurde auch Ihr Name genannt...

Ja, das war schrecklich. Zum Schluss war völlig klar, dass es sich um eine Seifenblase handelte, die schnell zerplatzt ist. Aber da sehen Sie mal, wie hysterisch manche Diskussionen geführt werden. In vielen Häusern, in denen ich gewesen bin, habe ich grenzwertige
Situation mitbekommen, aber nichts von wirklichem Machtmissbrauch. Das waren eher Probenkrach und Schreiereien. Ich habe erlebt, wie Regisseure oder Sänger einen Anfall bekamen und vor lauter Wut in die Garderobe rannten. Aber dann kamen sie nach einer Weile zurück und nachher war wieder alles gut. Auf eine gewisse Art finde ich es sogar schön, wenn die Emotionen sich Bahn brechen. Herrlich. Und dann sagt man hinterher: So, jetzt habe ich mal richtig Dampf abgelassen. Man ist doch auch nur Mensch. Die Beherrschten machen mir Angst. Immer alles zu unterdrücken, ist nicht ehrlich. Auf der anderen Seite muss ein Chef auch führen und ordnen. Wenn ein Dirigent keine Autorität im Orchester hat, dann hat er verloren.

Hat die leidenschaftliche und manchmal auch konfrontative Stimmung, die Sie so lieben am Theater, Schaden genommen?

Sehr, weil die Leute sich teilweise nichts mehr trauen. Sie schrecken dann vor einem Ausbruch zurück. Aber ich finde es wichtig, dass Menschen sie selbst sind. Wenn Sie gerne Porsche fahren und sich das leisten können, dann fahren Sie doch den Porsche, bitte. Und
verstecken ihn nicht, weil sie Angst haben vor dem Neid der Kollegen. Oder wenn Sie sich gern schrill anziehen, dann tun Sie es doch. Es geht nur darum, dass ich andere Menschen nicht beleidige und herabsetze. Deshalb ist es schon richtig, dass man auf mögliches
Fehlverhalten hingewiesen wird und die Chance bekommt, sich zu hinterfragen. Wenn Sie anderer Meinung sind, dann respektiere ich Ihre Meinung. Aber ich möchte meine auch sagen dürfen, ohne in eine Schublade gesteckt zu werden. Das finde ich ganz wichtig, denn die Toleranz geht ja zu beiden Seiten. Da muss man Meinungen auch mal aushalten können.

Wünschen Sie sich, dass Frau Wagner das weitermacht in Bayreuth?

Unbedingt, ja. Bayreuth ohne Wagner ist nicht Bayreuth. Wissen Sie, ich kenne Katharina, seitdem sie drei war. Ich war damals Assistent von Daniel Barenboim. Der Daniel hat mich nach Bayreuth gebracht. Ich habe ihn dann dort als Dirigent ersetzt, weil er ging. Jetzt hat er mir den «Ring» in Berlin krankheitshalber übertragen und ich treffe ihn oft persönlich. Jedenfalls war Katharina damals in einem kleinen Ställchen mit ihren Spielsachen beschäftigt, das weiß ich noch genau und sehe es vor mir. Und wissen Sie, wenn man  jemanden so lange kennt, dann ist man doch sehr miteinander verbunden. Und irgendwie ist es ja auch ein tolles Phänomen, dass dieses Festspielhaus in der Hand der Familie bleibt. Es ist so einmalig auf der Welt, dass man das halten muss.

Sind Sie zufrieden mit den jüngeren Bayreuther Produktionen?

Ich war mit meinen immer sehr zufrieden und habe sogar einmal den Biogasanlagen-«Tannhäuser» dirigiert, weil ich damals eingesprungen bin. Ich hatte den Dorst im «Ring». Ich hatte Wolfgang Wagner bei den «Meistersingern» und bei «Parsifal«. Somit habe ich
alle Stile, die Bayreuth zu bieten hatte, mitgemacht und habe das mit Freude getan. Diese Biogasanlage! Das musst du alles mal erlebt haben.

Zur Person
Christian Thielemann (64) ist noch bis zum Sommer 2024 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, war von 2015 bis 2020 Musikdirektor der Bayreuther Festspiele und gilt als möglicher Kandidat für die Nachfolge von Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper.

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