Fichtelgebirge Im Fichtelgebirge sind Arzneimittel knapp

Auch im Fichtelgebirge führen die Lieferprobleme der Pharmafirmen zu Arzneimittel-Engpässen. Welche Folgen Patienten spüren, erklärt Apothekensprecher Martin Gebhardt.

 
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Werden Antibiotika und gängige Medikamente wie Ibuprofen auch im Kreis Wunsiedel knapp?

Selbstverständlich führen die Lieferprobleme der Pharmaunternehmen zu Engpässen im Landkreis: Betroffen sind auch Klassiker wie Ibuprofen oder Antibiotika. Hersteller haben 226 Artikel als "lieferschwierig" gemeldet. Solange noch Packungen irgendwo in Deutschland liegen, müssen die Pharmafirmen keine Meldung ans Gesundheitsministerium absetzen. Die Liste ist regional unterschiedlich und sehr uneinheitlich, aber meiner Meinung nach länger.

Müssen Kranke im Fichtelgebirge fürchten, notwendige Arzneimittel nicht zu bekommen?

Auf keinen Fall. Wir Apotheker sind bemüht, die Versorgung sicherzustellen. Falls ein Fertigarzneimittel oder ein Wirkstoff wirklich nirgends zu besorgen ist, wird - in Absprache mit dem behandelnden Arzt - eine verfügbare Alternative gesucht.

Wie weit können die Apotheker vor Ort damit gegensteuern?

Wir versuchen, auf andere Hersteller mit dem gleichen Wirkstoff auszuweichen, um die Patienten adäquat zu versorgen. So kommt es aber, dass die Versicherten immer wieder andere Packungen in die Hände bekommen: Die Einnahme-Treue der für sie notwendigen Medikamente bleibt auf der Strecke, das verunsichert. Andere Schwierigkeiten ergeben sich durch einen Rahmenvertrag aus dem Sozialgesetzbuch, der seit Juli gilt. Diese Neuregelung schränkt die Entscheidungsfreiheit der Apotheker weiter ein. Die ärztliche Verordnung setzt einen sogenannten Preis-Anker, der nicht überschritten werden darf. Selbst wenn die Apotheke ein Medikament vorrätig hat, das nur einen Cent teurer ist als das verordnete, muss ein neues Rezept beim Arzt angefordert werden. Falls der Apotheker dagegen verstößt, bezahlen die Krankenkassen keinerlei Kosten - egal, ob das Medikament 20 oder 1000 Euro kostet.

Gibt es schon Hamsterkäufe oder Versuche, rezeptpflichtige Arzneimittel auf Vorrat zu bekommen?

Das ist mir noch nicht untergekommen. Ich rate davon auch ab, weil man nie weiß, ob sich das Behandlungsschema vielleicht ändert. Alternativbehandlungen gibt es immer.

Kassenärztliche Vereinigung und Deutscher Ärztetag fordern eine nationale Notreserve.

Dazu kann ich persönlich nichts sagen. Ich finde es allerdings bedenklich, wenn notwendige Arzneien nicht zur Verfügung stehen - vor allem im Krankenhaus. Die Politik sollte Sorge tragen, dass die Herstellung der Medikamente nach Deutschland oder zumindest Europa zurückverlagert wird. Ein Teil der Lieferprobleme entsteht auch durch die langen Lieferwege aus China oder Indien, den aktuellen Produktionsstätten.

Wann ist das Problem entstanden und was verschärft es jetzt?

Die Politik hat den gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2004 die Möglichkeit der Selektiv-Verträge eingeräumt, also der Rabattverträge: Die Kasse "garantiert" dem Hersteller vertraglich eine Abnahmemenge und zahlt dafür einen geringeren Preis. Die Apotheker sind zur Abgabe des Rabattartikels verpflichtet. Dadurch wird jedoch die Herstellung des Fertigarzneimittels für Pharmafirmen ohne Rabattvertrag unlukrativ, sie stellen ihre Produktion ein. Gleichzeitig müssen die Rabatt-Vertragspartner sehen, wie sie noch wirtschaftlich agieren können.

Wird deshalb die Produktion in Billiglohnländer verlagert?

Ja. Aber die Entfernung zu den Produktionsstätten erschwert die Kontrollen der Behörden erheblich; Ausfälle wegen Qualitätsmängeln häufen sich. Auf den langen Transportwegen kommt es zu Verlusten, auch die Freigabe der Container im Freihafen kann sich verzögern. Dies macht sich alles beim Verbraucher bemerkbar. Lange haben Großhandel und Apotheken diese Verschiebungen durch ihre Logistik kaschiert. Jetzt ist ein Ausgleich nicht mehr möglich, weil die Reserven ausgereizt sind. Deshalb forderte der deutschen Apothekertag 2018 die Bundesregierung und den Gesetzgeber auf, die bedarfsgerechte Bereitstellung von Arzneimitteln zu sichern, Lieferengpässe zu bekämpfen und Versorgungsprobleme zu verhindern. Das gilt besonders für überlebensnotwendige, letztlich aber für alle Arzneimittel.

Gibt es noch andere Ursachen für den Medikamenten-Mangel?

Die Industrie verkauft und liefert ihre Produkte in Länder, in denen sie einen höheren Ertrag erzielt. Durch die Preispolitik der gesetzlichen Krankenkassen ist das Preisniveau für Arzneimittel in Deutschland sehr niedrig und ertragsmäßig für die Hersteller nicht mehr interessant. Die Ware geht in lukrativere Länder.

Wie lässt sich das Problem lösen?

Für die Hersteller sollte die Medikamenten-Produktion in Deutschland und Europa wieder attraktiv sein. Zugleich müsste man die Rabattverträge und die damit einhergehende Planwirtschaft zurückfahren. Sehr hilfreich wäre zudem, diese neu eingeführten "Preis-Anker" aus dem Rahmenvertrag kritisch zu überarbeiten. Für Patienten ist es sinnvoller, wenn der Apotheker sie zu Fragen der Medikation berät, statt sich um die Einsparungen im Cent-Bereich für die Krankenkasse zu kümmern.

Das Gespräch führte

Brigitte Gschwendtner

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