Fichtelgebirge Weltreise zurück ins Leben

Von Andrea Herdegen

Nach dem Tod ihres Mannes will Peggy Biczysko aus Marktredwitz nur noch weg. Zuerst nach Panama. Ihre Erlebnisse unterwegs hat sie in einem Buch aufgeschrieben.

 
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Marktredwitz - An einem Glas Rotwein hält sie sich fest. Schaut aus dem Fenster auf die Straße. Es ist bereits finster, die Dunkelheit kommt früh in Panama-City. Es regnet in Strömen, dicke Tropfen trommeln auf das Dach der Bar. Aus den Boxen dröhnen heiße Latino-Rhythmen, Melodien der Lebensfreude. Doch Peggy Biczysko ist einsam. Unendlich einsam. Die Tränen fließen ihr übers Gesicht. Sie fragt sich: "Was mache ich hier eigentlich?"

14 Jahre lang war Peggy Biczysko glücklich. So glücklich, wie nie zuvor. Sie hatte die Liebe ihres Lebens gefunden. Harald Jäckel, der überall nur Chap hieß, und sie waren unzertrennlich. Die beiden Reporter der Frankenpost freuten sich über die gleichen Dinge, teilten sich einen riesigen Freundeskreis. "Wir haben auf der Überholspur gelebt, in die Jahre reingepackt, was nur ging", sagt sie. Wenn sie davon erzählt, wie Chap ihr kleine Liebesbotschaften in der Handtasche versteckte, wie er sie mit einer Porzellanvase überraschte, nach der er stundenlang auf dem Flohmarkt gesucht hatte, ist Freude und Trauer gleichermaßen zu spüren. Chap ist vor zwei Jahren in ihren Armen gestorben. Und er fehlt ihr in jedem Moment.

Wenn Biczysko sich an die Zeit danach erinnert, dann an ein Funktionieren wie in Trance. Ihr geht es schlecht, sie nimmt Psychopharmaka, sie kann nicht arbeiten. Sie entschließt sich zu einer einjährigen Auszeit. Löst die gemeinsame Wohnung auf, trennt sich von einem großen Teil ihres Besitzes. Auf Reisen möchte sie Abstand gewinnen, alles hinter sich lassen. Nur ein Herzensanliegen verwirklicht sie noch vorher: Den Grabstein ihres Mannes meißelt sie selbst.

"Die Reise war das Beste, was ich machen konnte. Hier in Marktredwitz wäre ich komplett untergegangen", sagt die 54-Jährige heute. Peggy Biczysko hat nichts geplant, sich nur im Dezember 2014 ein Flugticket nach Panama gekauft. Ihre Route führt sie auf fünf Kontinente, vom Dschungel Südamerikas auf den Inka-Trail nach Machu Picchu, auf die Galapagos-Inseln, zu den Berggorillas in Ruanda und Uganda und in den südafrikanischen Busch. Sie macht alles spontan, intuitiv. Lässt sich treiben. Ihr Reisebegleiter ist ein kleines Plüschzebra, "Leo". Es saß früher, in ihrem alten Leben, immer neben ihrem Mann auf dem Sofa.

Unterwegs, so hofft Peggy Biczysko, wird der Schmerz erträglicher. Sie nimmt nur das Nötigste mit, reist mit leichtem Gepäck, auch wenn letztendlich um die 15 Kilo zusammenkommen. Auf der Reise wird sie erfahren, dass man nicht viel zum Leben braucht: "Nur, was in einen Rucksack passt."

Nach Panama heißt das nächste Ziel im Januar 2015 Kolumbien. Von diesem Land haben Biczysko alle abgeraten. Viel zu gefährlich für eine allein reisende Frau: Diebstähle, Drogen, Überfälle passieren hier ständig. "Das hat mich dann gerade gereizt." Nach einem Abendessen in der Altstadt von Bogota macht sie sich allein auf den Heimweg durch menschenleere Straßen. Gedankenverloren läuft sie durch den strömenden Regen, durch die Dunkelheit. Auf einmal steht ein verwahrloster Typ neben ihr, der sich einen Eierkarton unter den linken Fuß klebt, der rechte steckt in einer Plastiktüte. Der Frau mit den langen blonden Haaren, die jeder sofort als Touristin erkennt, wird unheimlich zumute. Doch sie geht einfach weiter, aufrecht. Ihr Körper signalisiert: Ich bin kein Opfer. Es wird nicht die einzige gefährliche Situation auf Biczyskos Reise bleiben. "Seit Chap gestorben ist, habe ich keine Angst mehr. Nicht einmal vor dem Tod." Wenn es unterwegs brenzlig wurde, dachte sie an ihren verstorbenen Mann: ",Katze', muss das jetzt sein?", hätte er dann zu ihr gesagt.

Der Weg zurück ins Leben beginnt für Peggy Biczysko auf den Galapagos-Inseln. Mürrische Seelöwen begrüßen sie bei der Ankunft Anfang April 2015 bereits am Bootsanleger, beim Schnorcheln krault eine schwarze Meerechse an ihr vorbei. Unfassbar. So nah an Schildkröten, Robben, Blaufußtölpeln, Austernfischern, Klippen-Krabben - sie ist fasziniert. Durch die Tiere spürt Biczysko erstmals nach dem Schicksalsschlag wieder, wie sich Glück anfühlt. "Dort habe ich gedacht: Eigentlich ist das Leben doch schön." Die nächsten Schritte nach vorne macht sie auf den Cocos Keeling Islands im Indischen Ozean im Juni. Sie wird von den Insulanern freudig aufgenommen. Für sie beginnt die Journalistin wieder zu kochen - eines ihrer großen Hobbys, das seit dem Tod ihres Mannes ruhen musste.

Auf ihrer Tour lernt Peggy Biczysko Leute aus der ganzen Welt kennen, lernt andere Lebensmodelle schätzen: "Man muss nicht arbeiten, bis man tot umfällt." Sie erkennt, dass ein Leben als Weltreisender nicht unbedingt eine Frage des Geldes ist. "Man muss sich nur trauen", sagt sie. Mit Zuhause bleibt sie per Internet in Kontakt, außerdem schreibt sie ein Blog über ihre Gefühle, ihre Erlebnisse. "Ich musste mir das Ganze von der Seele schreiben." Diese Aufzeichnungen sind die Grundlage für ihr Buch "Mit Leo zwischen den Ozeanen", das gerade erschienen ist.

Tief hinab ins Tal der Tränen steigt Peggy Biczysko im ecuadorianischen Otavalo am 21. April 2015 noch mal - genau ein Jahr nach ihrer Hochzeit, genau ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes. Dieser Tag, es ist der Ostermontag 2014, läuft in ihr wie ein Film ab: Chap hat auf der Palliativstation im Marktredwitzer Krankenhaus ganz furchtbare Schmerzen. Die Ärzte erhöhen die Morphium-Dosis, einer rät ihr, den Standesbeamten schnell ans Bett zu holen. Eigentlich ist die Hochzeit für den 28. April geplant, so ist es in die Ringe graviert. In diesem Moment realisiert sie, dass es für Chap keine Hoffnung gibt. Er hat mutig gekämpft, aber der Krebs war stärker.

Sie rast vom Krankenhaus nach Hause, streift sich ihr Hochzeitskleid über. Der Standesbeamte nimmt trotz des Feiertags die Nottrauung vor. Chap strahlt, als er ihr den Ring an den Finger steckt. Mit lauwarmem Rotkäppchen-Sekt stößt sie mit Arzt und Schwestern an. "Es war ein Albtraum", sagt die 54-Jährige heute. Neun Stunden nach der Hochzeit stirbt er. Sie ist bei ihm, hält ihn fest.

In Otavalo, 10 000 Kilometer von Marktredwitz entfernt, holen diese Bilder sie wieder ein. Sie versucht, sich mit Alkohol zu betäuben. Möchte dem Schmerz entfliehen. Doch Peggy Biczysko kann ihrer eigenen Geschichte nicht davonlaufen.

Ein halbes Jahr ist sie jetzt wieder in Marktredwitz. Sie ist nicht gerne zurückgekommen. In ihrer neuen, kleineren Wohnung erinnert vieles an ihren Mann: überall Bilder, ein Journalistenpreis an der Wand. An den Erinnerungen hält sie sich fest. "Ohne Chap ist hier alles nichts mehr wert. Ich fühle mich hier nicht mehr daheim", sagt Peggy Biczysko. Ihren Ehering trägt sie am rechten Ringfinger, den ihres Mannes mit einem Lederband um den Hals. Sie meidet die Orte, an denen sie miteinander glücklich waren. "Da kann ich noch nicht hin." Vom Küchenfenster aus sieht sie auf den Friedhof, dorthin, wo ihr Mann begraben ist. Sechs Tage hat sie gebraucht, bis sie es nach ihrer Rückkehr schafft, zum Grab zu gehen.

Auf die Cocos Keeling Islands reist sie Mitte Juni wieder. Sie macht jetzt, was ihr gefällt. Ohne Kompromisse. Vielleicht ist sie demnächst ganz weg: "Mein Zuhause ist die Welt."

Seit Chap gestorben ist, habe ich keine Angst mehr. Nicht einmal vor dem Tod.

Peggy Biczysko, Reisebuch-Autorin

Die Reise zum Nachlesen

Im Buch "Mit Leo zwischen den Ozeanen" schildert Peggy Biczysko die vielen Erlebnisse auf ihrer elfmonatigen Reise um die Welt. Stationen waren Panama, Kolumbien, Peru, Ecuador mit den Galapagos-Inseln, Australien mit den Weihnachts- und Kokos-Inseln, Indonesien, Südafrika, Ruanda, Uganda, Italien und Schottland. Ihr Buch ist bei Books on Demand erschienen. Es hat 396 Seiten und kostet 15,99 Euro (ISBN-13: 978-3844806700). In der Region gibt es das Buch in den Geschäftsstellen unserer Zeitung sowie im Buchhandel und unter www.lesershop-online.de.

Unter www.peggyundleo.de ist die Webseite der Autorin zu finden.

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