Das Kind hilft mit
Sich beim Erzählen helfen lassen, ist sinnvoll. Wird die Geschichte zusammen gestaltet und geformt, erscheint sie noch lebendiger. Offene Fragen ermuntern, die Fantasie zu beflügeln und reden zu üben. „Was können die Figuren jetzt machen? Hast du eine Idee?“ Mit diesen Worten lässt sich das Kind miteinbeziehen. Das Gespräch mit dem Kind, das sich ergibt, darf im Vordergrund stehen. Vielleicht lässt sich der Vorschlag, den das Kind bringt, nutzen, um die Geschichte aufzulösen? Dann heißt es: „Genau das ist dem Zwerg auch eingefallen, und deshalb hat er dann ...“ Norbert Kober: „So wird das Kind vom Konsumenten zum Produzenten. Es kann selbst aktiv an der Lösung des Problems mitarbeiten.“
Mit Einfühlungsvermögen
Wer feinfühlig auf die Reaktionen des Kindes achtet, kann die Geschichte jederzeit seinen Bedürfnissen anpassen. Das Kind hat etwas nicht verstanden? Kein Problem, während des Erzählens den Zusammenhang noch mal kindgerecht zu erklären. Oder hat das Kind ein wenig Angst beim Zuhören bekommen? Dann lässt sich schnell ein wenig Spannung aus der Story nehmen, indem sich der Held oder die Heldin aus einer gefährlichen Situation befreien kann.
Drei Zutaten für eine gute Geschichte
1. Viele Kinder begeistert es, selbst zum Helden oder zur Heldin einer Geschichte zu werden. Dann trägt die Hauptfigur zum Beispiel den eigenen Namen oder sieht genau aus wie selbst. „Kinder können sich aber auch gut mit anderen Figuren identifizieren“, weiß Norbert Kober. Voraussetzung ist, dass sich die Geschichte auf die Lebenswelt und die Erfahrungen des Kindes bezieht.
2. Geschichten sollten sich dem Alter des Kindes anpassen. Zweijährige können sich zum Beispiel unter einem Ritter oder einer Hexe noch nicht viel vorstellen, wohl aber Vier- bis Sechsjährige. Die Sprache sollte immer so einfach gewählt sein, dass das Kind gut folgen kann. Und: Je jünger es ist, umso einfacher und kürzer muss die Geschichte sein.
3. Nein, eine Geschichte braucht nicht immer ein rosarotes Happy End, das groß und lautstark gefeiert wird. Aber die Geschichte braucht eine Lösung. Heißt: Das Problem, das der Erzählung zugrunde liegt, muss geklärt werden. So wird am Ende zum Beispiel das Diebesgut gefunden, ein Streit geklärt oder ein Tier gerettet. „Das Kind soll sehen, dass sich auch nach einem schweren Weg das Ziel erreichen lässt – wenn der Held oder die Heldin ihre Ressourcen einsetzt“, sagt Norbert Kober.
Was eine Geschichte nicht braucht
Immer wieder kursieren Geschichten, die Kindern Wege weisen, die ihnen in der heutigen Lebenswelt nicht weiterhelfen. Geschichten von Prinzessinnen, die vom Prinzen auf dem weißen Pferd gerettet werden. Oder Geschichten von Jungen, die allein gegen den Rest der Welt kämpfen und siegen. „Solche Erzählungen legen Rollenbilder fest, die oft aus längst vergangenen Jahrhunderten stammen“, ärgert sich Norbert Kober.
Stattdessen sollten Geschichten Strategien präsentieren, die Kinder heute brauchen, um ihr Leben gut zu bewältigen. So können Erzählungen zum Beispiel von starken Prinzessinnen handeln, die selbstständig kreativ ihre Probleme lösen. Und von Jungen, die ihre Probleme gemeinsam – im Team – besprechen und klären.
Und am Abend . . .
… kann auch erzählt werden – nun nicht fiktional, sondern biografisch. Dann finden die Geschichten des Tages Raum, um besprochen zu werden. Diese Art, den Tag beenden, hält Norbert Kober für wertvoller, als kurz vor dem Schlafen wieder eine neue – aufregende - Geschichte vorzulesen. Indem Kinder und Eltern sich gegenseitig erzählen, was sie erlebt haben, schließen sie den Tag emotional und rational ab. Was hat dir heute gefallen? Worüber hast du dich geärgert? So können die Fragen vor dem – hoffentlich friedlichen – Einschlafen lauten.