Naila – Mindeststandards in der Pflege? So etwas gibt es bereits, erklärt Petra Lang, Leiterin des Seniorenstifts Martinsberg in Naila. In Bayern, sagt sie, gebe es einen Planstellenschlüssel, auch Pflegeschlüssel genannt, nach dem eine Personalkraft im Schnitt 2,47 Menschen betreuen darf. Was den Vorstoß der Deutschen Stiftung Patientenschutz angeht, hegen die Martinsberger auch leise Zweifel: „Wir haben eher Befürchtungen, sollte ein bundeseinheitlicher Pflegeschlüssel kommen, dass der hier in Bayern geltende nach unten korrigiert wird“, sagt stellvertretende Einricthungsleiterin Petra Pilz, die auch Pflegedienstleiterin und Qualitätsmanagementbeauftragte ist: „ Dies würde eine Verschlechterung sowohl für die Patienten und Bewohner als auch das Personal und Träger bedeuten.“
100 Plätze bietet das Seniorenstift für die Pflegegrade eins bis fünf. „Wir haben bei uns im Haus zurzeit knapp 40 Planstellen“, erklärt Petra Lang. Von den Mitarbeitern sind aber wegen des Schichtbetriebs nie alle gleichzeitig im Dienst. 22 Bewohner seien aktuell in den höchsten Pflegegrad fünf eingestuft, für den noch einmal ein anderer Personalschlüssel gilt von eins zu 1,827. Bei Bewohnern mit Pflegegrad zwei, davon gibt es im Seniorenstift 21, gilt hingegen ein Schlüssel von 1 zu 4,064. So ergibt sich das Mittel von 2,47.
Aber: Das Leitungsteam betont, dass alle Schlüssel nichts nutzen, wenn das benötigte Personal einfach nicht vorhanden ist – Stichwort Fachkräftemangel. „Wir sind immer auf der Suche, und zwar händeringend, nach Pflegehelfern, also ungelernten Kräften, die als Quereinsteiger angelernt werden, sowie Pflegefachkräften, die mit einer dreijährigen Ausbildung den Beruf erlernt haben.“ Petra Pilz spricht von „Negativbelegung der Pflegeberufe“: Zum einen liegt diese negative Sicht an der teils schweren körperlichen Arbeit. Aber auch Aussagen zu der niedrigen Vergütung und letztendlich familienunfreundliche Arbeitszeiten sind, wie in anderen sozialen Berufen, oft ein Hindernis. „Wir arbeiten im Drei-Schicht-System“, sagt Petra Lang: „Das ist beispielsweise für eine alleinerziehende Mutter nur schwierig zu koordinieren. Wohin denn mit den eigenen Kindern, wenn Kitas nicht zu den Zeiten des eigenen Dienstbeginns öffnen?“
Doch selbst wenn Personal da wäre – mehr Planstellen würden mehr Kosten für die Bewohner nach sich ziehen. Mehrkosten würden durch die Pflegeversicherung nicht abgedeckt. „Das ist auch der Grund, warum die Politik sich so schwertut“, meint Petra Lang. „Können die Bewohner die Kosten nicht aufbringen, zahlt der Bezirk – also unterm Strich die Allgemeinheit.“ So muss man sich die Frage stellen: Was ist der ganzen Gesellschaft die Pflege wert?
Petra Lang und Petra Pilz sind grundsätzlich der Meinung, dass sich in Bayern schon einiges getan hat und der Freistaat als Vorreiter gilt. Zudem sei der Zusammenhalt im Haus groß: „Man hilft zusammen“, erklärt Petra Pilz. Die beiden erinnern auch an das Pflege-Wohn-Qualitätsgesetz, nach dessen Vorgaben die Einrichtung akribisch überprüft wird. Anhand der Dienstpläne kann nachvollzogen werden, ob genügend Pflegepersonal da war. Petra Pilz versichert, dass einem die Arbeit in einem Pflegeberuf trotz aller Anstrengungen sehr viel zurückgibt. „Es kann eine sehr sinnstiftende und erfüllende Aufgabe sein, an der man wächst und die einem ebenso viel zurückgibt wie man selbst investiert.“ Eine Hilfe sind auch nicht deutschstämmige Helfer: „Wir haben Praktikanten aus Syrien und Afghanistan, die sehr beliebt sind und positive Impulse geben.“ Doch für eine Ausbildung und Anstellung seien Deutschkenntnisse wichtig.
Plädoyer für attraktive Ausbildung
Zell – Im Seniorenhaus in Zell stößt der Vorstoß der Deutschen Stiftung Patientenschutz auf vorsichtige Zustimmung: Antje Schmutzler, stellvertretende Stationsleiterin und ausgebildete Pflegefachkraft, hält die Forderung in der Theorie für sinnvoll. In der Praxis aber sieht die Pflegerin allerdings große Schwierigkeiten: „Es ist wahr: Derzeit gibt es in Pflegeheimen eindeutig zu wenig Fachkräfte“, sagt sie. „Unser Arbeitspensum wird immer größer. Von meiner Warte aus wäre die Umsetzung der Forderung der Patientenschützer natürlich toll.“ Doch sei klar, dass der geforderte Mindest-Personalschlüssel praktisch nicht umsetzbar ist: „Leider gibt es dafür schlichtweg viel zu wenig ausgebildetes Personal. Selbst wenn die Heimleitung wollte, könnten gar nicht mehr Fachkräfte eingestellt werden. Es gibt schlichtweg keine“, sagt die Pflegerin. „Für junge Leute ist der Beruf unattraktiv, das stimmt. Die Vergütung ist da aber nur ein Grund von vielen“, sagt Schmutzler. Den meisten Jugendlichen sei der Beruf auch zu stressig. „Die Ausbildung zur Pflegefachkraft müsste viel attraktiver gestaltet werden, dann würden sich vielleicht auch wieder mehr junge Menschen für den Beruf entscheiden“, ist sich Antje Schmutzler sicher.
Im Seniorenhaus Zell herrscht bereits Aufnahmestopp für Bewohner.
Pflegeberufe brauchen ein besseres Image
Pflegekraft Constanze Knöchel hat einen Wunsch: „Köpfe, Köpfe, mehr Köpfe“. 1991 hat sie sich von der Pflegehelferin bis hin zu Aufgaben in der Verwaltung hochgearbeitet. Den direkten Kontakt zu den Heimbewohnern möchte sie nach wie vor nicht missen: „Die Pflege ist ein so dankbarer Beruf. Die Bezahlung ist nicht das Problem. Am schlechten Image liegt es, wenn viele nicht in einem Altenheim arbeiten möchten.“

Vor allem der Fachkräftemangel ist bei der Diakonie Hochfranken wie bei viele anderen Einrichtungen ein Problem. Bereichsleiter Sebastian Oehme erklärt, dass in der Pflege inzwischen praktisch jeder Bewerber eine Chance bekommt, sich vorzustellen: „Es kommt nicht häufig vor, dass ein Arbeitgeber einem Bewerber dreimal hinterher telefoniert, aber das müssen wir tun.“

Dabei bietet die Pflege gute Chancen auch für Quereinsteiger: So war Constanze Knöchel früher einmal Elektronikfacharbeiterin und ist durch eine Umschulung Pflegekraft geworden. Die weiterführende Fachausbildung machte sie anschließend berufsbegleitend. Quereinsteigerinnen sind auch die Kolleginnen Ivonna Meseck und Brigitte Kriegisch. Meseck begann ihr Berufsleben als Schneiderin und ist mit der entsprechenden Ausbildung in die Pflege gewechselt. Heute ist sie Einrichtungsleiterin. Und Brigitte Kriegisch hat früher als Krankenschwester gearbeitet. Heute ist sie mit ihrer Pflegekraftausbildung Qualitätsmanagerin der Pflege bei der Diakonie.

Ein besserer Personalschlüssel wäre für die Mitarbeiter „ein Traum“, wie sie erzählen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagen Oehme und seine Kolleginnen. Sie wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich das Image des Pflegeberufs bessern wird: „Das wird aber erst dann der Fall sein, wenn Pflegekräfte ihren eigenen Kindern bei der Berufswahl empfehlen können, auch in die Pflege zu gehen“, betont Oehme – so wie es zum Beispiel oft Ärzte- oder Apotheker-Eltern tun. Die Tochter von Contanze Knöchel hat auch eine „soziale Ader“ entwickelt und bereits Praktika in Heimen gemacht. Nun wünscht sich Constanze Knöchel von der Politik und der Gesellschaft vor allem eines: „Dass Pflegekräfte in Heimen nicht gehetzt und gestresst an den Menschen vorbeihuschen müssen.“