Hof/Rehau Zweite Stunde: Hofer Weltgeschichte

Fünf D-Mark und fünf Ost-Mark: Günter Krantz überlässt den Schülern viele Geschichten und zwei Banknoten für die Ausstellung. Foto: cp

Ein ehemaliger Grenzer erzählt vom Tag, als der Schlagbaum nicht mehr herunterging: Schüler laden sich Zeitzeugen der Grenzöffnung ein.

 
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Hof/Rehau - "Der Krieg ist vorbei, Kurt - jetzt brauch‘ mer nix mehr kontrollieren." An jenen Satz zu seinem Vorgesetzten kann sich Günter Krantz noch ganz genau erinnern. Ausgesprochen hat er ihn vor bald 30 Jahren: am 9. November 1989. "Ein kalter Morgen, klarer Himmel, und unten im Saaletal hing ganz dick der Nebel drin, wie eigentlich an 300 Tagen im Jahr." Doch dann sei auf einmal die Grenze auf gewesen - jene Sperre in Rudolphstein, an der Günter Krantz und seine Kollegen bislang den Großteil ihres Berufslebens verbracht hatten. "Die ersten Trabis kamen zögerlich, da haben wir noch Passkontrolle gemacht. Dann haben wir sie fahren lassen." Wenn er sich erinnert und erzählt, gerät der frühere Grenzbeamte Günter Krantz, mittlerweile in Pension, in Fahrt: Dann spricht er über die Geheimdienste ebenso wie über die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme, erinnert sich an die Staus durch Hof kurz nach dem Mauerfall oder an die täglichen Telefonanrufe, die er zuvor noch mit den Grenzern auf DDR-Seite hatte führen müssen. Und sein junges Publikum hängt an seinen Lippen: Günter Krantz ist einer von einem guten Dutzend Zeitzeugen der Grenzöffnung, die ihr Wissen mit Schülern teilen - für ein grenzübergreifendes Projekt, das im Herbst für Furore sorgen wird.

Das Projekt

"November ’89 - was war da?": So ist das Schülerprojekt überschrieben, das sich der Zeit der Grenzöffnung 1989 widmet. Schüler der Wirth-Realschule und des Reinhart-Gymnasiums Hof, der Hufeland-Oberschule Plauen und des Reichard-Gymnasium Bad Lobenstein befassen sich dafür in diesen Monaten mit jener Zeit. Herauskommen soll eine Ausstellung, die am 5. November im Deutsch-Deutschen Museum Mödlareuth eröffnet wird.


Vier Schulen aus drei Bundesländern haben sich, wie berichtet, zusammengetan, um sich gemeinsam dem Herbst 1989 zu nähern. Einer Zeit also, zu der die, die nun recherchieren, noch gar nicht geboren waren. Weil aber dieses Stück Geschichte das Leben aller Menschen in der Region noch heute betrifft, haben die Schulen ein ehrgeiziges Projekt gestartet: Mit umfangreichen Recherchen stellen sie Material für eine Ausstellung zusammen, die von November an in Mödlareuth zu sehen sein wird. Für Hof an den Start gehen Schüler der Wirth-Realschule und des Reinhart-Gymnasiums. Sie haben sich bislang von ihren Lehrern - Siglinde Waschke und Jochen Frank - Näheres zu den geschichtlichen Fakten erklären lassen, haben gemeinsam mit ihren Schulkollegen aus Bad Lobenstein und Plauen das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth besucht, haben im persönlichen Umfeld nach Geschichten und Informationen gesucht; und sie haben kurz vor den Osterferien mit dem aufwendigsten Teil der Arbeit begonnen: dem Interviewen von Zeitzeugen.

Zwei Tage lang hatten die Schüler aus einem Klassenzimmer einen gemütlichen Gesprächsraum gemacht. Im Stundentakt hatten sie Zeitzeugen geladen, die sich auf ihre Aufrufe hin gemeldet hatten: Grenzer und Polizisten, politische Akteure aus der Region, aber auch solche, die sich einfach so noch gut an die Zeiten damals erinnern. Und die erzählen wollen. Zu sagen gibt es viel, zu fragen erst recht: Die Gesprächsgrundlagen, die sich die Schüler erarbeitet haben, sind hochprofessionell. Neben formalen Kriterien wie Einverständniserklärung und Co. haben sie umfangreiche Fragenkataloge für die Interviews zusammengestellt. Sie wollen wissen, wo sich ihre Gesprächspartner damals aufgehalten haben und welche Eindrücke ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind, wie sie von der Grenzöffnung erfahren haben oder welche Erinnerungsstücke sie noch aufbewahren, welche Wünsche sie damals für die Zukunft Deutschlands hatten oder wie sie das Ganze mit 30 Jahren Abstand betrachten. Viel Stoff für viele Fragen - und noch mehr Erinnerungen, die ihnen gegenüberstehen. Und Entwicklungen.

"Einer der früheren Grenzer auf DDR-Seite ist heute einer meiner besten Kumpel", erzählt Günter Kranz. Jahrelang sei man sich über den Stacheldraht hinweg gegenübergestanden, dann war die Grenze irgendwann weg. Und kurz danach haben sich die beiden wieder getroffen: "Der Kollege war arbeitslos, es sind ja damals alle entlassen worden; für den war wirklich eine Welt beendet." So hat Krantz, selbst nebenberuflich als Reisebusfahrer tätig, den DDR-Grenzer mit zu seinem Chef genommen - der ihn prompt im Betrieb einstellte, wo er heute noch arbeitet.

Wenn er so erzählt, muss er oft schmunzeln: Für den Zeitzeugen ist der Interview-Termin mit den Schülern eine willkommene Gelegenheit, selbst mal wieder zurückzublicken auf jene stürmischen Zeiten. "Wir haben Geschichte erlebt!", sagt er ganz pathetisch. Und spart auch nicht mit ganz persönlichen Anekdoten, die in keinem Geschichtsbuch zu finden sein werden: "1990 war ich als Busfahrer zwölf Mal in Paris: Die Leute von drüben wollten eben alle reisen, sie wollten was sehen von der Welt." In der Grenzpolizei-Station habe man derweil aus Pragmatismus die Zeiten für die Schichtwechsel geändert: "Zu manchen Tageszeiten standen nach der Grenzöffnung die Autos von Döhlau aus bis nach Hof hinein im Stau."

Hauptsächlich jedoch ist Günter Krantz in seinem Hauptberuf betroffen gewesen von den weltpolitischen Ereignissen der vergangenen Jahrzehnte in der Region: Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs ist der Grenzpolizist von Rudolphstein nach Schirnding versetzt worden; auch dort habe er, nach dem Beitritt Tschechiens zum Schengen-Raum 2008, den letzten Einreisenden an der Grenze kontrolliert. Seine letzten Berufsjahre hat Krantz bei der Hofer Polizei Dienst getan. So gibt er den Schülern gern einige seiner Gedanken mit für ihre Recherchen zur Ausstellung: "Man hat sicher nicht alles richtig gemacht, und Lohnniveau oder marode Stadtbilder passen auch heute noch nicht. Aber ich bewerte die Grenzöffnung auf jeden Fall positiv." So sind die Fragebögen der Schüler schnell voll - während draußen schon die nächsten Zeitzeugen Platz genommen haben.

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