In Arzberg Haltung – sogar wenn das den Tod bedeutet

Christl Schemm
„Aus der Liebe zum Diesseits erwächst der Mut zum Jenseits“: Mit einer historischen Fiktion fordert Nicolas Peter in seiner Rolle als Dietrich Bonhoeffer (rechts) immer wieder zum Mitfühlen und Nachdenken auf. Mit im Bild Barbara Wunsch als Mutter und Benedikt Lehmann als SS-Aufseher vom „Theater in der Kirche“. Foto: Christl Schemm

Das Theaterstück „Die Nacht von Flossenbürg“ in der evangelischen Kirche in Arzberg wühlt auf, hat aber auch viele tröstliche Momente. Die Szenen vom Leben und Sterben Dietrich Bonhoeffers machen Mut zu freiheitlichem Denken.

 
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Lange ist es still in der Kirche. Niemand sagt etwas, niemand regt sich, niemand wagt zu applaudieren. Gerade hat Dietrich Bonhoeffer seine Todeszelle im Konzentrationslager Flossenbürg mit seinem Wachmann verlassen, um von den Nazi-Schergen hingerichtet zu werden. Es ist der frühe Morgen des 9. April 1945, ein Monat vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Mit dem Sonnenaufgang sind die Henker gekommen. Der evangelische Pastor, Theologe, Leiter eines Priesterseminars und Mitglied des Widerstandes wird hingerichtet – auf Befehl von ganz oben. Nazi-Diktator Adolf Hitler und Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und Chef der Polizei, wollen dies so. Als der imaginäre Vorhang im Altarraum fällt, sind die zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer tief berührt. Sie haben am späten Sonntagnachmittag das Theaterstück „Die Nacht von Flossenbürg – Szenen aus dem Leben und Sterben Dietrich Bonhoeffers“ des Autors Karlheinz Komm in der evangelischen Kirche in Arzberg gesehen.

Das Unrechtsregime der Nationalsozialisten und die Grauen des Kriegs führt das Ensemble des „Theaters in der Kirche“ vor Augen. Die Texte mahnen gegen aufkeimenden Neonazismus und ewig gestrige Ideologien, gegen Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus, sind angesichts des brutalen Angriffskriegs auf die Ukraine beklemmend aktuell. Noch eindringlicher und von zeitlosem Belang sind die fiktiven Dialoge Bonhoeffers mit seinem Nazi-Aufseher und mit seiner Mutter hinsichtlich immerwährender Themen menschlichen Seins. Es geht um die Verantwortung gegenüber Schwächeren. Es geht um die Standhaftigkeit, auch dann Überzeugungen nicht über Bord zu werfen, wenn es Gegenwind gibt oder sogar Gefahr für das eigene Leben droht – eine Haltung, die seit Monaten auch Frauen und Männer im Iran zeigen. Nicht zuletzt der Umgang mit Schuld steht immer wieder im Raum. Aber auch die Haltung Bonhoeffers zur Kirche, zu Religiosität, zu übersteigerter Frömmigkeit und theologischen Fragen wird verhandelt.

Mithilfe von Briefen, theologischen Schriften und Gedichten sucht die Mutter Antworten auf die Frage, wie die letzte Nacht ihres Sohnes gewesen sein könnte. Zwei Jahre hatte dieser zuvor bereits in Nazi-Arrestzellen und im KZ Buchenwald verbracht. „Hier ist es auch nicht schlechter als anderswo. Man kommt herum“, sagt Bonhoeffer zu seinem Wächter – mit sprichwörtlichem Galgenhumor im Angesicht des Todes. Immer wieder wechseln die Szenen hin und her zwischen den Lesungen der Mutter, deren Erinnerungen und Gedanken über ihren Sohn und den Gesprächen des Pastors mit seinem Aufseher, den lediglich eine Hakenkreuz-Binde am Arm als willigen Nazi-Vollzugsbeamten ausweist. Wie überhaupt die Inszenierung mit minimalen Hilfsmitteln auskommt. Ein Tisch und zwei Stühle im Altarraum – mehr braucht es nicht.

Die Dialoge werfen Schlaglichter auf Bonhoeffers Einstellungen zu Leben und Tod, auf sein Verantwortungsgefühl den Menschen gegenüber. Der KZ-Häftling stellt sich der Gewissensfrage des Aufsehers, wie er denn angesichts der Beteiligung am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 als Pfarrer dafür sein könne, dass ein Mensch getötet wird. Bonhoeffer antwortet darauf, dass Hitler Einhalt geboten werden müsse. Diesem einen Mann, „der ein ganzes Volk nicht nur ins Unglück geführt hat, sondern darüber hinaus in eine unvorstellbare Schuld, die alle Kreise dieses Volks betrifft“. Also auch Bonhoeffers Kirche. „Die Kirche wird dir das nie verzeihen“, sagt seine Mutter. „Welche Kirche?“, fragt der Sohn. Es brauche eine neue Kirche, eine neue Theologie. „Oder die Kirche macht sich wieder einmal selbst schuldig“, klagt er an und meint, wenn er jetzt nicht sterben müsste, dann würde er wohl Reformator werden.

Tief unter die Haut geht es, als Bonhoeffer laut und ultimativ „schuldig, schuldig, schuldig“ in die Reihen der Zuschauerinnen und Zuschauer ruft. Und doch bleiben als Botschaft viele allgemeingültige, tröstliche Gedanken, die das Theaterstück den Menschen auf den Weg gibt. „Erst Dankbarkeit macht das Leben reich“, sagt der Theologe unter anderem. Oder: „Aus Liebe zum Diesseits erwächst der Mut für das Jenseits.“ Selbstständiges und freiheitliches Denken, Mut zur eigenen Meinung und Haltung, das ist, was man von Dietrich Bonhoeffer lernen kann. Und sogar Menschen, die nicht gläubig sind, tun seine wohl bekanntesten Worte gut, die selbstverständlich auch zum Schluss des Theaters in der Kirche stehen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Gut zu wissen

Jahrestag
Am 9. April 2023 jährt sich zum 78. Mal die Ermordung von Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg in der nördlichen Oberpfalz.

Gedenktag
Der Runde Tisch für Demokratie und Toleranz hat in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirchengemeinde das „Theater in der Kirche“ nach Arzberg geholt. Anlass war der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Februar.

Begrüßung
Ursula Schweers vom Runden Tisch und Pfarrer Carsten Friedel begrüßten das Publikum in der Kirche.

Ensemble
Auf der Bühne standen Nicolas Peter als Dieter Bonhoeffer, Benedikt Lehmann als SS-Aufseher, Barbara Wunsch als Mutter und Jürgen Peter als Lagerarzt, alle vom „Theater in der Kirche“ aus Neuenmarkt im Landkreis Kulmbach.

Preis
Das Theaterstück hat den Pechmann-Preis der evangelischen Landeskirche erhalten.

Bilder