Frau Kronauer, erinnern Sie sich an Ihre literarischen Anfänge?

Ich hatte als Kind eine furchtbare Schrift und musste darum zu Hause Schönschreibübungen machen. Ich konnte meinen Vater aber überreden, eigene Geschichten schreiben zu dürfen, statt Texte abschreiben zu müssen. So fing das an. Zudem habe ich früh Erwachsenenliteratur gelesen. Das meiste war mir ganz unverständlich. Dass man aber mit Sprache so umgehen konnte, hat mich fasziniert.

Als Ihr erstes Buch «Der unvermeidliche Gang der Dinge» erschien, waren Sie 34 Jahre alt. Gefeierte Nachwuchsautoren sind heute oftmals sehr viel jünger. Macht Sie das misstrauisch?

Es gibt natürlich immer Ausnahmen. Denken Sie an Schiller, der seine "Räuber" in jungen Jahren schrieb. Der Begriff des Genialen wird heute allerdings sehr leichtfertig benutzt. Bei den meisten sogenannten Ausnahmetalenten ändert sich das aber schon beim zweiten Buch: Oft wenden sich die Medien dann ab oder rächen sich gar für ihre frühere Begeisterung und führen einen dann aufs Schafott.

Wie erklären Sie sich diesen Jubel-Kult?

Es gibt die Tendenz, den "Sound der Jugend" vorschnell zu vergöttern, weil es sich um etwas Neues, Unverbrauchtes handelt. Ich kann verstehen, wenn müde, alt gewordene Männer der Literaturkritik den Blutgeruch des Lebens nochmals genießen wollen. Zum Anderen gibt es ein großes Gedrängel unter den Kritikern, wer der tollste Entdecker ist. Da werden Werke junger Autoren hochgejubelt, die bei näherer Betrachtung nicht sehr gehaltvoll sind.

Das kann man von Ihren Büchern nicht sagen, für die Sie eine ganze Reihe wichtiger Literaturpreise erhalten haben - etwa den Georg- Büchner-Preis. Sind Auszeichnungen wichtig für Sie?

Ach, das ehrt natürlich. Ich habe aber auch Preise abgelehnt. Nicht etwa, weil ich das Geld nicht gebraucht hätte. Sondern weil ich der Meinung war, dass andere die Auszeichnung mehr verdient hätten oder besser gebrauchen könnten. Das wird einem jedoch entsetzlich übelgenommen. Damals habe ich nicht überlegt, dass vielleicht jemand in der Jury für einen gekämpft hat. Heute würde ich das nicht mehr machen, um niemanden zu brüskieren."

Nun feiern Sie Ihren 70. Geburtstag. Macht Sie das nachdenklich?

Das Alter gibt immer zu denken auf. Ich wollte etwa nie 16 Jahre alt werden. Später dann wollte ich mit 28 Jahren sterben, um nicht 30 werden zu müssen. Heute bin ich gelassener. Ich muss bei dem Gedanken lachen, dass ich bald 70 werde. Ich fühle mich gar nicht so. Nun, da ich all die Jahre abgeschritten habe, würde ich mit niemandem tauschen wollen. Es sind ja die Erfahrungen und Einsichten, die ein Leben erst ausmachen.

Das Gespräch führte Julian Mieth.