Herr Pschierer, immer wieder kommt es leider zu Situationen, in denen Pfarrer Kindern und Jugendlichen gegenüber ihre Vertrauensstellung missbrauchen. Wie groß ist denn die Versuchung, zu weit zu gehen?
Das darf man natürlich nie unterschätzen. Aber ein Pfarrer muss sich immer im Klaren sein, dass sich das Vertrauen, das ihm entgegen gebracht wird, nicht auf ihn persönlich bezieht, sondern auf seine Rolle, etwa als Seelsorger in einer Gemeinde oder als Pädagoge im Unterricht. Da ist eine professionelle Distanz, die es zu wahren gilt. Und die man auch deutlich machen muss.

Aber es kommt schon vor, dass man als junger Pfarrer von einer Konfirmandin angeflirtet wird?
Natürlich gibt es das. In dieser Phase möchten Mädchen ihre erwachenden Wünsche, auch die erotischen und sexuellen, spielerisch ausprobieren und testen, wie attraktiv sie auf einen Erwachsenen wirken. Das ist mir selbst schon passiert.

Tatsächlich? Und wie haben Sie reagiert?
Die Mädchen entwickeln ein ungemeines Vertrauen in einen, immer in der Überzeugung: "Der tut mir nichts Böses. Das ist ein guter Mensch." Dieses Vertrauen birgt natürlich unglaubliche "Chancen" für einen Missbrauch. Umso wichtiger ist es, dass ein Pfarrer oder auch ein Lehrer seine Schutzbefohlenen ganz aktiv schützt und unmissverständlich klar macht: Dahin führt kein Weg.
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Wird der Pfarrer-Nachwuchs bei Ihnen konkret auf solche Situationen vorbereitet?
Selbstverständlich. Es gibt Kurse, in denen durchgesprochen wird, was Mädchen und Jungen gerade in diesem schwierigen Alter bewegt. Es wird auf entsprechende Literatur verwiesen. Und es gibt Rollenspiele, um das richtige Verhältnis zu Jugendlichen zu finden.
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Wie muss man sich das vorstellen?
Im Seminar werden Situationen gestellt, die den Umgang mit anderen schulen sollen, die die nötige Nähe aufzeigen sollen, aber auch die gebotene Distanz. Die Arbeit an der eigenen Rolle ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des Pfarrerberufs, weil man nie das Amt und die eigene Person vermischen darf.
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Das ist sicher nicht immer so einfach. . .
Stimmt. Die Leute lieben einen, da liebt man leicht zurück. Aber man darf seine persönlichen Bedürfnisse nach Kontakt, Nähe, Sexualität nie in diesem Zusammenhang suchen. Diese Grenze muss man setzen und hier unbedingt jeder Versuchung widerstehen.
Auch wenn es der anderen Seite weh tut?
An dieser Stelle muss man enttäuschen, notfalls mit sehr klaren Worten. Der Pfarrer ist nicht der Richtige, wenn jemand körperlichen Trost sucht.
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Nicht mal als Schulter zum Ausweinen bei Liebeskummer?
Nein! Ein klares Nein! Körperkontakt braucht es nicht. Man kann mit Reden helfen, okay. Alles andere ist ein Minenfeld. Man darf sich und andere nicht in Situationen bringen, in denen sich Bedürfnisse entwickeln könnten, die in diesem Rahmen nichts zu suchen haben. Dieser Schutzmechanismus muss funktionieren.
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Ohne Ausnahme?
Wissen Sie, ich kann schon einmal einer alten Frau im Krankenhaus tröstend die Hand halten. Aber Jugendliche haben einen besonderen Schutz verdient. Diese Grenze muss ganz klar sein und darf nicht verwaschen werden.
Und wenn man vom Gegenüber dazu gedrängt wird?
Und hinterher heißt es dann: "Das Mädchen wollte das doch auch"? Nein! Das ist doch krank. Die Richtlinien müssen völlig klar sein.
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So etwas lernt ein Pfarrer alles im Studium?
Nun, das Studium ist sehr stark auf theologische und wissenschaftliche Inhalte ausgerichtet. Aber wir versuchen, die praktischen Problemfelder bei der Ausbildung früh in den Fokus zu rücken.
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Wie?
Seit den Siebziger und Achtziger Jahren ist im Vikariat die Arbeit künftiger Pfarrerinnen und Pfarrer an der eigenen Person, an der eigenen Rolle stärker geworden. Auch psychotherapeutische Ansätze haben stärkeren Zugang zur Seelsorge-Ausbildung gefunden. Dazu gehört natürlich auch der kritische Blick auf sich selbst. Wer anderen Menschen in schwierigen Lagen helfen will, muss einen guten Zugang zu sich selbst haben.
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Dazu erhält ein angehender Pfarrer auch konkrete Hilfe?
Ja. Seit dem Jahr 2007 gehören zur kirchlichen Studienbegleitung auch Praktika und Gemeindearbeit. Dabei werden Kommunikations- und Teamfähigkeit betrachtet, auch der Umgang mit Kritik von außen. Zum Beispiel sitzen versierte Religionspädagogen viele Stunden mit im Unterricht. Oder erfahrene Gemeindepfarrer begleiten ihre ersten Schritte, bereits während des Theologiestudiums.
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Die Praxiserfahrung wurde also zeitlich nach vorne verlegt?
Genau. Das hilft auch manchen, frühzeitig zu erkennen, dass sie vielleicht im Umgang mit anderen Menschen nicht so gut aufgehoben sind. Dass die kommunikative Seite nicht stimmt. Manche orientieren sich dann sogar beruflich völlig neu. Das muss für beide Seiten nicht von Nachteil sein.

Das Gespräch führte Rainer Maier.

PRAXISNÄHE FÜR DEN PFARRER-NACHWUCHS

Das Predigerseminar in Nürnberg ist die zentrale Ausbildungsstelle für evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer in ganz Bayern. Im zweieinhalbjährigen Vikariat sind 19 Wochen Seminararbeit Pflicht. Während der Arbeit in Schule und Gemeinde wird der bayerische Pfarrer-Nachwuchs - unter anderem durch die religionspädagogische Ausbildung - über zwei Jahre lang von erfahrenen Kräften vor Ort immer wieder begleitet und alle Ereignisse werden intensiv besprochen.
R. M.