So!: Herr Lauterbach, Sie schreiben in Ihrem Buch Gesundheitspolitik sei der Bereich, in dem es am schwersten ist, die richtige Politik zu machen. Woran liegt das?
Karl Lauterbach: Das Besondere am Gesundheitssystem ist, dass es ein sehr großer Markt ist. Wir haben 160 Milliarden Euro alleine im System der gesetzlichen Krankenkassen und noch einmal die gleiche Größenordnung, wenn man das gesamte System betrachtet. Wir haben hier also einen Markt vor Augen, der in der Gesamtgröße 320 Milliarden Euro ausmacht. Von daher ist klar, dass dort sehr viel lobbyiert wird. Damit kann man auch umgehen. Aber die Parteien müssen sich ein Stück weit vom Einfluss der Lobbygruppen unabhängig machen.
So!: Und was heißt das?
Lauterbach: Wir brauchen eine Politik, die stärker auf Vorbeugung und Verbraucherinteressen ausgerichtet ist.
So!: Gibt es Interessengruppen, die die Verbreitung der Vorbeugemedizin behindern?
Lauterbach: Ich glaube, dass die Vorbeugemedizin viele geheime Gegner hat. Niemand sagt natürlich, dass er gegen Vorbeugung sei. Der größte Gegner ist wahrscheinlich die Nahrungsmittel- und Gaststättenindustrie. Ein ganz wichtiger Schritt zum Beispiel wäre, dass wir über die drei wichtigsten Gefahrenstoffe in der Nahrung – nämlich zu viel Salz, zu viel Fett und zu viel Zucker – in Form einer Ampelkennzeichnung auf Lebensmitteln aufgeklärt würden. Genau das verhindert die Industrie.
So!: Im derzeitigen Gesundheitssystem profitieren die meisten Beteiligten nicht von einem gesunden, sondern vom kranken Patienten. Wie lässt sich das ändern?
Lauterbach: Es gilt für jedes Gesundheitssystem, dass die Krankenhäuser, die Ärzte und die Pharmaunternehmen ihr Geschäft nicht mit den Gesunden machen. Das liegt in der Natur der Sache. Besonders bedenklich ist, dass sich die meisten Ärzte – aber auch die meisten Journalisten und die Patienten – zu wenig mit den gesicherten Erkenntnissen der Vorbeugemedizin auskennen. Die Blutdruckwerte sind hierzulande sehr hoch, weil die Menschen zu wenig darüber informiert sind, wie man dem vorbeugen kann. Viele wissen auch nicht, dass ein hoher Blutdruck ein hoher Risikofaktor nicht nur für Schlaganfälle, sondern auch für Demenz und diverse andere Erkrankungen ist. Die Vorbeugemedizin ist in Deutschland noch unterentwickelt.
So!: Wie oft gehen Sie zu Vorbeugeuntersuchungen?
Lauterbach: Ich bin ja selbst Mediziner und kenne mich daher gut aus. Ich setze viele von den Ratschlägen, die ich gebe und die wissenschaftlich gesichert sind, auch um. Aber es ist ja nicht wichtig, wie gesund ich bin, sondern wie gesund die Leute sind, die ich berate. Wenn es mir um meine eigene Gesundheit ginge, wäre ich nicht Politiker, denn das ist nicht gerade der gesündeste Beruf.
So!: Macht Politik krank?
Lauterbach: Politiker haben auf jeden Fall einen stressreichen Beruf mit viel Ärger und vielen Abendterminen. Es ist kein Beruf, den ich empfehlen würde, wenn man versucht, so gesund und so lange zu leben wie möglich.
So!: Welche praktischen Tipps geben Sie Politikern in Ihrem Umfeld, um trotzdem fit zu bleiben?
Lauterbach: Sie sollten versuchen, so gut sie können, Sport zu machen. Nicht rauchen, nicht zu viel Alkohol trinken, nicht zu viel von den ungesunden Häppchen, die einem geboten werden. Aber das ist natürlich nicht leicht, weil man immer Gelegenheit hat, auswärts zu essen, man ist oft eingeladen, es wird sehr viel Alkohol gereicht...
So!: Lesen eigentlich auch Ihre Kollegen Ihr Buch über das Gesundheitssystem?
Lauterbach: Ja, das wird auch von vielen Politikern gelesen, viele Spitzenpolitiker haben mich sogar schon auf die Inhalte des Buches angesprochen.
So!: Was haben die gesagt?
Lauterbach: Die haben mich zum Beispiel mit ihrem Bauchumfang konfrontiert, was das bedeutet, wenn der etwas größer ausfällt. Ich würde mir aber auch wünschen, dass das Buch mehr Normalverbraucher lesen. Viele Ratschläge gebe ich nicht für die Privilegierten im System, für Leute wie mich, sondern für den Normalbürger, der nicht viel Geld hat und sich nicht so gut auskennt. Der nicht weiß, wie er eine gute Klinik oder einen guten Arzt findet und was für ihn das Wichtigste ist, wenn er verhindern will, dass er einen Schlaganfall oder Krebs bekommt. Diese Ratschläge sind mir das Wichtigste, an denen habe ich auch fast ein Jahr gearbeitet.
Interview: Jakob Buhre / Tobias Goltz

BUCH-TIPP
Karl Lauterbach: „Gesund im kranken System - Ein Wegweiser“, 240 Seiten mit Grafiken, Rowohlt-Verlag , Preis: 16,90 Euro.