So!: Ihr neues Doku-Drama „Stauffenberg“ trägt den Untertitel „Die wahre Geschichte“. Worauf wollen Sie damit anspielen?
Guido Knopp: Unsere Dokumentation kommt zu einer Zeit, in der viel über „Operation Walküre“ mit Tom Cruise gesprochen wird. Als Spielfilm nimmt er sich sicher einige Freiheiten, zum Beispiel in Dialogen, die nicht überliefert sind. Das ist auch legitim. In Deutschland haben wir aber ein erhöhtes Authentizitätsbedürfnis, gerade was die NS-Zeit betrifft. Deshalb halte ich es für eine wichtige und notwendige Information, parallel dazu auch eine seriöse dokumentarische Geschichte zu erzählen.
So!: Sie möchten Ihr Doku-Drama jedoch nicht als Antwort auf „Operation Walküre“ erstanden wissen. Was genau war Ihre Intention, den Film zu machen?
Knopp: In den vergangenen Jahren haben wir durch die Forschung eine ganze Menge Neuigkeiten über Stauffenberg vermittelt bekommen. Es wird in den nächsten Monaten eine sehr intensive Diskussion entstehen, nicht nur über den Spielfilm, sondern auch über den Widerstand und das Attentat. In dieser Situation, in der es oftmals um Meinungen geht, ist es ganz wichtig, die Fakten aufzuzeigen. Dafür fühlen wir uns mitverantwortlich.
So!: Haben Sie das Gefühl, dass die Geschichte mit einem kommerziellen Hollywood-Film ausgebeutet wird?
Knopp: Ich finde es im Gegenteil sogar gut, dass der Walküre-Film in Ländern, in denen es kaum ein Wissen über den deutschen Widerstand gibt, dieses Thema überhaupt erstmal publik machen wird. Das ist ein anerkennenswerter Tatbestand. Dass er sich dabei Freiheiten nimmt, ist das Gesetz des Spielfilms. Er darf das auch, solange er nicht allzu sehr verfälscht. Mir persönlich wäre es am liebsten, wenn bei der ganzen Diskussion Tom Cruise’ Stauffenberg-Rolle überhaupt nicht mit seiner Mitgliedschaft bei der Scientology-Sekte verquickt werden würde.
So!: Welche Fakten bezüglich Stauffenberg sind bei den bisherigen Verfilmungen und Dokumentationen immer zu kurz gekommen?
Knopp: Es ist ganz wichtig zu zeigen, dass sein Attentat auf Hitler nicht nur etwas Symbolisches gewesen ist. Stauffenberg handelte im Bewusstsein, dass es im Falle eines Gelingens durchaus noch die Möglichkeit einer politischen Mitgestaltung gab. Seiner Frau sagte er, die Chancen stünden fifty-fifty, dass der Krieg beendet werden könnte. Hätte das geklappt, wäre damit auch das Sterben an den Fronten zu Ende gewesen. Allein auf deutscher Seite sind zwischen Juli 1944 und Mai 1945 mehr Menschen umgekommen, als in den fünf Kriegsjahren zuvor. Außerdem wären hunderttausende Opfer des NS-Regimes weniger ermordet und 130 Städte weniger zerbombt worden. Ein gelungenes Attentat auf den Tyrannen hätte also seinen Sinn gehabt.
So!: Stauffenberg und sein Zirkel waren keine Demokraten. Wird das heute differenziert gesehen oder steht die Heldenverehrung im Vordergrund?
Knopp: Man muss die Menschen aus ihrer Zeit, Tradition und Erziehung heraus beurteilen. Wichtig für Stauffenberg war, dass anstelle der Tyrannei ein Staat des Rechts und der Gerechtigkeit entsteht. Natürlich war er kein lupenreiner Demokrat. Aber er war auch kein Nazi, sondern ein Deutschnationaler. Im Kreis der Verschwörer gab es auch Demokraten wie Julius Leber, der übrigens von Stauffenberg verehrt wurde. Bei einem geglückten Attentat wäre mit Sicherheit ein Prozess in Gang gekommen, bei dem auch die Demokratie gesiegt hätte. Etwas anderes hätten die Alliierten gar nicht zugelassen.
So!: Ewald von Kleist-Schmenzin reiste 1938 nach London, um die Haltung der britischen Regierung für den Fall eines Umsturzes in Deutschland in Erfahrung zu bringen. Er stieß aber weder auf Verständnis noch auf Hilfsbereitschaft. Wie erklären Sie sich das?
Knopp: Vor dem Krieg wollte man nur mit Hitler verhandeln. Der hatte nun mal die Macht im Staat. Im Krieg bestanden die Alliierten dann auf eine bedingungslose Kapitulation. Dabei war es einigen sogar lieber, dass Hitler so lange wie möglich an der Spitze Deutschlands steht, denn so hatte man die innere Berechtigung, die Vernichtung des Regimes anzustreben. Eine neue Regierung unter dem provisorischen Kanzler Goerdeler hätte diese Bestrebungen möglicherweise gestört.
So!: Die meisten Täter von damals nahmen sich selbst als normal, von Sachzwängen bestimmt und nicht als grausam wahr. Was hatte Stauffenberg für ein Verhältnis zu den unmittelbaren Tätern?
Knopp: Darüber gibt es ganz wenige Quellen, selbst bei den Biografen, die sich sehr genau mit Stauffenberg beschäftigt haben. In den Stäben, in denen er arbeitete, hat er von den Gräueltaten vor allem durch Kameraden erfahren. Zum Kreis der Verschwörer gehörte aber auch Arthur Nebe, der als Kommandeur der SS-Einsatzgruppe B selber auf unselige Weise tätig war. Wie sich Stauffenberg ihm gegenüber verhalten hat, weiß man nicht. Ich vermute, er konnte seinen Abscheu nicht offen äußern. Außerdem haben selbst viele Offiziere damals von Massakern und Morden nicht alles gewusst. Viele allerdings wussten genug, um nicht mehr wissen zu wollen. Denn das war zum Teil lebensgefährlich.
So!: Machte Stauffenberg sich in irgendeiner Weise als Mittäter schuldig?
Knopp: Nein, das machte er nicht.
So!: Wurde der Hitler-Attentäter Stauffenberg von der deutschen Gesellschaft von Anfang an als ein Held gefeiert?
Knopp: Natürlich gab es von Anfang an auch Sympathisanten, aber bis Anfang der 50er Jahre sahen viele Deutsche der Kriegsgeneration seine Tat überwiegend als Hochverrat an. In der frühen Bundesrepublik war es ein Skandal, dass die Witwe des NS-Volksgerichtspräsidenten Freisler, der Stauffenberg und seine Helfer hat hinrichten lassen, eine Pension bekam, die Witwen einiger Verschwörer aber nicht. Bis Stauffenberg und die anderen die Position in der deutschen Geschichtsdeutung bekamen, die ihnen gebührt, war es ein quälender Prozess. Bundespräsident Theodor Heuss hat 1954 als einer der ersten vermittelt, dass es einsame Helden waren, die ihrem Gewissen folgten.
So!: Die Deutschen denken heute in der Mehrzahl nicht national und sind deshalb angeblich nicht in der Lage, das Andenken an Stauffenberg angemessen zu wahren. Wie sehen Sie das?
Knopp: Mit Hilfe von „Operation Walküre“ und unserem Zweiteiler wird das Verständnis für Stauffenberg hoffentlich wachsen. Ich persönlich bin mit dem Begriff sehr vorsichtig, aber ich halte ihn für einen Helden. Ein Held ist jemand, der etwas gegen den Zeitgeist tut und dabei mutig genug ist, sich und auch das Leben seiner Familie aufs Spiel zu setzen. Stauffenberg hat nicht nur das Attentat eigenhändig durchgeführt, er hat gleichzeitig noch den Aufstand gegen Hitler geleitet. Dazu braucht man enormen Mut.
So!: Die gesamte Großfamilie Stauffenberg kam nach dem Attentat ins KZ Dachau. War es reines Glück, dass fast alle überlebten, oder geschah das vielleicht sogar auf ausdrücklichen Wunsch der NS-Regierung?
Knopp: In der Phase des Kriegsendes wuchs das Chaos. Wir wissen zum Beispiel, dass die Stauffenberg-Kinder, die unter falschem Namen in Heime verschleppt worden waren, noch im April 1945 zusammen mit anderen Verschwörer-Kindern ins KZ Buchenwald abtransportiert werden sollten. Aufgrund von Bombardierungen konnte das aber nicht mehr durchgeführt werden und wenige Tage später waren bereits die Amerikaner da. Man kann sich ausrechnen, was mit den Kindern passiert wäre, wäre der Transport vollzogen worden.
Interview: Olaf Neumann