Kontra Arbeitszeitverkürzung
Stettes sieht gesamtwirtschaftlich keine Spielräume für kollektive Arbeitszeitverkürzungen. "Um zum Beispiel eine Verkürzung von 40 auf 32 Wochenstunden wirtschaftlich tragfähig zu gestalten, benötigen wir eigentlich einen Produktivitätszuwachs von 25 Prozent pro Arbeitsstunde", argumentiert der IW-Experte. Im vergangenen Jahrzehnt habe der Produktivitätszuwachs in der Gesamtwirtschaft aber jährlich bei durchschnittlich weniger als einem Prozent gelegen.
Hinzu kommt: "Wir werden durch den Renteneintritt der Babyboomer in den Ruhestand in erheblichem Ausmaß Arbeitsstunden verlieren, weil die Anzahl der nachrückenden Jahrgänge schlicht kleiner ist", sagt Stettes. Eine kollektive Arbeitszeitverkürzung würde diesen Rückgang noch verstärken. "Das senkt die Standortattraktivität, der bereits heute auch daran leidet, dass wir Fachkräfteengpässe haben." Zugleich würden die Finanzierungsanforderungen an die Sozialversicherungen und bei öffentlichen Haushalten steigen, argumentiert der IW-Forscher: "Kollektive Arbeitszeitverkürzungen würden uns schlicht ärmer machen."
Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut in München sagt, wenn einfach nur die Arbeitszeit pro Kopf verringert werde, koste dies im Endeffekt Wachstum. Deshalb sei entscheidend, dass eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit anderen Veränderungen einhergehe: etwa mit betrieblichen Maßnahmen, um die Produktivität pro Arbeitsstunde zu erhöhen.
Stefan Kooths vom Kieler IfW ergänzt, die derzeit aktive Generation könne sich keinen "ganz schlanken Fuß" machen, wenn es um das Abwägen zwischen Freizeit und Arbeit gehe - weil sonst die Abgabenquote immer weiter steigen müsse. Der Staat könne aber Anreize schaffen, dass sich Mehrarbeit stärker lohne. Damit könne er der Bewegung zu immer geringeren Arbeitszeiten entgegenwirken.
Forderung nach längeren Arbeitszeiten
Der Maschinenbauverband VDMA forderte angesichts des Fachkräftemangels unlängst eine schnelle Kurskorrektur. Eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit könne sich Deutschland weder volkswirtschaftlich noch sozialpolitisch leisten – schon gar nicht bei gleichem Lohn, sagte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann im Oktober. "Die 40-Stunden-Woche muss wieder der Normalfall sein".
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte der Deutschen Presse-Agentur zu Beginn des Jahres gesagt: "Eine Vier-Tage Woche und dann noch bei vollem Lohnausgleich ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen in einer Zeit des massiven Fachkräftemangels. Wir spüren alle, dass wir die Aufgaben nicht mehr bewältigt bekommen." Nun als Lösung in Erwägung zu ziehen, dass alle noch weniger arbeiteten, führe zum falschen Ergebnis.
Arbeitszeitexperte Zander warb im SWR-Interview grundsätzlich für Vielfalt der Arbeitszeitmodelle - in beide Richtungen: "Wir sind in einer so komplexen Umwelt, dass zunehmend diese einfachen "One Size Fits All"-Modelle nicht mehr passen. Das wird immer suggeriert, und es kann passen, aber es muss nicht passen."