Ein Mann verschwindet, so spurlos wie einst die Asche seiner Frau im Meer. Offenbar ist er ihr, indem er sich im Berliner Teltowkanal ertränkte, in den Tod gefolgt. Denn er hat sie so untröstlich vermisst wie ihr impressionistisches Lieblingsbild (von Gustave Caillebotte), das ihm einen "Augenblick" für die "Ewigkeit" festzuhalten schien.

Fünf Erzählungen ordnete Hartmut Lange als Novellen einander zu, durchaus in dem Sinn, den Goethe der Gattung gab: fünf kleine, aber insgeheim "unerhörte Begebenheiten". Topografisch genau hat sie der 75-jährige Autor am Teltowkanal - "gute siebenunddreißig Kilometer von der Havel bis zur Spree" - aufgereiht und somit lose zu einer Art Zyklus nicht gerundet, doch verbunden. In einem "Haus in der Dorotheenstraße" etwa lässt ein Auslandsjournalist seine Frau zurück, um eine Zeit lang aus London zu berichten; dort - plötzlich entfernt von ihr, rasch ihr und sich entfremdet, zunehmend einsam - bedrängen ihn, unklar ob zu Recht, Ahnungen und Indizien dafür, dass seine für glücklich gehaltene Ehe nichts als Trug ist.

Den Stoffen geben Langes explizite Ortsangaben einen betont wirklichkeitsnahen Anstrich; umso geflissentlicher aber treibt er darin
sein Spiel mit dem Irrealen und
Irrationalen. Unheimlich still lässt
er etwas Unbegründbares, das der Vernunft und Gewohnheit Hohn spricht, in den Alltag hinein. Dem Leser flüstert er den Argwohn ein, dass sich da "zwei Welten, die
zusammengehören, für Augenblicke nicht mehr berühren". Jenes Geheimnisvolle, Geisterhafte will er umso beklemmender in seine Sprache holen, als er sie scheinbar
unbeteiligt, berechnend sachlich
formuliert.

Abgründig, doppelbödig wünscht er sich die Atmosphäre. An ihrer freien Entfaltung aber hindern sie störende Stil-Manierismen, die bei einem versierten Schriftsteller wie Lange befremden. Formelhaft verkorkst sich seine Syntax und legt den Eindruck nahe, der Autor habe das Vertrauen in die Nachvollziehbarkeit seiner verschachtelten, doch klaren Haupt- und Nebensätze eingebüßt. Handwerkliche Holpereien etwa in der indirekten Rede, logische Unsauberkeiten trüben den Genuss zusätzlich.

Mehr als einmal auch findet der Autor stofflich nicht aus der Banalität heraus, so mit der Geschichte über "Die Cellistin" (Jacqueline du Pré): Deren Spiel belauscht ein Ich-Erzähler in der Waldeinsamkeit, obwohl er genau weiß, dass die Künstlerin, die er leibhaftig vor sich sieht, längst unter der Erde liegt. Immerhin verweist gerade diese Episode auf einen gemeinsamen Nenner der Novellen: Jede berichtet von einer "Begegnung, die keine war". Und: "Was wäre das für eine Welt, in der es nicht gelingt, die Wirklichkeit durch eine Täuschung aufzubessern?", denkt sich der Erzähler und prägt mit jenem Aphorismus einen der treffendsten Sätze im Buch.

Michael Thumser

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Hartmut Lange: Das Haus in der

Dorotheenstraße. Diogenes Verlag,

128 Seiten, gebunden, 19,90 Euro.

Buch-Tipp