Das schöne Wort vom genius loci, vom "Geist" eines Orts, seiner dauerhaften intellektuellen und emotionalen Aura, er passt auf wenige Schauplätze so trefflich wie aufs Bayreuther Festspielhaus. In ihm hat Richard Wagner, der charakterlich fragwürdige, gleichwohl genial inspirierte Dichterkomponist, vor bald 140 Jahren jenen "Geist" implementiert, seinen eigenen. Seither konnte hier dem Klima hochmögender Kunst kein Zahn der Zeit etwas anhaben; wohl aber der Materie darum herum. Es tut sich was in Wagners Weihetempel, und das nicht nur darum, weil heute der Premierenreigen auf dem Grünen Festspielhügel neuerlich anhebt. Das Haus selbst, an vielen Stellen marode, wird renoviert - ein fünfzig Millionen Euro teures Großprojekt, das allerdings, wie auch die Erneuerung des Wagner-Museums, im Jubiläumsjahr 2013 nicht etwa abgeschlossen, sondern überhaupt erst aufgenommen wird. Jenen Umstand nennt Pultstar Christian Thielemann, der unernannte Generalmusikdirektor des Bayreuther Welttheaters, rundheraus einen Skandal. Während der Probenarbeit zum "Fliegenden Holländer" bekannte er seine liebende Bewunderung für den Ort und seinen Geist: "Manchmal", raunte er, "habe ich das Gefühl: Das Haus lebt. Und wenn man es nicht gut behandelt, rächt es sich." Gar nicht mal auf Katharina Wagner war dies gemünzt, hätte aber durchaus ihr antworten können: Sie nämlich, eine der zwei Hügelherrinnen, nahm dieser Tage den Mund arg voll, als sie naseweis verriet, Bayreuth, als "Provinz", liege ihr viel zu weit ab von den Hauptorten des Geistes; täglich verfluche sie den Urgroßpapa, weil der seine Stoff und Schall gewordene Idee ausgerechnet hier angesiedelt habe. Gut möglich, dass, für solch erbärmlichen Verrat, Katharinas Fluch auf sie selbst zurückfällt. Denn schon jetzt muss sich Tiefgreifendes auf dem Hügel tun: Sebastian Baumgartens allseits geschmähte "Tannhäuser"-Version von 2011 hat hier nicht länger was zu suchen. Aber funktioniert die "Werkstatt"? Am Samstag, bei der Wiederaufnahme, hat sich zu erweisen, ob sich dem Debakel durch tiefe, sinnstiftende Eingriffe doch noch Brauchbares abgewinnen ließ. Und erst die Affäre Nikitin: Wenige Tage vor der heutigen "Holländer"-Premiere musste der Darsteller der Titelfigur, eines Nazi-Tattoos wegen, abreisen und ersetzt werden. Kann das gut gehen? Immerhin war dem Schöpfer des Musikdramas selber wohl bewusst: "Von dem glücklichen Ausfalle dieser Hauptpartie hängt der wirkliche Erfolg der ganzen Oper einzig ab." Und - so möchte man, Wagner bestätigend, hinzufügen - nicht etwa davon, ob das Werk in Bayreuth gegeben wird oder in München, wo's Katharina vielleicht lieber wäre. Wenn das von ihr bestellte Haus wirklich lebt: Mal schauen, ob es sich rächt.