Berlin/Köln - 1044 Einträge listet die Raubkunst-Internetdatenbank „Lost Art“ auf, wenn man den Namen des berühmten Zeitungsverlegers Rudolf Mosse (1843-1920) eingibt. Hunderte Gemälde Alter Meister bis zum Impressionismus, aber auch Schränke, Teppiche, Porzellan, ja sogar Tischdecken sind dort verzeichnet. Die Nazis nahmen der jüdischen Verleger- und Kunstsammlerfamilie das gesamte Hab und Gut. Mehr als 80 Jahre nach der Enteignung sind amerikanische und deutsche Anwälte zumindest den Kunstwerken auf der Spur - und einem Brunnen. Es ist einer der umfangreichsten Raubkunstfälle in Deutschland.

„Es ist in der Tat ein großer Fall, weil es um sehr viele Werke geht“, sagt Anwalt Jan Hegemann. Doch eine Dimension etwa wie der Fall Gurlitt erreicht der Fall Mosse nach Ansicht von Raubkunstexperten nicht.
Die Mosse-Familie bewohnte ein Palais am Leipziger Platz in Berlin sowie zwei weitere Häuser. Der Verlag gab unter anderem das den Nazis verhasste berühmte liberale „Berliner Tageblatt“ heraus. Schon wenige Monate nach Hitlers Machtübernahme wurden Mosses Tochter Felicia Lachmann-Mosse und ihr Mann gezwungen, ihren Besitz in eine „Treuhandstiftung“ zu überführen. 1934 wurden Hunderte Objekte von den Berliner Auktionshäusern Lepke und Union zwangsversteigert. Darunter waren Gemälde von Adolph Menzel, Max Liebermann, Carl Spitzweg, Franz Lenbach oder Arnold Böcklin.

„Es liegen Kataloge vor, so dass der Raubkunst-Nachweis einfach ist“, sagt Hegemann. Außerdem gebe es Inventarverzeichnisse der Häuser Mosses. „Auf Lost Art hat man erst einmal alles eingestellt, um Aufmerksamkeit zu schaffen.“ Dass man Tischservices oder Kronleuchter wiederfindet, die keine Unikate waren, glauben auch die Anwälte nicht.

Und dann gibt es da noch einen Brunnen mit drei Bronze-Nymphen - er ist die Attraktion im Park der idyllischen Burg Schlitz in Mecklenburg-Vorpommern. Einst zierten die „Drei tanzenden Mädchen“ das Mosse-Palais am Leipziger Platz. Der Brunnen wurde 1935 von dem Deutsche Bank-Aufsichtsrat Emil Georg von Stauß erworben und nach Schlitz gebracht. Seit 2015 haben die Mosse-Anwälte auch die Nymphen im Visier. Die Restitution des Brunnens ist das bisher einzige Ersuchen an private Eigentümer. Für sie gelten die Washingtoner Prinzipien der fairen und gerechten Lösungen bei der Rückgabe von Raubkunst nicht.
Die Mosse-Anwälte haben im März und Mai 2015 und zwei Briefe nach Schlitz geschrieben. Eine Antwort hätten sie nie bekommen. Burg-Eigentümer Armin Hoeck, der das heutige Fünf-Sterne-Hotel 2011 erwarb, sagt, er habe niemals Briefe erhalten. Er höre zum ersten Mal von dem Fall Mosse. „Ich werde mich Gesprächen nicht verschließen“, sagt Hoeck. Gleich am Freitag schrieb er eine Mail an die Mosse-Anwälte.

Auch von der einzigartigen Kunstsammlung Mosses gibt es Spuren. Man sei in Gesprächen mit „weniger als zehn Museen“, sagt Hegemann. Alle Museen seien kooperativ. Keines der Häuser bezweifle, dass die Werke restituiert werden müssten. Zwei Objekte wurden sogar in Odessa (Ukraine) und Polen aufgespürt.
Unter anderem wird mit dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum über ein Blumenstillleben verhandelt, wie Direktor Marcus Dekiert bestätigte. „Man ist natürlich immer traurig, wenn ein schönes Bild geht. Aber es ist selbstverständlich völlig richtig, es den Erben zurückzugeben, denen es unter so verbrecherischen Umständen entzogen worden ist.“

Das Land Baden-Württemberg hat bereits ein Gemälde von Carl Blechen restituiert, es durfte vorerst in der Kunsthalle Karlsruhe bleiben. Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gab acht Objekte zurück, darunter ein altägyptisches Opferbecken und altchinesische Löwen. Teilweise kamen die Museen selber auf die Mosse-Erben zu, nachdem Provenienzforscher die Herkunft der Werke ermittelt hatten.

Am 1. Juni versteigert das Berliner Auktionshaus Grisebach nun drei Werke von Adolph Menzel, Wilhelm Leibl und Ludwig von Hofmann, die Museen in der Schweiz und Deutschland zurückgegeben hatten. Den höchsten Schätzpreis hat mit 300 000 bis 400 000 Euro das Menzel-Pastell, die beiden anderen Bilder liegen bei 150 000 und 300 000 Euro. Im Vergleich etwa zu den millionenteuren Werken der Klassischen Avantgarde, die die Erben des jüdischen Galeristen Alfred Flechtheim von Museen zurückfordern, sind das bescheidenere Summen. Manchmal geht es sogar nur um Werte im fünfstelligen Bereich.

Dass die restituierten Werke von den Erben versteigert werden, ist nach Ansicht von Raubkunst-Experten nicht ungewöhnlich. Im Fall Mosse ist die Erbengemeinschaft ein kompliziertes Konstrukt, zu der auch zwei Stiftungen gehören. So kommt es, dass sogar die University of Wisconsin zu den Begünstigten gehört. „Es geht auch darum, Gerechtigkeit wiederherzustellen“, sagt Hegemann. „Dieser Raubvorgang muss rückgängig gemacht werden.“