So!: Herr Uthoff, am Sonntag wird Ihnen in Nürnberg der "Deutsche Kabarettpreis" verliehen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Unser Sonntagsstar

Der 1967 geborene Münchner Max Uthoff ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt. Sein Studium der Rechtswissenschaften schloss Uthoff 2002 mit dem Zweiten Staatsexamen ab. Seit 2007 tritt er als Solokünstler auf. Seit Februar 2014 moderiert er mit Claus von Wagner die ZDF-Satiresendung "Die Anstalt" und hinterfragt vor einem Millionenpublikum kritisch die Themen unserer Zeit. Uthoffs messerscharfe Analysen der politischen Großwetterlage gehören zum Besten, was das Kabarett in Deutschland zu bieten hat.


Max Uthoff: Friedensnobelpreis, Bundesverdienstkreuz, deutscher Kabarettpreis. So die offizielle Reihung der wichtigsten Auszeichnungen, die es für Satiriker zu erlangen gilt. Only two more to go! Meine Freude ist unbeschreiblich.

So!: Die Jury rühmt Ihren "scharfen Verstand" und Ihre "unbestechliche Logik des gelernten Juristen". Sind das Grundvoraussetzungen für Ihren Erfolg?

Uthoff: Zunächst gilt es, den scharfen Verstand der Jury zu loben! Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Behauptung, Juristen hätten überhaupt irgendetwas, das unbestechlich sei, bei den Mitarbeiten großer Rechtskanzleien zu ausgelassener Heiterkeit führen dürfte. Der Erfolg fast jeden Schaffens beruht häufig darauf, dass andere noch schlechter sind.

So!: Sie haben Jura studiert, sind aber weder Anwalt noch Richter geworden, sondern Kabarettist. Kann man denn in diesem Beruf mehr für die Sache der Gerechtigkeit tun?

Uthoff: Nun, das ist ja nicht so schwer. Die meisten Juristen verstehen von Gerechtigkeit so viel wie die Kuh vom Ablativ (musste ich auch googeln). Der Jurist fragt sich von Anbeginn seiner Ausbildung den ganzen Tag: Wer kann was von wem aufgrund von welchem Anspruch verlangen? Ein Denken, das einen zwangsläufig von Überlegungen der Gerechtigkeit weg führt. Wenn ich etwas als ungerecht empfinde, versuche ich auf meine Weise davon zu sprechen, immer nach dem Motto von Jaques Tati "Das moderne Leben ist gemacht für die Klassenbesten. Ich würde gerne alle anderen verteidigen". Wenn ich selbst Gerechtigkeit herstellen wollte, wäre ich Diktator geworden, ein sanfter zwar, aber doch mit wenig Menschenliebe, streng und unerbittlich. So was wie Julian Reichelt.

So!: Unerbittlich führen Sie Ihrem Publikum die Widersprüche und Ungerechtigkeiten unseres Gesellschaftssystems vor Augen. Muss Satire mehr sein als bloße Unterhaltung, als bloßes Hämmern auf die Pointentrommel? Hat sie die Aufgabe, die Menschen aufzuklären?

Uthoff: Nein, muss nicht. Kann. Kann aber auch nicht. Will manchmal. Manchmal aber auch nicht. Scheitert auch mal. Manchmal klappt’s. Dann ist es schön. Noch öfter wär‘ schöner. Aber nicht immer. Manchmal. So ab und an. Haltung halt, gerne dauernd.

So!: Wo verläuft denn dann die Trennlinie zwischen Kabarett und Journalismus? Oder lösen sich die Grenzen ohnehin auf?

Uthoff: In letzter Zeit diffundierte das doch von der einen Seite zur anderen und zurück. Wir sind aber unschuldig, die Journalisten haben angefangen. Verstärkt durch die Instant-Meinungs-Maschine Internet, glaubt auch jeder Journalist immer und überall, Meinungen haben zu müssen, gerne auch im Nachrichtenteil. Dann ist da weniger Platz für Information. Also müssen wir einen Teil der Meinungsecke frei räumen, um da Platz zu machen für Information. Und das wollen wir eigentlich gar nicht, aber wie gesagt, die Journalisten haben angefangen.

So!: Wie recherchieren Sie Ihre Themen? Können Sie noch Zeitung lesen, ohne ständig über eine mögliche Umsetzung auf der Bühne nachzudenken?

Uthoff: Lesen, lesen, lesen. Alles, was Denis Scheck nicht empfiehlt. Um abzuschalten, besteht Entspannung vor allem darin, nur Dinge zu lesen, die so wenig neue Information enthalten wie möglich, zum Beispiel den "Focus"

So!: "Die Anstalt", die Sie seit Februar 2014 gemeinsam mit Claus von Wagner gestalten, löst regelmäßig gesellschaftliche Debatten aus. Worauf führen Sie diese durchschlagende Wirkung zurück?

Uthoff: Wir lösen regelmäßig gesellschaftliche Debatten aus? Wow! Ich scheine dem Friedensnobelpreis näher zu sein, als ich dachte. Ich befürchte, Sie überschätzen unsere Wirkung etwas. Wenn es uns gelingt, Dinge, die sonst ein kümmerliches Dasein in einer WDR-Reportage in dunkler Nacht fristen, ein bisschen ans Tageslicht zu zerren, ist schon viel gewonnen.

So!: Ihre Sendungen entstehen im Dreier-Team, neben Claus von Wagner ist noch der Autor Dietrich Krauß an Bord. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?

Uthoff: So wie das mit dem Über-Ich (Dietrich Krauß), dem Ich (Claus von Wagner) und dem Es (also mir) nun mal läuft. Das Es pöbelt rum, wird laut und will Köpfe rollen sehen, wird vom Ich eingebremst, das auf großartige Weise zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu vermitteln weiß. Und das Über-Ich bietet zu allem dann den theoretischen Überbau an. Oder anders ausgedrückt. Herr von Wagner und Herr Krauß entwerfen handfeste Satire, und ich bringe den Kuchen mit.

So!: 2011 haben Sie den Förderpreis des "Deutschen Kabarettpreises" erhalten, jetzt nun den Hauptpreis. Claus von Wagner war 2006 Förderpreisträger. Ist er nicht auch längst reif für den Hauptpreis?

Uthoff: Herr von Wagner hat den Hauptpreis noch nicht? Ich muss mein Lob über die Jury nochmal überdenken. Könnte aber sein, dass von Wagner die Reihenfolge einfach umdreht und mit dem Friedensnobelpreis anfängt.

So!: Wie sehr beeinflussen Sie sich gegenseitig in Ihrer Arbeit?

Uthoff: So sehr, dass am Ende einer "Anstalt" nur schwer noch zu sagen ist, welche Pointe von wem stammt, und wir alle auch kaum noch wissen, wie die Dialoge am Anfang aussahen, bevor sie in gefühlten dreizehn Runden geschliffen, gefeilt oder gleich in den Papierkorb geworfen worden sind. Die Arbeit im Team lässt einen häufig auch dann noch weiter grübeln, wenn man sich solo längst ins Kücheaufräumen geflüchtet hätte.

So!: Bei aller gentlemanmäßiger Zurückhaltung: Man hat den Eindruck, Sie sind der Wütendere?

Uthoff: Na, ich weiß nicht. Im Grunde bin ich ausgesprochen gelassen, ich atme häufig tief durch und ruhe ganz im Hier und Jetzt. Gut, manchmal sehe ich vielleicht zufällig im Frühstücksraum des Hotels einen Kommentar von Ulf Poschardt, den ich erst überfliege und dann doch daran hängen bleibe, und dann atme ich noch mal tief durch, etwas schneller vielleicht, und schaue mich um, ob da nicht vielleicht noch jemand ist, der mir helfen kann, diese Borniertheit zu erklären, da muss es doch einen Grund geben, da ist aber fast nie jemand, und dann atme ich noch schneller und weiß der Himmel, möglich dass mein Puls dann nach oben geht angesichts dieser geballten Mischung aus Arroganz und sprachlichem Unfug, dieser larmoyanten Anbiederung an die bürgerliche Leserschaft, jetzt ist mein Puls doch schon flott unterwegs bei dieser antrainierten Überheblichkeit des weißen Systemgewinners, der nicht einmal für zwei Sekunden innehält, um sich darüber klar zu werden, dass er einfach nur Glück hat, weil sein Können ihn doch viel weiter unten einreihen müsste, und dann steigt es aber ganz schnell an, dieses Verlangen "die Welt" zusammen zu falten und mit lautem Knall dem nächsten BMW-X7-Fahrer um die Ohren zu hauen und in den Papierkorb zu donnern um dann ganz laut ... Nein, im Prinzip geht es mir gut, danke.

So!: Sehen Sie einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Kabarett im Fernsehen und dem auf der Bühne?

Uthoff: Die Direktheit eines Bühnenauftritts wird nie vom Fernsehen transportiert werden können. Die Arbeit an der "Anstalt" ist das Ergebnis von drei Autoren und somit immer auch ein kleiner Kompromiss. Während man auf der Bühne mehr Energie zurück bekommt, bleibt nach der intensiven Vorbereitung auf die "Anstalt" kurz nach der Sendung so ein kleines Loch, ein Moment, bei dem von Wagner und ich uns anschauen und uns denken: Und jetzt? War‘s das? Sollten wir jetzt nicht wenigstens auf eine kleine Tournee gehen, bis es richtig gut sitzt?

So!: Das ZDF macht Ihnen keine Vorgaben bei der Gestaltung Ihrer Sendung. Kann gutes Kabarett nur auf dem Boden derartiger Freiheit entstehen?

Uthoff: Nein, durch Werner Finck und andere wissen wir: Wirklich gutes Kabarett kann auch unter der Bedingung von repressiven Systemen entstehen. Wenn die AfD noch erfolgreicher wird, könnte es im Kabarett noch einen Qualitätssprung geben.

So!: Gibt es für das Kabarett Tabus?

Uthoff: Nicht dass ich wüsste.

So!: Wurmt es Sie, dass Sie nicht mehr Menschen erreichen, um ihnen die Augen zu öffnen? Schließlich interessieren sich ja viele nicht für Politik. Und für politisches Kabarett schon gar nicht.

Uthoff: Augen auf bei der Berufswahl! Natürlich interessieren sich viele Menschen nicht für die Politik, nur so lässt sich ja erklären, dass es die FDP noch gibt. Aber ich mache mein persönliches Wohlbefinden nicht all zu sehr von der Wirkung meiner Arbeit abhängig.

So!: Sie klären nicht nur eine ganze Nation am Fernsehschirm auf, sondern erziehen auch zwei Töchter. Wie funktioniert politische Bewusstseinsbildung auf dieser familiären Ebene?

Uthoff: Ich versuche vor allem, inspiriert von meiner Frau, meine Töchter möglichst gleichwürdig zu behandeln, möglichst wenig von oben herab, möglichst wenig, am besten gar nicht zu erziehen. Diese schon viel zu lange dauernden Versuche, Kinder zu vollwertigen Teilnehmern der Leistungsgesellschaft zu machen, damit sie dann "funktionieren", sollten wir möglichst bald lassen. Was natürlich immer erlaubt ist, ist den Kindern frühzeitig beizubringen, dass Unternehmensberater das Böse sind.

So!: Sprache schafft Bewusstsein. Sie sind ein großer Fan davon, das Kind schonungslos beim Namen zu nennen. Für Sie geht es zum Beispiel nicht um einen Klimawandel, sondern um eine Klimakatastrophe. Sind Ihnen Ihre Journalisten-Kollegen zu weich in der Sprachwahl?

Uthoff: Nun ja, Klimawandel klingt ja fast nach Fortschritt. Da wandelt sich etwas und wer wäre schon gegen Veränderung? Nett. Natürlich nutzt sich Sprache auch ab, aber in einem Land, in dem noch jeder Arbeitsplatz in der Automobilbranche gegen den Anblick von untergehenden Menschen verteidigt wird, greift man nicht aus didaktischen Gründen zu einer drastischeren Sprache, sondern weil man es anders schwer aushält.

Interview: Andrea Herdegen