Dieser Autor war mal wer; kein Großer; aber ein Entschiedener. 1941 in einem Dorf bei Magdeburg geboren, schrieb Siegfried Heinrichs in der DDR Gedichte, wie die Oberen sie nicht wünschten. Fast vier Jahre saß er dafür in Haft, als er noch nicht Mitte zwanzig war. Von 1974 an im Westen, erhielt er für Lyrik und Erzählungen Preise und Stipendien. Aber glücklich wurde er auch hier nicht. Dass ihm von Kindheit an Lebenstristesse in mancherlei Gestalt nachhängt, verrät sein jüngstes Buch, das in Vers und Prosa zurückführt in "Meines Großvaters Dorf".

Seine eigentümliche Schreibart erweist sich schon im Titel mit dem nach vorn gestellten Genitiv. Hölderlin, zum Beispiel, hat Heinrichs vermutlich eifrig gelesen. Betont störrisch wählt er einen altertümlich hymnischen, sozusagen klassischen Ton (" ... und der nächte / finsternis barg meiner verse künftige träume"). Erzählungen und Gedichte wechseln sich in dem Band ab, doch unterscheiden sie sich hauptsächlich typografisch voneinander: Heinrichs' Prosa klingt nach gebundener Rede, und seine Lyrik pflegt einen vergleichsweise weitschweifigen narrativen Gestus.

Schwer- und Trübsinn dringen aus beinah allen Texten. Ein Thema mit Variationen: Bilder und Personen, Stimmungs- und Situationsfelder umkreist der Autor, die in rhythmischer Wiederkehr trüb, missvergnügt, enttäuscht von Pessimismus und insgeheim vielleicht von Lebensmüdigkeit künden. Über die Großeltern und ihren Tod, vom Vater, der als Soldat irgendwo in Russland verendete, von Witwen- und Waisenschaft erzählt er, auch aus der Nach-Kriegs-Zeit eines Friedens, der offenkundig Besserung nicht brachte. Einsam richtet Heinrichs seine Sprachmacht gegen die Welt: "Vielleicht hat die Trauer sieben Leben wie die Katze." Aber nicht eigentlich traurig, eher bitter macht sie ihn. In seiner Ichbezogenheit nimmt er andere neben sich wahr, doch selten ein Du.

Sein weit namhafterer Kollege Wolf Biermann meinte schon 1979, Siegfried Heinrichs werde sich seine Vergangenheit wohl "noch jahrelang vom Halse dichten. Aber wen haut hier im Westen solch leises Schreien schon vom Stuhl?" Die Frage scheint berechtigt, auch beim Blättern in jenen jüngsten Erinnerungen eines Zeitgenossen, der seiner Gegenwart nichts mehr zu sagen weiß. Michael Thumser

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Siegfried Heinrichs: Meines Großvaters Dorf. Oberbaum-Verlag, 209 Seiten, gebunden.