Den Gesuchten beschrieb der Steckbrief sehr genau, freilich nicht als Täter, sondern als Opfer der Tat. "Alter: 20 Monate", stand auf dem Plakat, "Gewicht: 27 bis 30 Pfund, Größe: 29 Inches, Haar: blond, lockig, Augen: dunkelblau, Hautfarbe: hell." Und als besonderes Kennzeichen: "Tiefes Grübchen am Kinn." Mithin ein putziger kleiner Kerl, dieses "Lindbergh-Baby". Doch war es, als das Plakat am 11. März 1932 die Öffentlichkeit um Hilfe bei der Suche bat, schon nicht mehr am Leben. Zehn Tage zuvor, heute vor achtzig Jahren, hatte ein Kidnapper, über eine Leiter problemlos ins Kinderzimmer einsteigend, den Säugling geraubt; nicht irgendeinen Säugling: Charles Lindbergh junior war der Sohn von Charles Lindbergh senior, den 1927, nach dem ersten transatlantischen Nonstop-Flug, die US-Amerikaner zum Volkshelden erkoren hatten. Verheiratet war er mit Ann Morrow, der Tochter eines Senators; Geld also schien vorhanden. So scheute sich der Entführer nicht, auf einem Stück Papier, das er zurückließ, 50 000 Dollar zu verlangen - damals eine Riesensumme. Das Lösegeld wurde übergeben; der Kidnapper aber meldete sich nicht wieder. Am 12. Mai stieß ein Fernfahrer auf die Leiche des Babys. Die "Entführung des Jahrhunderts" bewegte alle Schichten; US-Präsident Herbert C. Hoover erhob die Aufklärung zur Chefsache und nationalen Aufgabe. An den Ermittlungen beteiligten sich abertausende Sicherheitskräfte und alle Medien im Lande - die wohl bis dahin größte Kampagne überhaupt. 1936 starb, von Indizien schwer belastet, Bruno Richard Hauptmann auf dem Elektrischen Stuhl. Was für ein Stoff: 1976 hat ihn Buzz Kulik verfilmt. Indirekt kommt der furchtbare Fall auch bei Agatha Christie vor: Sie ließ 1934 eine ganze Schar vornehmer Schlafwagen-Reisender den "Mord im Orient-Express" begehen, als kollektive Abrechnung mit dem Entführer eines kleinen Mädchens. Solche Art Vergeltung befriedigt die Rachgier der Hinterbliebenen mehr als eine schnöde Exekution.