Der etwas sperrige Untertitel ... Die heiligen und profanen Erinnerungen des Hauptmanns Charles Ryder von Evelyn Waughs Roman "Wiedersehen mit Brideshead" erinnert ein wenig an die weitschweifigen Be- und Umschreibungen Jean Pauls. Damit allerdings endet auch schon die Gemeinsamkeit des englischen Schriftstellers mit dem hochfränkischen Dichter. Wo Jean Paul die Schönheiten der Natur und Eigenarten der Personen bis ins kleinste Detail ausmalt, genügen Waugh wenige Formulierungen, gespickt mit der mal feinen, mal drastischen Ironie trockenen britischen Humors. Und das, obwohl der Autor eine tragische Geschichte erzählt: jene der reichen, exzentrischen Adelsfamilie Marchmain. Sie zerfällt angesichts der heraufbrechenden neuen Zeit zwischen und nach den Weltkriegen; jedes Mitglied zerbricht an sich und an seinen Erwartungen.

In der Rahmenhandlung wird der Ich-Erzähler, der Offizier Charles Ryder, mit seinen Kameraden auf Schloss Brideshead, einem heruntergekommenen Adelssitz in England einquartiert. Für ihn ist es kein x-beliebiges Quartier: Charles kennt das Anwesen bestens, hat er hier doch seit seiner Jugend viel Zeit verbracht - als Gast der Eigentümerfamilie Marchmain, die ihn als einen der ihren aufnahm. Damals erschien der Besitz ihm als "verzauberter Palast".

Der gesamte Roman ist eine Rückblende in eine andere Welt: in die Zwanziger- und Dreißgerjahre, während der Ryder in seiner Erinnerung vom Erzähler immer mehr zum Handelnden wird. Die Geschichte setzt ein während der Studienzeit in Oxford, wo der eher wenig Begüterte Freundschaft schließt mit Sebastian Flyte, dem zweiten Sohn von Lord Marchmain. Charles ist sofort wie gefesselt von dem Exzentriker, der stets mit seinem Teddy Aloysius auftritt und der jugendliche Ausschweifungen ernsthaften Studien eindeutig vorzieht.

Als Charles das Schloss zum ersten Mal betritt, ist er fasziniert; ein Gefühl, das mit jedem Besuch intensiver wird: "Ich wähnte mich dem Himmel ziemlich nah in diesen Tagen in Brideshead." Auch die Familie, vor allem Julia, die Schwester seines Freundes, mit der er sich sogar verlobt, haben es ihm angetan. Allerdings sehr zum Missfallen von Sebastian, der Charles ausschließlich für sich beansprucht, vor den Erwartungen vor allem seiner bigotten Mutter wegläuft, in den Alkohol flieht und mit den Jahren immer näher an den Abgrund gerät.

Auch Sebastians Geschwister bewältigen die Erwartungen und den fehlende Zusammenhalt durch die getrennt lebenden Eltern nicht und stürzen ab, jeder auf seine Weise. Als Charles sich von dieser morbiden Welt trennt, ist es ihm, als ob "ich einen Teil von mir zurückließ, der mir fehlen und nach dem ich verzweifelt suchen würde". Er empfindet seinen Weggang von Brideshead als Abschluss seiner Jugend, aber auch als könne er nach "langer Gefangenschaft wieder frische Seeluft atmen". Endgültig indes ist dieser Abschied nicht; für ihn sollte es noch einige Wiedersehen mit Brideshead geben.

Der Roman erschien 1945 und gilt heute als eines bedeutendsten Bücher der englischen Literatur im 20. Jahrhundert. Evelyn Waugh hatte ihn während des Zweiten Weltkrieges, vom 1. Februar 1944 an in einem eigens dafür beantragten Fronturlaub in Chagford/Devon geschrieben; in einer Hochphase: "Ich strotze vor literarischer Kraft", vertraute er seinem Tagebuch an. Am 6. Juni schrieb er das letzte Kapitel, gerade, als er von der Landung der Alliierten in der Normandie gehört hatte. Überarbeiten musste Waugh sein Buch an der Front in Kroatien, was ihm dies auf kuriose Weise ermöglicht wurde: Die Satzfahnen erreichten ihn, abgeworfen mit einem Fallschirm, im Postsack des Premierministers, denn einer seiner Kameraden an der Front war Randolph, der Sohn Winston Churchills. Über Downing Street 10 gelangten die Korrekturen schließlich wieder zurück zum Verlag. Der erzielte mit Waughs Meisterwerk einen Welterfolg; in einer sprachlichen Brillanz, für die der Autor berühmt ist und die nun von Pociao kongenial neu ins Deutsche übersetzt vorliegt. Kerstin Starke

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Evelyn Waugh: Wiedersehen mit Brideshead. Die heiligen und profanen Erinnerungen des Hauptmanns Charles Ryder. Aus dem Englischen von Pociao. Diogenes, 512 Seiten, gebunden im Schuber, 26,90 Euro.

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